Trumps Zollschock und Europas Trilemma

Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, universelle Zölle auf europäische Importe zu erheben, war weit mehr als eine wirtschaftspolitische Maßnahme – sie war ein strategisches Signal. Der Zollschock ist nicht nur Ausdruck eines veränderten US-Handelsansatzes, sondern ein geopolitischer Test: Trump will wissen, welche Länder bereit sind, sich zu positionieren – zwischen den beiden entstehenden Machtblöcken in einer Weltordnung, die sich in rasantem Tempo polarisiert. Die Entscheidung Europas in dieser Phase wird den künftigen Platz des Kontinents in der internationalen Hierarchie mitbestimmen.
Die jüngste Eskalation im transatlantischen Handelsverhältnis – ausgelöst durch die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, universelle Zölle gegen Importe aus Europa und anderen Regionen zu verhängen – markiert einen geopolitischen Wendepunkt. Die Entscheidung, selbst langjährige Verbündete mit umfassenden Handelsmaßnahmen zu konfrontieren, stellt das transatlantische Verhältnis erneut auf die Probe und wirft grundsätzliche Fragen über Europas geopolitische Ausrichtung in einer zunehmend fragmentierten Weltordnung auf.
Die Zollpolitik der USA – Ein politischer Schock mit strategischem Kalkül
Die Vereinigten Staaten haben einen Basistarif von 10 Prozent auf nahezu alle Importe – darunter auch aus der EU – eingeführt. Besonders einschneidend war jedoch die (nun vorübergehend ausgesetzte) zusätzliche Belastung um 20 Prozent auf ausgewählte europäische Produkte. Auch sektorale Strafzölle von 25 Prozent auf Stahl, Aluminium und Automobile bleiben bestehen. Diese Maßnahmen sind weniger Resultat kurzfristiger wirtschaftlicher Überlegungen als vielmehr Ausdruck einer langfristigen strategischen Neuausrichtung: weg von multilateralen Abkommen, hin zu bilateralen Verhandlungen, in denen Washington maximale Hebelwirkung erzielt.
Der Schock über Trumps Ankündigung war in Europa spürbar – nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem politisch. Sie legte die Schwächen der „Wait and muddle-through“-Strategie der EU offen. Statt proaktiv eine gemeinsame Position zu formulieren und frühzeitig mit einer Delegation nach Washington zu reisen, hat man erneut zu spät und zu passiv reagiert. Die 90-tägige Aussetzung der Zusatzzölle bietet nun ein Zeitfenster für Verhandlungen – aber es ist unklar, ob die EU dieses Fenster strategisch nutzt oder erneut in taktischem Klein-Klein verharrt.
Europas Antwort – diplomatisch, aber nicht geopolitisch
Die Europäische Union hat ihre geplanten Gegenmaßnahmen – 25 Prozent Zölle auf US-Waren im Umfang von rund 21 Milliarden Euro – ebenfalls für 90 Tage ausgesetzt. Die Intention ist klar: Eskalation vermeiden, Spielräume für Verhandlungen schaffen. Gleichzeitig schlägt Brüssel einen „Zero-for-Zero“-Ansatz bei Industriezöllen vor und signalisiert Offenheit für höhere Energieimporte aus den USA – ein klassischer Kompromissansatz, der wirtschaftliche Rationalität betont.
Doch dieser Ansatz blendet geopolitische Realitäten aus. Während China im Handelskonflikt mit den USA offen konfrontativ agiert und eigene Zölle auf 84 Prozent der US-Importe verhängt, strebt Europa offensichtlich eine Position der Äquidistanz an – diplomatisch, aber kraftlos. Der jüngste Vorstoß zur Abschaffung von EU-Zöllen auf chinesische Elektrofahrzeuge könnte sich als strategischer Fehler herausstellen: Chinesische E-Autos werden dadurch noch wettbewerbsfähiger, europäische Hersteller geraten unter Druck, und Europas Abhängigkeit von chinesischer Green-Tech steigt. Sollte diese Maßnahme als Druckmittel gegenüber Washington gedacht gewesen sein, um Trump durch Annäherung an seinen systemischen Rivalen China zum Einlenken zu bewegen, ist sie bestenfalls naiv – schlimmstenfalls strategisch selbstzerstörerisch.
Der „Drachenbär“: Modus operandi der strategischen Koordinierung zwischen China und Russland
Im Hintergrund der transatlantischen Handelskonflikte hat sich ein geopolitischer Machtblock formiert, der die globale Ordnung zunehmend herausfordert: der „Drachenbär“, eine informelle, aber wirksame strategische Koordinierung zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation. Dieser Modus operandi ist nicht institutionell verankert, sondern basiert auf synchronisierten Interessen, gegenseitiger Rückendeckung und abgestimmter geopolitischer Praxis. Er manifestiert sich in multilateralen Foren, regionalen Einflussoperationen, militärischer Zusammenarbeit und technologischer Konnektivität.
China liefert die wirtschaftliche Grundlage, die globale Infrastruktur und den techno-industriellen Überbau (z.B. durch BRI, 5G, KI, grüne Technologien), während Russland die sicherheitspolitische Härte, den militärischen Einfluss und den geopolitischen Störfaktor darstellt – etwa durch die Instrumentalisierung regionaler Konflikte, Desinformationskampagnen und seine Rolle als „spoiler state“. Gemeinsam agieren sie als systemischer Herausforderer der westlich geprägten Ordnung.
Kalter Krieg 2.0: Die neue bipolare Weltordnung
Was sich in den letzten Jahren abzeichnete, ist spätestens mit Trumps jüngstem wirtschaftspolitischem Frontalangriff Realität geworden: Ein neuer Kalter Krieg – Kalter Krieg 2.0 – hat begonnen. Im Zentrum steht nicht mehr nur die Konfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus, sondern eine Auseinandersetzung zwischen regelbasierter Ordnung vs. machtorientiertem Revisionismus, liberaler Demokratie vs. autoritärer Effizienz, transatlantischem Multilateralismus vs. eurasischem Bilateralismus.
Die USA – ob unter Biden oder Trump – verfolgen eine klare Eindämmungsstrategie gegenüber China und Russland. Trump jedoch vollzieht diese Politik mit brutaler Offenheit, ohne diplomatische Euphemismen. Er fordert offene Loyalität, geopolitische Klarheit und wirtschaftspolitische Gefolgschaft. Für ihn gilt: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Genau aus diesem Grund sind die Zölle auf Europa nicht nur ökonomisch motiviert – sie sind ein politisches Testinstrument: Wer schlägt sich auf die Seite Amerikas, und wer flirtet mit dem „Drachenbären“?
Europas Zwischenlage – das strategische Vakuum
Die Europäische Union befindet sich in einem geopolitischen Niemandsland – weder eindeutig Verbündeter Washingtons noch strategischer Partner des „Drachenbären“. Diese Position der Äquidistanz ist langfristig nicht haltbar. Doch statt sich klar zu positionieren, verfällt Europa in eine „Business-as-usual“-Mentalität: technokratische Verhandlungen, diplomatische Floskeln, strategische Unentschlossenheit.
Die jüngsten diplomatischen Initiativen – etwa der China-Besuch von Spaniens Premier Pedro Sánchez und seine Appelle für eine „multilaterale Ordnung“ – mögen gut gemeint sein, verfehlen aber die geopolitische Realität: Multilateralismus funktioniert nicht in einer bipolaren Ordnung.
Trumps Kalkül: Zwang zur Entscheidung
Trumps strategisches Kalkül ist klar: Er zwingt andere Akteure zur Entscheidung. Mit der Einführung von Zöllen und der gleichzeitigen Ankündigung, Länder ohne Gegenmaßnahmen würden vorerst nur die Basistarife zahlen, will er prüfen, wer bereit ist, sich dem amerikanischen Block anzuschließen – und wer durch Kooperation mit China oder Russland in die geopolitische Grauzone driftet.
Die 90-tägige Aussetzung der Zusatzmaßnahmen ist keine Einladung zur Entspannung, sondern ein Ultimatum. Wer bis dahin keine klare Position bezieht – wirtschaftlich, diplomatisch, sicherheitspolitisch – wird in Trumps zweitem Mandat mit massiven Sanktionen, Ausschluss aus Lieferketten und möglicherweise einem Ende der Sicherheitsgarantien konfrontiert.
Trump will bilaterale Deals – aber nur mit Partnern, die ihm geopolitisch nützen. Die NATO ist für ihn nur dann sinnvoll, wenn die Verbündeten zahlen, liefern und sich politisch unterordnen. Die EU als politische Entität ist für ihn irrelevant – zu langsam, zu fragmentiert, zu unfähig. Doch einzelne europäische Staaten könnten aus Trumps Sicht durchaus wertvolle „Deals“ ermöglichen – etwa in Energie, Technologie oder Sicherheit. Hier liegt Europas größte Gefahr: die Fragmentierung des geopolitischen Konsenses innerhalb der EU zugunsten kurzfristiger nationaler Vorteile.
Drei Wege, eine Wahl – Europas geopolitisches Schicksal
Europa hat drei geopolitische Optionen – jede mit weitreichenden Konsequenzen:
- Atlantische Koordination:
Europa könnte sich strategisch und kohärent an die USA binden – durch erhöhte Verteidigungsausgaben, gezielte Technologiekooperation, gemeinsame Energieinitiativen sowie sicherheitspolitische Integration und Handelskompromisse. Dies würde Washingtons strategisches Interesse an Europa stärken und Europas Relevanz im Kalten Krieg 2.0 sichern. Nur ein handlungsfähiges Europa bietet den USA echten Mehrwert. - Annäherung an China heißt Koexistenz mit dem „Drachenbären“:
Eine verstärkte wirtschaftliche Integration mit China (z. B. über Green-Tech, Infrastrukturprojekte, digitale Standards) und eine diplomatische Annäherung an China könnten kurzfristig ökonomische Vorteile bringen, würden jedoch Europas sicherheitspolitische Anbindung an die USA gefährden – mit fatalen Folgen für NATO, transatlantische Sicherheitsarchitektur und den technologischen Fortschritt. Sánchez’ Chinareise, flankiert von bilateralen Verträgen, zeugt von dieser Tendenz – doch sie schwächt die Position Europas gegenüber Washington. - Strategische Autonomie:
Der vielzitierte „dritte Weg“ – eine echte strategische Autonomie – bleibt bislang rhetorisch. Was fehlt, sind gemeinsame militärische Fähigkeiten, koordinierte außen- und sicherheitspolitische Strategien sowie der politische Wille, Verantwortung zu übernehmen – auch unter Einsatz militärischer Macht. Ohne diese Elemente wird Europa zwischen zwei geopolitischen Stühlen zerrieben.
Fazit: Europas Schicksalsmoment
Europa steht an einem geopolitischen Scheideweg. Die strategische Bifurkation der Welt – Amerika vs. „Drachenbär“ – ist keine Theorie mehr, sondern Realität. Der Kalte Krieg 2.0 verlangt Entscheidungen, nicht Erklärungen. Trump beschleunigt die Fragmentierung der bisherigen Ordnung und fordert die strategische Positionierung aller Akteure ein.
Europa kann nicht länger zusehen. Es muss handeln, entscheiden und führen – oder es wird zwischen den Machtblöcken zerrieben. Der Countdown läuft. Die 90 Tage sind kein Verhandlungsraum, sondern ein geopolitisches Ultimatum. Wer sich nicht positioniert, wird positioniert. Jetzt gilt es, strategische Prioritäten zu setzen:
- Proaktiv in Washington verhandeln, bevor andere bilaterale Deals abschließen.
- Defensive Handelsinteressen verteidigen, ohne sich geopolitisch in die Arme Pekings zu begeben.
- Energie- und Verteidigungskooperation mit den USA vertiefen, um transatlantische Interessen abzusichern.
Trumps Zölle sind kein Ausrutscher, sondern Ausdruck eines neuen globalen Paradigmas. Die USA wenden sich ab, fokussieren sich auf den Indopazifik und setzen auf Bilateralismus. Europa muss sich entscheiden: Anpassung, Eigenständigkeit oder Abstieg. Die Uhr tickt – geopolitisch wie geoökonomisch.
VELINA TCHAKAROVA ist Gründerin des Forschungs- und Beratungsunternehmens FACE (For A Conscious Experience e.U.) und Visiting Fellow an der Observer Research Foundation in Indien. Als geopolitische Expertin gibt sie ihre Einschätzung zu Entwicklungen der internationalen Beziehungen ab.