Veränderungen stören immer
Die Meinungsforschung taugt nicht als politisches Steuerungsinstrument.
Womit assoziieren Sie Klapperschlangen, Pfaue und Bären? Mit dem Tiergarten Schönbrunn? Irrtum. Es handelt sich um unsere Politiker, jedenfalls laut einer im Auftrag des Finanzministeriums erstellten Meinungsforschungsstudie. Das ist zwar ein kabarettistisches Highlight, aber bezeichnend für das vorherrschende Politikverständnis.
Politiker sind in Österreich weitgehend getrieben. Sie geben laufend Umfragen in Auftrag und richten sich bei dem, was sie sagen, und bei dem, was sie tun, nach deren Ergebnissen. Pläne, für deren Umsetzung es gute Gründe gibt, bleiben in der Schublade, wenn sie gegen eine Stimmung stehen. Überspitzt kann man sagen: Politiker delegieren ihre Entscheidungsverantwortung an die Meinungsforschung.
Todesstrafe und Fristenlösung
Das kann in der Wirtschaft zur Absatzsteigerung von Joghurt funktionieren. Für die Politik ist das ungeeignet. Wäre die Zweite Republik immer auf diese Weise geführt worden, wir hätten heute noch die Todesstrafe; für deren Abschaffung 1968 gab es noch Jahre später keine Mehrheit. Wir hätten auch keine Fristenlösung. Bruno Kreiskys Einschätzung „Ich weiß, wie man Wahlen verliert, und jetzt bei dieser Abtreibungssache schaut es ganz danach aus“ hinderte ihn nicht daran, sich schließlich gegen die ÖVP und die FPÖ durchzusetzen. Schwer vorstellbar, dass Werner Faymann oder Sebastian Kurz so gehandelt hätten.
Die Fragen der Meinungsforscher sind viel zu grobkörnig und unspezifisch, um den Stand einer Diskussion oder auch nur die Einschätzung eines Einzelnen wiederzugeben. Als politisches Steuerungsinstrument taugen sie nicht.
Schwimmen im Meinungsstrom
Wichtiger noch: Meinungen reichen zur Entscheidung politischer Fragen nicht aus. Das bedarf Expertise und eingehender Beschäftigung mit Themen. Es erfordert Arbeit, für deren Erledigung die Politiker vom Souverän, das heißt dem Volk, besoldet werden.
Die meisten Bürgerinnen, die nicht hauptberuflich Politik treiben, haben dafür bestenfalls in Einzelfällen genügend Zeit; die Ressourcen des Parlaments, die Unterstützung von Forschungsinstituten und Kammern stehen nicht jedem zur Verfügung. Deswegen gibt es politische Repräsentation: nicht zum Schwimmen in einem ständig abgefragten Meinungsstrom, sondern für eine bestimmte Arbeit, an deren Ende Entscheidungen für unser Land stehen.
„This is change“
John F. Kennedy hatte 1963 die Bürgerrechtsgesetzgebung zur Gleichstellung der Rassen auf den Weg gebracht. Umfragen zeigten, dass es in der Bevölkerung keine Mehrheit dafür gab. Seine Antwort auf eine entsprechende Journalistenfrage: „Zu diesem Thema kann man nicht mit Blick auf die Schlagzeilen in den Zeitungen jede zweite oder dritte Woche die Temperatur messen. This is change. Change always disturbs.“
Veränderungen stören immer. Es geht darum, Entscheidungen zu wichtigen Fragen zu erarbeiten, diese dann zu kommunizieren, zu argumentieren und Mehrheiten zu überzeugen. Politikerinnen können parteiübergreifende Mehrheiten wagen, auch jenseits von Koalitionen. Ihre Arbeit hat viele mögliche Aspekte und Interventionen. Sie müssen genützt und bespielt werden. Dazu braucht man Gespür; nicht nur für das vermeintlich Machbare, sondern für das Notwendige.
Seien wir mehr wie Kennedy.
VEIT DENGLER ist Unternehmer. Bis Ende 2021 war er COO der Bauer Media Group, zuvor leitete er die Mediengruppe der Neuen Zürcher Zeitung. Dengler war Gründungsmitglied, stellvertretender Parteivorsitzender und Geschäftsführer von NEOS.