Sprache als Sicherheitsrisiko

Über die strategische Kraft von Worten und Stimme in hybriden Zeiten.
In einer Welt, in der geopolitische Spannungen zunehmen, verschieben sich die Frontverläufe. Kriege werden heute nicht mehr ausschließlich mit Waffen, sondern zunehmend mit Worten und in Bewegtbildern in sozialen Medien geführt: Sprache wird immer mehr zum Schauplatz strategischer Einflussnahme. Wer die Deutungshoheit über Begriffe – seien sie gelesen oder gehört – gewinnt, gestaltet Realitäten. Der Umkehrschluss dazu bedeutet – das ist für den Leser hier relevant: Sprache kann somit demokratische Ordnungen gefährden. Doch nun einmal eines nach dem anderen: Wie kam es überhaupt dazu?
Moderne Konflikte werden diskursiv geführt. Genutzt werden narrative Kampagnen, gezielte Desinformation – beispielsweise Videos mit einer nicht belegbaren Geschichte im Ukraine-Russland-Krieg – und vor allem die Instrumentalisierung emotionaler Sprache. Sie sind Teil hybrider Kriegsführung (NATO Strategic Concept, 2022). Die strategische Nutzung von Sprache – durch staatliche Akteure, Trollarmeen oder orchestrierte Bewegungen – wirkt somit jedoch erheblich auf gesellschaftliche Stabilität, Vertrauen in Institutionen und die Widerstandskraft demokratischer Öffentlichkeiten, denn wie kann man dann noch einer Quelle glauben? Hier bedarf es unter anderem der Entwicklung von kritischer Medienkompetenz.
Die politische Wirkung sowie sprachlicher Gestaltung wurde spätestens mit dem Konzept der Soft Power prominent, das Joseph Nye in den 1990er Jahren prägte: Nicht Zwang oder Geld, sondern Überzeugung und kulturelle Attraktivität verschaffen Macht. Genau diese „weiche“ Macht wirkt über Bilder, Emotionen, Worte, Geschichten – und eben: Sprache. Denn wer hört nicht gerne Geschichten? Menschen erzählten sich seit jeher Geschichten am Feuer und bewahrten so ihre Identität und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.
George Lakoff verdeutlicht in seiner kognitiven Linguistik, dass politische Debatten nicht nur inhaltlich, sondern strukturell geprägt sind: Wer demnach die „Frames“ kontrolliert – also die Deutungsrahmen –, kontrolliert auch, wie Probleme wahrgenommen und Lösungen akzeptiert werden. Genau das passiert immer mehr in Kriegsfragen und natürlich auch in der Politik. Begriffe wie beispielsweise Krieg, Sicherheit, Freiheit oder Volk tragen bereits ideologische Ladungen in sich, lange bevor sie konkret verwendet werden. Damit werden Bilder bedient, die im Leser gezielt emotionale Auslöser sind. Sie werden geschickt und klar eingesetzt, oder haben Sie dabei jetzt nicht an Waffen und Tote gedacht?
Diese Einsichten sind natürlich längst Bestandteil strategischer Kommunikation geworden – sowohl in Demokratien als auch in autoritären Systemen. Die NATO und der US-Think Tank RAND Corporation warnen seit vielen Jahren vor „hybriden Bedrohungen“, bei denen militärische, ökonomische und kommunikative Mittel bewusst vermischt werden (RAND: Kavanagh & Rich, 2018). Dabei spielen digitale Plattformen eine zentrale Rolle: Memes, virale Videos und Schlagwörter wirken hier gezielt als mikropolitische Träger ideologischer Positionen – eine Form der memetischen Kriegsführung (Blackmore, 1999; U.S. Army War College, 2016). Der Begriff memetic warfare bezeichnet den strategischen Einsatz von Memes, Bildern, Symbolen, Narrativen oder Ideen, um die Meinung, Wahrnehmung und das Verhalten von Zielgruppen zu beeinflussen – besonders im digitalen Raum. Dabei handelt es sich um eine Form der psychologischen und informationsgestützten Kriegsführung, die vor allem über soziale Medien verbreitet wird.
Die Macht der Worte – eine historische und begriffliche Annäherung
Wichtig ist zu bedenken, dass Sprache nie neutral war. Weshalb, fragen Sie sich? Ganz einfach: Jene, die sprechen, schreiben oder in Kameras sprechen, haben etwas mit dem Gedachten oder Gesprochenen vor.
Schon etymologisch verweist das althochdeutsche sprāhha auf das Sprechen als Handlung – nicht bloß als Beschreibung, sondern als Gestaltung von Welt (Kluge, 2011). Worte sind daraus gefolgert als Werkzeuge zu verstehen, die jedem Menschen von klein an zur Verfügung stehen. Denken Sie einmal an das Kind und sein Geschrei, wenn es etwas haben möchte, in der genau richtigen Situation mit vielen Fremden, die den Erwachsenen somit manipulieren. Wer möchte hier nicht schnell Ruhe? Ist dann nachgeben das kluge Mittel? Diese Antwort obliegt jedem Einzelnen. Jedenfalls erschaffen solche Situationen gemeinsam mit Worten die Bedeutungen, sie formen Identitäten, grenzen aus oder integrieren.
Auch die Stimme, aus dem Althochdeutschen stimma, trägt eine doppelte Bedeutung in sich – zum einen als Klangkörper und zum anderen als Ausdruck politischer Teilhabe: eine Stimme haben, zu Wort kommen, Stimmberechtigung. Judith Butler zeigt, dass die Stimme kein bloßes Medium, sondern ein performativer Akt ist – durch das Sprechen wird das Subjekt sichtbar, wird Teil des Politischen (Butler, 1997). Sprecher im Radio lernen ihre Stimme durch Gegensätze besonders gut „verfolgbar“ zu machen, um das Erzählte zu transportieren. Dazu werden Gegensätze genutzt wie: laut – leise, tief – hoch, schnell – langsam, Pausen und vieles mehr.
Stimme, Resonanz und Demokratie
Sprache ist mehr als ein Mittel der Einflussnahme. Sie ist das Medium, in dem Weltbeziehung geschieht. Geopolitik vergisst dies oftmals, unter moralischen Deckmänteln werden nämlich in diplomatischen Kreisen vorverurteilte Gesprächspartner aus Kriegsparteien von Einladungen ausgeschlossen. Die Argumentation von Diplomaten ist dabei immer wieder erstaunlich (denn ihr Beruf bringt die Kunst des Dialogs mit sich): dass China eine Autokratie und daher unwürdig für Dialoge ist. Ähnlich wird in Richtung Russland immer wieder gerne argumentiert. Wie so eine Ausgrenzung zu Lösungen in diplomatisch und geopolitisch immer komplexeren Situationen führen soll, bleibt ein Rätsel.
Hartmut Rosa spricht in seiner Resonanztheorie davon, dass Menschen in gelingender Kommunikation eine Form von wechselseitigem „Antworten“ erleben – die Stimme als Brücke zur Welt (Rosa, 2016). Dies mag auf den ersten Blick etwas esoterisch klingen, doch er meint schlichtweg: Wo diese Resonanz ausbleibt, entstehen Entfremdung, Polarisierung und Machtlosigkeit. Damit hat er recht: Wer die Dialoge auch bei unangenehmen Gesprächspartnern abbricht, wird keine Lösungen finden, sondern Fronten verhärten.
Gerade diese Stimme und die Fähigkeit der Resonanz wird heute vielen entzogen – oder so verzerrt, dass sie nicht mehr gehört wird. In digitalen Diskursräumen herrschen oft Lautstärke und hohe Klickzahlen statt sachlicher Argumente im zugewandten Dialog. Der Grund dafür ist, dass Sichtbarkeit heute nicht durch Relevanz, sondern durch Algorithmen erzeugt wird. Die Folge ist ein tatsächlicher Resonanzverlust im öffentlichen Raum, der das demokratische Gemeinwesen gefährdet.
Wenn betont wird, dass nur jene politisch existieren, die sprechen dürfen – und gehört werden (Butler, 1997), läuft gesellschaftlich etwas schief. Insofern ist der Ausschluss aus dem Diskurs – ob durch Schweigen, Diffamierung oder digitale Marginalisierung – eine Form von Unterstützung der Bubbles, in denen sich immer mehr Menschen medial bewegen.
Fazit
Sprache ist kein bloßes Werkzeug der Kommunikation, sondern ein Medium strategischer Gestaltung. Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, seine Sprache zu nutzen, um im Dialog zu bleiben. Gerade in hybriden Zeiten – die auch den Krieg betreffen – wird sie heute umso gezielter eingesetzt, um Macht zu sichern, Realitäten zu formen und demokratische Ordnungen zu destabilisieren. Doch sie birgt auch das Potenzial zur Verständigung, Teilhabe und Resilienz. Wer über Sicherheit spricht, muss über Sprache sprechen – und darüber, wie er oder sie selbst mit ihr umgeht.
KATHARINA REICH lehrt an internationalen Universitäten und Fachhochschulen zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken. Sie hält regelmäßig Vorträge an der Landesverteidigungsakademie in Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der menschlichen Wahrnehmung und deren Einfluss auf sicherheitsrelevante Entscheidungsprozesse.