Säkularisierungsfonds: Wie der Staat mit Kirchenaustritten umgehen könnte
Das Ritual ist wohlbekannt: Einmal im Jahr erscheinen die neuen Austrittszahlen der römisch-katholischen Kirche in Österreich. Alle Medien berichten darüber, der Schwerpunkt liegt auf den Erklärungen der Kirche selbst über die Motive der Menschen, die ihr den Rücken gekehrt haben, und welche Folgen das für ebendiese Kirche hat.
Dass 2022 ziemlich genau ein Prozent der Gesamtbevölkerung der Republik in einem einzigen Jahr nur aus der ehemaligen Staatskirche austrat, findet weniger Beachtung. Diese Leute werden nicht gefragt, obwohl sie ja nicht so schwer zu finden wären: Sie sind ganz viele.
Und noch eine wichtige Sache fehlt: Eine wie immer geartete politische Folge dieser Massenbewegung. Denn durch die Kirchenaustritte stellen sich auch die Fragen, wie viel Geld die Kirche noch übrig hat, welche Leistungen sie damit erbringt – und ob diese nicht anders erfüllt werden könnten. Zum Beispiel mit einem Säkularisierungsfonds. Aber der Reihe nach.
Um wie viele Menschen geht es eigentlich?
Der Kirchenaustritt ist im überwiegenden Anteil der Fälle die erste freie Entscheidung von Menschen über ihre Religionszugehörigkeit. Die meisten Menschen, denen in Österreich eine Religion zugeordnet ist, empfangen diese automatisch von ihren Eltern – so regelt es das Gesetz aus der Monarchie.
Das andere Gesetz aus der Monarchie regelt wiederum, dass die Babytaufe oder jedes andere von der Religionsgesellschaft ausgedachte Ritual die Zugehörigkeit begründet. Die freie Entscheidung über die Konfessionszugehörigkeit ist in diesen Gesetzen nicht gerade stark betont. Menschen, die von einer Religionsgemeinschaft für sich reklamiert werden, haben diese also nur in den seltensten Fällen gewählt. Gleichzeitig ist ein großer Teil der Konfessionsfreien bewusst und aus eigener Entscheidung konfessionsfrei.
Aktuell sind gesichert über 31 Prozent der Bevölkerung Österreichs konfessionsfrei, und knapp über die Hälfte noch bei der römisch-katholischen Kirche. Die Unterschreitung von 50 Prozent Bevölkerungsanteil wird für den Herbst 2024 erwartet. Ab diesem Zeitpunkt ist die Mehrheit der Menschen in Österreich nicht mehr katholisch.
Geht der Kirche das Geld aus?
Eine der Konsequenzen der vielen Austritte und des natürlichen Rückgangs (weniger Taufen als Todesfälle) ist, dass der Kirche weniger Mittel aus den Kirchenbeiträgen zur Verfügung stehen – die ja nur von Mitgliedern zu bezahlen sind. Die staatlichen Förderungen fließen natürlich (trotz zweifelhafter Grundlage) weiter und werden auch regelmäßig an die Inflation angepasst: Trotz Austritten sinken sie nicht.
Und dennoch kommt es mittlerweile regelmäßig vor, dass einzelne kirchliche Stellen damit drohen „müssen“, ihre „Dienste“ für die Gesellschaft wegen der fehlenden Finanzierung einzustellen. Dies könnte zum Beispiel Kindergärten, Schulen, Altersheime und andere Einrichtungen betreffen: Einrichtungen, die jetzt schon sehr stark von der öffentlichen Hand bezahlt werden.
Auf den ersten, sehr oberflächlichen, Blick ist die Drohung einleuchtend: weniger Geld, weniger Leistung. Doch es gibt auch den zweiten Blick – und zwar den kundigen.
Das Geld verschwindet nicht
Die Kirchenbeiträge sind nämlich von der Einkommensteuer absetzbar. Heuer wird die Grenze dafür sogar erhöht. Es geht um 120 bis 150 Millionen Euro pro Jahr, auf die der Staat verzichtet, weil Menschen Kirchenbeitrag zahlen.
Wenn also pro Jahr etwa 2 Prozent der vormaligen Mitglieder austreten, bleiben allein von diesen Menschen 2 bis 3 Millionen Euro mehr im Staatsbudget übrig. Natürlich auch im zweiten, dritten, vierten usw. Jahr nach dem Austritt. Das Geld ist also da. Die Ausgetretenen haben mehr Geld, die Republik auch. Nur die Kirche hat weniger, weil die Menschen sich für den Austritt entschieden, ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit genutzt haben.
Derzeit gehen diese freigemachten Mittel im Staatsbudget auf. Dort sind sie nicht zu schlecht aufgehoben, aber dieser massenhafte Ausdruck freier Entscheidungen findet so eben keine Berücksichtigung. Gäbe es einen besseren Weg? Einen, der die Kindergarten-Drohung auch gleich neutralisieren kann?
Ein Säkularisierungsfonds verhindert Leistungsabbau
Die Republik könnte die Tatsache anerkennen, dass eine Massenbewegung in der österreichischen Bevölkerung stattfindet, die auch finanzielle Konsequenzen hat. Sie könnte einen Säkularisierungsfonds einrichten, der aus den neu freiwerdenden Mitteln gespeist wird: Immer, wenn ein:e Steuerzahler:in im Vorjahr den Kirchenbeitrag abgesetzt hat und im folgenden Jahr nicht, wird der alte Betrag aus der Steuerabsetzung in den Säkularisierungsfonds überführt.
Das passiert z.B. fünf Jahre lang. Danach gehört die Ersparnis der Republik, die ja schon jahrzehntelang von den Kirchenaustritten und ihrer Nicht-mehr-Absetzung profitiert hat und nach dem Ablauf der fünf Jahre auch wieder profitieren wird.
Der Fonds würde also in Abhängigkeit von den Kirchenaustritten mit – je nach Ausgestaltung – zweistelligen Millionenbeträgen pro Jahr dotiert werden. Das sind genügend Mittel, um der Drohung mit geschlossenen Kindergärten und kirchlichen Schulen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Gegenteil: Konfessionell gebundene Bildungseinrichtungen werden für alle Beteiligten qualitativ besser, wenn sie säkularisiert werden. Routine-Diskriminierungen und willkürliche Einschränkungen aus dem kirchlichen Bereich, die der baldigen Bevölkerungsmehrheit nicht mehr zu vermitteln sind, fallen weg. Sobald irgendwo die Drohung auftaucht, mangels Mittel die kirchliche Einrichtung schließen zu müssen, würde der Fonds einspringen. Der Staat übernimmt staatliche Aufgaben, und das Geld dafür ist tatsächlich vorhanden: eine gute Lösung für alle.
Mit der Einrichtung eines solchen Fonds müsste sich die Republik vorerst nicht damit befassen, ob Vermögensverträge mit Minderheitenkirchen und Konkordate noch zeitgemäß sind. Sie verfügt nur über Geld, das sie sowieso hat – und zwar von einer sehr genau abgegrenzten Gruppe. Eine Zweckwidmung hierfür klingt logisch.
Ein Säkularisierungsfonds ermöglicht freie Entscheidung
Aber wären das nicht weniger Mittel, als die Kirche für diese Einrichtungen ausgibt? Nein. Die römisch-katholische Kirche ist keine karitative Einrichtung, auch wenn sie das in ihrem Marketing gerne vermitteln würde. Ihre sehr oberflächlichen Finanzberichte zeigen, dass sie den überwiegenden Teil ihres Budgets für die Zwecke der Organisation wie Personalkosten ausgibt. Die Ausgaben, die tatsächlich der Gesellschaft zugute kommen, sind niedriger als die Summe der von der Steuer abgesetzten Beträge.
Es spricht also viel für einen Säkularisierungsfonds: Die Einrichtung eines solchen Fonds würde den Menschen zeigen, dass ihre freie Entscheidung beachtet und respektiert wird – und dass ihr Anteil, von dem vorher nur behauptet wurde, er käme der Gesellschaft zugute, ab sofort wirklich für soziale Zwecke zur Verfügung steht.
So ein Fonds würde den geregelten Übergang zu einer säkularen Gesellschaft unterstützen, in dem Menschen ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit wahrnehmen können, ohne befürchten zu müssen, dass sie damit Bildungseinrichtungen in Dörfern und Kleinstädten gefährden. Eine Gesellschaft, in der die Mehrheit konfessionsfrei ist und erwartet, dass soziale Einrichtungen, die sowieso überwiegend vom Staat finanziert werden, auch alle Grundrechte beachten und niemandem eine bestimmte Religion aufdrängen. Und in der die Politik darauf reagiert, dass große Bevölkerungsgruppen ihr fremdbestimmtes Attribut mit ihrer freien Entscheidung ablegen.
BALÁZS BÁRÁNY ist selbstständiger Data Scientist in Niederösterreich. Er engagiert sich in netzpolitischen und säkularen Bereichen, unter anderem bei der Piratenpartei Österreichs und im Humanistischen Verband und publiziert unter anderem beim Humanistischen Pressedienst, seinem Blog „Athikan“ und im „Radio-Athikan-Podcast“.