Schluss mit dem ehrenamtlichen Aufsichtsrat
SOS Kinderdorf Österreich verwaltete 2023 über 64 Millionen Euro – Spenden, öffentliche Gelder, betriebliche Erträge. Ein Millionenbudget. Und doch: Der Aufsichtsrat war dem Unternehmen keinen Cent wert. Das exkulpiert ihn aber in keiner Weise. Denn wer ein Mandat annimmt, muss es so ausüben, als würde er dafür ein übliches Honorar erhalten – mit Zeit, Ernsthaftigkeit, Fachkenntnis und Verantwortung. Alles andere ist unzulässig. Pflichten gelten immer. Die Rechtslage ist eindeutig. Der Aufsichtsrat ist ein Organ der Unternehmensführung, kein Ehrenamt. Er soll die Geschäftsführung kontrollieren, Fragen stellen, einschreiten, wenn es nötig ist. Eine Vergütung ist dabei gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben. Es ist also zulässig, Aufsichtsratsmandate unentgeltlich auszuüben. Aber: Die Pflichten ändern sich dadurch nicht.
Der Oberste Gerichtshof hält fest: „Die gebotene Intensität der Kontrolle hängt von der Lage der Gesellschaft ab und ist in der Krise am höchsten.“ (OGH 6 Ob 142/23k) Und weiter: „Aufsichtsräte sind verpflichtet, bei Unklarheiten nachzufassen und nötigenfalls externe Expertise beizuziehen.“ (OGH 6 Ob 58/20b) Diese Pflichten bestehen unabhängig von der Bezahlung. Ob entlohnt oder nicht – ein Aufsichtsrat muss immer zum Wohl des Unternehmens handeln, mit dem nötigen Zeitaufwand, bestmöglich und gewissenhaft.
Ehrenamt als Risiko
Doch genau hier liegt der Bruch: Wer nichts erhält, erledigt das Mandat oft „nebenbei“. Es fehlt die Tiefe, die Aufmerksamkeit, und gelegentlich auch die Professionalität. Die Wahrnehmung eines Ehrenamts mag gut gemeint sein, es ist in der professionellen Aufsicht aber eine Gefahr. Und SOS Kinderdorf ist kein Einzelfall. Ehrenamtliche Aufsichtsräte sitzen in:
• Stiftungen und Sozialwerken
• Kulturinstitutionen, von Theatern bis Orchestern
• öffentlichen Unternehmen
Überall gilt: Wenn Geld und die Verantwortung für Menschen im Spiel sind, darf es keine unbezahlte Aufsicht geben.
Keine Zukunft für ehrenamtliche Kontrolle
Eines muss klar sein: Ehrenamtliche Aufsichtsräte gehören abgeschafft. Sobald Geld und die Verantwortung für Menschen im Spiel sind, ist unbezahlte Aufsicht nicht nur unprofessionell, sondern bisweilen sehr gefährlich. Und bis dahin gilt: Wer ein Aufsichtsratsmandat annimmt – bezahlt oder unbezahlt –, muss es in voller Verantwortung ausüben: zum Wohl des Unternehmens, mit allen Rechten und Pflichten, mit Zeit, Ernsthaftigkeit und Konsequenz. Weniger ist rechtlich gar nicht zulässig.
Der ehrenamtliche Aufsichtsrat ist aus der Zeit gefallen – in einer Epoche, in der die Aufsichtsratstätigkeit europaweit stark reguliert und rechtlich klar definiert ist. Niemand wird gezwungen, ein Mandat zu übernehmen. Aber wer es annimmt – auch ohne Bezahlung –, muss es trotzdem gesetzeskonform ausüben: mit voller Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten, und zwar zum Wohle des Unternehmens. Unternehmen können vieles straffen, kürzen, verschlanken. Doch beim Mindesthonorar für den Aufsichtsrat darf nicht gespart werden. Denn hier entscheidet sich, ob Kontrolle ernst gemeint ist – oder nur eine Fassade bleibt.
VIKTORIA KICKINGER ist Aufsichtsrätin und Unternehmerin. Nach Managementpositionen bei ORF, ÖBB, ÖIAG und Österreichischer Post war sie in zahlreichen Aufsichtsräten tätig, so etwa an der Wiener Staatsoper, dem Burgtheater oder dem Technologiekonzern S&T. Derzeit ist sie im Aufsichtsrat der Polytec Holding AG sowie im Universitätsrat des Mozarteum Salzburg.
2016 gründete sie die Directors Academy Hamburg, eine Online-Weiterbildungsplattform für Aufsichtsräte in Deutschland.