Rezension: The Strategy of Denial
The Strategy of Denial von Elbridge A. Colby bietet spannende Einblicke in das Thema globale Geostrategie und wie eine solche aus US-amerikanischer Sicht aussehen könnte.
The Strategy of Denial: American Defense in an Age of Great Power Conflict (auf Deutsch sinngemäß „Die Strategie der Verweigerung: Amerikanische Verteidigung in einem Zeitalter des Großmächte-Konflikts“) von Elbridge A. Colby ist eine faszinierende Untersuchung der geopolitischen Ambitionen und Strategien zweier globaler Schwergewichte: den USA und China.
Colby analysiert die Dynamiken und Interaktionen zwischen diesen beiden Ländern und schlägt die seiner Meinung nach vielversprechendste Strategie für die USA vor – die Strategie der Verweigerung. In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen behandelt dieses Buch damit ein hochrelevantes Thema.
China als neuer Hegemon
Das Buch behandelt Chinas versuchten Aufstieg zur weltweit führenden Supermacht, was zwangsweise auch eine Verdrängung der USA aus dieser Rolle nach sich zieht. Der Autor behandelt dabei Chinas strategische Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, und schlägt eine Strategie vor, wie dies verhindert werden kann.
Dabei nimmt der Autor Chinas regionalen und langfristig auch globalen Hegemonialanspruch als gegeben an. Dies ist eine Annahme, die der Leser teilen muss, ansonsten könnte man die vorgeschlagene Strategie auch als Schikane eines aufstrebenden Landes durch einen etablierten Platzhirsch interpretieren. Allerdings ist diese Annahme meines Erachtens nicht wirklich umstritten.
Wer trotzdem nicht davon überzeugt ist, dem empfehle ich erst die Lektüre eines Buches spezifisch dem Thema der chinesischen Ambition. Sehr empfehlenswert ist zum Beispiel The Long Game von Rush Doshi, das dank eines starken Fokus auf chinesische Primärquellen sehr authentisch ist.
Die Strategie der Verweigerung
Die Strategie zielt darauf ab, China daran zu hindern, den asiatischen Raum zu dominieren und dadurch langfristig eine globale Macht zu etablieren, die potenziell bedrohlich für die restliche Welt sein könnte. Der interessante Ansatz der Strategie liegt darin, dass sie keine Eroberung von Gebieten oder einen massiven militärischen und nuklearen Abschreckungsapparat wie im Kalten Krieg erfordert. Stattdessen konzentriert sie sich darauf, China daran zu hindern, den lokalen Status quo gewaltsam zu ändern.
Da etwas zu verhindern deutlich weniger Ressourcen braucht, als etwas zu ändern, entstehen hier starke asymmetrische Vorteile für die USA und ihre Verbündeten. Ist eine chinesische Gewaltanwendung nicht mehr realistisch erfolgversprechend – und damit auch eine implizite chinesische Androhung von Gewaltanwendung unglaubwürdig – kann China keine Nachbarstaaten uneingeschränkt seinem Einfluss unterwerfen. Und ohne regionale Dominanz im asiatischen Raum kann China auch keine globale Superpower werden.
Colbys Kernaussage: Die USA müssen ihre Verteidigungsstrategie neu bewerten und ihre militärische Infrastruktur und Streitkräfte neu ausrichten, um der wachsenden militärischen Macht und den geopolitischen Ambitionen Chinas angemessen zu begegnen. Colby schlägt vor, dass die USA und ihre Verbündeten China den Zugang zu kritischen Ressourcen und strategisch relevanten Gebieten verweigern sollten, um Chinas Fähigkeit zur Durchsetzung seiner Ziele durch militärische Mittel zu behindern.
Das erfordere gezielte Vorbereitungen des US-Militärs und vor allem die Bildung einer „anti-hegemonialen Koalition“, die auf einer engen, transparenten und verlässlichen Zusammenarbeit der USA mit regionalen Verbündeten und Partnern im asiatisch-pazifischen Raum basiert. Der Autor beleuchtet auch mögliche Gründe für ein Scheitern seiner Strategie und bietet Lösungen für Misserfolge an, etwa für die Eindämmung eines lokalen Kriegs, falls China einen solchen riskiert.
Chinas Soft Power
Die Strategie der Verweigerung beschränkt so Chinas Einfluss auf eine reine Soft Power. Damit könnte China immer noch den Zusammenhalt der „anti-hegemonialen Koalition“ gefährden, indem es deren Mitglieder gegeneinander ausspielt. Um das zu verhindern, ist ein verstärktes wirtschaftliches Engagement der westlichen Welt im asiatisch-pazifischen Raum erforderlich. Grundvoraussetzung dafür ist die Fähigkeit der USA, wirtschaftlich und technologisch einen Vorsprung gegenüber China zu behalten beziehungsweise zumindest wettbewerbsfähig zu bleiben.
Friedliche Koexistenz mit China, Russland als Europas Problem
Colby betont jedoch, dass eine friedliche Koexistenz mit China nicht gefährdet werden soll. Er spricht sich explizit dagegen aus, Chinas Zugang zu Ressourcen und Märkten zu reduzieren – es sei denn, Chinas Verhalten erfordert wirtschaftliche Sanktionen. Vielmehr sollte China ermutigt werden, friedliche und gleichberechtigte Handelsbeziehungen mit seinen Nachbarn und der restlichen Welt zu pflegen.
Für europäische Leser ist besonders interessant, dass Colby vorschlägt, Europa im Zweifelsfall sich selbst zu überlassen. Er begründet dies provokativ in etwa so: Wenn eine so reiche Region zu dumm und zu dekadent ist, sich gegen ein in jeglichen Belangen unterlegenes Russland zu verteidigen, ist sie selbst schuld.
Empfehlung
The Strategy of Denial ist ein empfehlenswertes Buch, vor allem für all jene, die über den europäischen Tellerrand hinausblicken wollen und sich für Geostrategie und den Kampf um die Vorherrschaft im asiatisch-pazifischen Raum zwischen den USA und China interessieren. Gleichzeitig ist es aber auch ein augenöffnendes Beispiel dafür, wie irrelevant Europa in den Augen führender amerikanischer Denker geworden ist – der Autor ist immerhin unter anderem Co-Autor der Nationalen Verteidigungsstrategie 2018 der USA.
RAPHAEL FRITZ ist IT-Unternehmer mit Fokus auf AI. Er war schon als Kind ein Bücherwurm, der nach dem Studium Hörbücher für sich entdeckte. So lässt sich sein Wissensdurst in den Bereichen Technologie, Politik, Philosophie, Wissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung trotz eines hektischen Alltags hervorragend stillen. Knapp 70 Hörbücher und 5 gedruckte Bücher pro Jahr liefern dabei einen guten Pool, um hervorragende Empfehlungen abgeben zu können. Die meisten davon werden auf Englisch gelesen oder gehört. Ausnahmen gibt es primär, wenn Deutsch die Originalsprache ist.