The Dictator’s Handbook: Why Bad Behavior is Almost Always Good Politics
„The Dictator’s Handbook: Why Bad Behavior is Almost Always Good Politics“ von Bruce Bueno de Mesquita und Alastair Smith bietet eine aufschlussreiche Analyse darüber, wie Anreizsysteme in Organisationen – von der Politik bis hin zu Unternehmen und Vereinen – häufig egoistisches und korruptes Verhalten fördern. Die Autoren sind renommierte Politikwissenschaftler, die mit dem gut geschriebenen und hervorragend strukturierten Buch eindrucksvoll ihre „Selectorate Theory“ ausführen.
Dieses Buch ist mehr als eine theoretische Abhandlung; es bietet konkrete Ansätze zur Bewertung und Verbesserung von Staaten und Organisationen. Es fordert die Leser heraus, über konventionelle Ansichten hinauszugehen und die oft verborgenen Motivationen hinter politischen Entscheidungen zu verstehen. Das macht dieses Buch zu einer essenziellen Lektüre für alle, die sich für die Komplexität von Führungsverhalten und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft interessieren. Dabei widmet sich das Buch einer Vielzahl von Themen, wie Revolution, Entwicklungshilfe, Krieg, Bailouts und Steuern, und gibt konkrete Handlungsempfehlungen – sowohl für die Politik als auch für private Organisationen wie Unternehmen und Vereine.
Auf die Gruppen kommt es an
Im Kern steht die Idee, dass die Größe und Zusammensetzung relevanter Gruppen in politischen Systemen und Organisationen der entscheidende Faktor für das Verhalten von Anführern ist. Die Autoren identifizieren drei wesentliche Gruppen: Als größte Gruppe das nominale Selektorat, in dem jede Person umfasst ist, die theoretisch über den Anführer entscheiden kann. Seine Größe entscheidet darüber, wie leicht die Mitglieder der anderen Gruppen ausgetauscht werden können. Die zweite Gruppe trägt tatsächlich zur Entscheidung bei und wird als reales Selektorat bezeichnet. Die dritte und wichtigste Gruppe ist die essenzielle Koalition, also jene Personen, die für die Machtergreifung und -erhalt des Anführers unabdingbar ist.
In einer Demokratie wären das zum Beispiel alle Wähler (nominal), die Bürger, die tatsächlich wählen (real), und jene, deren Stimmen zur Wahl des Anführers geführt haben (essenziell). In Autokratien hingegen könnten es im Falle von Scheinwahlen wie in der Sowjetunion etwa alle Bürger (nominal), die Mitglieder des politischen Komitees, die in der Partei wählen können (real) und die tatsächlich entscheidenden Funktionäre und Generäle (essenziell) sein.
Auswirkungen der Gruppengrößen
Für mich war es sehr interessant zu sehen, wie entscheidend die Größenverhältnisse dieser Gruppen zueinander sind und wie gut diese für die Bewertung eines politischen Systems verwendet werden können. Die Gruppengrößen haben direkten Einfluss darauf, welche Handlungsstrategien für einen Anführer am vorteilhaftesten sind.
In Systemen mit wenigen Personen in der essenziellen Koalition kann der Anführer diesen einfach direkte Vorteile wie Geld und Privilegien zukommen lassen. Ist die essenzielle Koalition hingegen – wie in Demokratien – sehr groß, wären direkte Vorteile für alle Mitglieder viel zu teuer. Darum ist es in diesen Fällen viel sinnvoller, in öffentliche Güter zu investieren, um sich den Support der essenziellen Koalition so zu sichern. Somit deckt sich die optimale Handlungsweise in Demokratien viel stärker mit dem Allgemeinwohl.
Eine große essenzielle Koalition führt somit zu gesamtgesellschaftlich gewünschten und damit relativ stabilen Institutionen. Das geschieht jedoch oft auf Kosten der Führungskraft, da die Notwendigkeit, eine breitere Basis zu befriedigen, den Spielraum für individuelle Machtausübung einschränkt und die Austauschbarkeit größer ist. Diese Schlussfolgerungen finde ich enorm spannend, weil sie sehr viele politische Realitäten erklären.
Regeln für Diktatoren
Basierend auf diesem starken theoretischen Fundament folgt die Kernaussage des Buchs: Es gibt Regeln für Diktatoren, die ihr Verhalten maßgeblich bestimmen. Diese basieren darauf, dass alle Anführer in politischen Systemen das Ziel verfolgen, Macht zu erlangen und zu erhalten. Das ist meiner Meinung nach schlüssig, da selbst altruistisch motivierte Anführer sich den systemimmanenten Zwängen beugen müssen, um nicht von machtorientierteren Rivalen ersetzt zu werden.
Dadurch ergeben sich spezifische Strategien für den Machterhalt: Die essenzielle Koalition sollte möglichst klein sein, weil so weniger Personen zufriedengestellt werden müssen. Gleichzeitig sollte das nominelle Selektorat möglichst groß sein, um unkooperative Mitglieder der essenziellen Koalition einfach austauschen zu können. Die Kontrolle über die Finanzströme ist überlebensnotwendig: Anführer müssen ihre engsten Verbündeten ausreichend belohnen, um Loyalität zu sichern. Gleichzeitig dürfen Sie ihnen aber auch nicht so viele Ressourcen geben, dass sie unabhängig werden und an einen Umsturz denken.
Gerade bei kleinen essenziellen Koalitionen ist es daher erforderlich, direkte Vorteile der Koalition zu priorisieren, anstatt Geld für öffentliche Güter zu verwenden. Kurz gesagt, die finanzielle Taktik – die Balance zwischen privaten Leistungen für die Koalition, öffentlichen Gütern für die Allgemeinheit und verfügbarem Kapital für den Anführer – ist entscheidend für die Machtstruktur und -erhaltung in politischen Systemen.
Wann klappen Revolutionen?
Ob eine Revolution ausbricht, hängt stark von den wirtschaftlichen Bedingungen der Bevölkerung ab: Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich niedriger, wenn die Menschen extrem arm und ungebildet oder besonders wohlhabend und zufrieden sind. In ersterem Fall ist das bloße Überleben wichtiger als politische Mitbestimmung, in letzterem hat die Bevölkerung schlicht keinen Grund für eine Revolution.
Ob die Revolution dann aber auch erfolgreich ist, hängt allerdings von etwas anderem ab: Sie kann nur gelingen, wenn die essenzielle Koalition ihre Unterstützung für den Anführer zurückzieht. Das geschieht oft, wenn ein Herausforderer der Koalition größere Vorteile verspricht oder wenn der Anführer im Zuge der Unruhen einzelne Günstlinge ersetzen will, diese aber nicht vor vollendete Tatsachen stellt, sondern ihnen Raum und Zeit für ein Gegenmanöver gibt.
Empfehlung
Ich kann „The Dictator’s Handbook“ absolut empfehlen – es ist ein sehr gut geschriebenes Buch mit hochspannendem Inhalt. Das vorgestellte Framework bietet eine gute Möglichkeit, Systeme zu bewerten und zu analysieren. Natürlich bildet ein Modell nie zu 100 Prozent die Realität ab, aber es ist meiner Meinung nach sehr informativ und praxistauglich. In meinen eigenen politischen Überlegungen werde ich das Denkmuster zur Bewertung sicher mitnehmen. Wer das Buch komplett liest, erfährt noch viel mehr spannende Dinge, unter anderem: wieso die meiste Entwicklungshilfe kontraproduktiv ist, Demokratien lieber Autokratien als andere Demokratien fördern und wie man die FIFA weniger korrupt machen könnte.
Für Serienliebhaber gibt es auch eine auf dem Buch basierende Netflixserie: „How to Become a Tyrant“, die ich persönlich allerdings nicht sehr berauschend fand. Wesentlich interessanter sind die auf dem Buch aufbauenden Erklärvideos des bekannten Youtube-Kanals CGP Grey.
RAPHAEL FRITZ ist IT-Unternehmer mit Fokus auf AI. Er war schon als Kind ein Bücherwurm, der nach dem Studium Hörbücher für sich entdeckte. So lässt sich sein Wissensdurst in den Bereichen Technologie, Politik, Philosophie, Wissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung trotz eines hektischen Alltags hervorragend stillen. Knapp 70 Hörbücher und 5 gedruckte Bücher pro Jahr liefern dabei einen guten Pool, um hervorragende Empfehlungen abgeben zu können. Die meisten davon werden auf Englisch gelesen oder gehört. Ausnahmen gibt es primär, wenn Deutsch die Originalsprache ist.