Was Lehrkräfte wirklich brauchen würden
Was finden Lehrkräfte so spannend an ihrem Beruf, was abschreckend? Und was muss die Bildungspolitik verstehen, um mehr Menschen in den Beruf zu bringen? Nina Poxleitner vom Sozialunternehmen wirkt. hat sich im Bildungssystem umgehört.
Lehrerin und Lehrer – kaum ein Beruf hat mehr Verantwortung, keiner prägt kommende Generationen so stark.
Darum ist es auch wichtig, die Herausforderungen des Lehrberufs zu verstehen und herauszufinden, was gut und weniger gut funktioniert. Die Dachmarke für soziale Innovation wirkt. hat im Rahmen eines partizipativen Innovationsprozesses 2022 gemeinsam mit der MEGA Bildungsstiftung und der Sinnbildungsstiftung Fragen zur Zukunft der Profession von Lehrer:innen gestellt: Wie wird der Lehrberuf zum Traumberuf der Zukunft? Welche Eigenschaften soll eine richtig gute Lehrperson mitbringen? Und warum wollen zu wenige Personen Lehrer:innen werden?
Das Ziel des Innovationsprozesses: eine Lösung finden, die das Bildungssystem in Österreich nachhaltig verändern kann. Dazu haben neben intensiver Recherche, Interviews mit 15 Expert:innen, Lehrer:innen, Meinungsbildner:innen aus dem Bildungsbereich und zwei Design-Thinking-Abende mit 35 Personen aus der Bildungswelt stattgefunden. Daraus sind 200 Ideen entstanden – eine Hotline für Lehrkräfte, bei der sie anonym ihre Sorgen und Probleme schildern können, wird etwa bereits umgesetzt.
wirkt. hat im Prozess nicht nur kreative Ideen, sondern vor allem interessante Spannungsfelder gefunden. Eines ist besonders stark ausgeprägt:
„Man wird Mitglied eines jahrhundertealten Systems, das keiner marktwirtschaftlichen Logik folgt. Die Organisation Schule ist anders als jedes Wirtschaftssystem.“
Woran es im Lehrberuf hakt
Im Vergleich zu anderen Professionen wirkt das Lehrer:innen-Bild verstaubt. Die systemischen Gründe für die Unattraktivität des Lehrer:innen-Berufs sind vielfältig: Karrieremöglichkeiten und Aufstiegschancen fehlen, es gibt keine finanziellen Anreize für Zusatzämter und wenige inspirierende Führungspersönlichkeiten. In Teams wird in Schulen selten gearbeitet. Die Strukturen sind starr und hierarchisch. Vor allem bei repetitiven, administrativen Tätigkeiten kommt es zu Zusatzstunden. Die Arbeitsplätze sind meist klein, oder es sind gar keine persönlichen Arbeitsplätze vorhanden, und auch die technische Ausstattung in den Klassenzimmern hat sich in den letzten Jahren wenig verändert – erst seit der Pandemie kommt langsam Veränderung. So lassen sich die Antworten der 15 Befragten zusammenfassen.
Trotz systemischer Herausforderungen sind österreichische Lehrer:innen mit ihrem Beruf zufrieden. 96 Prozent in der Sekundarstufe 1 (5.-8. Schulstufe) geben an, alles in allem mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein. Das war zumindest das Ergebnis der TALIS-Studie 2018. Ob und wie sich das in den letzten Jahren verändert hat, wird sich 2024 durch eine internationale Vergleichsstudie zeigen.
Sicherheit reicht den Jungen nicht
Spannend ist der Blick in die Zukunft: Was sind die Anforderungen der nachkommenden Generationen an einen Traumjob? Und welche Attribute muss ein Beruf haben, damit sich qualifizierte Absolvent:innen dafür entscheiden? Der Stifterverband hat zusammen mit McKinsey 432 deutsche Einser-Schulabsolvent:innen im Jahr 2021 befragt, welche Anforderungen sie an ihren Beruf haben, ihre Antworten wurden den Erwartungen an den Lehrberuf gegenübergestellt. Das Ergebnis: Unter den Top-5-Antworten der Befragten wird nur der Punkt „Sicherheit“ stark mit dem Lehrberuf assoziiert. Die restlichen als sehr wichtig eingestuften Attribute finden sich im Lehrberuf-Ranking allesamt in der unteren Hälfte.
Das Ergebnis verdeutlicht, dass die Wahrnehmung des Lehrberufs bei qualifizierten Schulabsolvent:innen unattraktiv ist. Der Job schafft es zur Zeit nicht, ambitionierte junge Menschen zu motivieren, einen Karriereweg als Lehrkraft einzuschlagen.
„Es gibt keine systematisch etablierte, professionelle Schulentwicklung. Keine Kultur der Organisationsentwicklung.“
Welche Eigenschaften Lehrkräfte brauchen
Das eine sind die Attribute des Berufs, das andere die Eigenschaften, die Lehrkräfte selbst für ihre Profession mitbringen sollten. wirkt. hat im Interview danach gefragt. Nicht verwunderlich war die häufigste Antwort „Freude im Umgang mit Kindern“, dicht gefolgt von Resilienz. Die Expert:innen, Lehrer:innen und Meinungsbildner:innen aus dem Bildungsbereich haben außerdem „organisatorische Fähigkeiten”, „Empathie”, „Innovationsgeist”, „Offenheit für Neues”, „Lust auf lebenslanges Lernen”, „Fokus auf das Unterrichten und weniger auf das Fach” und „interkulturelle Kompetenz” genannt.
Eigenschaften und Kompetenzen, die derzeit kein Muss sind, um den Berufsweg Lehrkraft einzuschlagen. Gerade im starren System Bildung liegt die Veränderungskraft bei individuellen Lehrkräften, die in jeder Unterrichtsstunde einen Unterschied machen. Die befragten Expert:innen sind sich einig: Zukünftige Lehrkräfte für die Ausbildung nach ihren Fähigkeiten auszuwählen, wäre eine positive Veränderung. In Zeiten, in denen zukünftige Lehrkräfte zum Mangelberuf werden, ist das aber utopisch.
„Es werden die Probleme im Bildungsbereich schneller kommen als der Staat Lösungen findet. Deshalb brauchen wir innovative Lehrkräfte.”
Der Lehrberuf braucht ein besseres Image
Zwischen den Spannungsfeldern der systemisch geprägten Unattraktivität des Lehrberufs und der hohen Zufriedenheit der Lehrkräfte selbst mit ihrer Arbeit, der Erwartungen der neuen Generation an ihren zukünftigen Job, der Möglichkeiten, die der Beruf gerade bietet, und der Fähigkeiten, die Lehrer:innen für ihren Beruf mitbringen sollten und dem Mangel an Lehrkräften, kam eine Frage immer wieder auf: Warum ist das Ansehen der Lehrer:innen in Österreich so schlecht?
Lehrkräfte prägen kommende Generationen. Damit haben sie einen der verantwortungsvollsten Berufe überhaupt. Sie gestalten die Welt von morgen. Trotzdem wird die Arbeit von Lehrer:innen nicht wertgeschätzt. Laut der TALIS-Befragung gaben nur 16 Prozent der Lehrkräfte an, dass ihr Beruf in der Gesellschaft geschätzt wird. Woher kommt diese negative Stimmung gegenüber dem Berufsstand, der wie kein anderer unsere Zukunft gestaltet? Und viel wichtiger: Wie können wir das Image des Lehrberufs ändern?
Eine Antwort auf diese Frage zu finden, wird zukunftsweisend für das österreichische Bildungssystem sein. Dafür braucht es aber den Mut, Innovationen auszuprobieren und zu übernehmen, wenn sie funktionieren.
NINA POXLEITNER studierte internationales Management und hat zwei Jahre lang als Teach for Austria Fellow an einer Mittelschule in Wien unterrichtet. Danach wurde sie zur Sozialunternehmerin und co-gründete „More Than One Perspective“ – ein Social Business, das gut ausgebildete Geflüchtete an Unternehmen vermittelte. More Than One Perspective wurde größer und 2022 erfolgte die Umgründung zu „wirkt.“, eine Dachmarke für Projekte rund um soziale Innovation. Fünf dieser Projekte gibt es bereits. Das große Ziel ist, Lösungen für die größten Herausforderungen im Bildungs- und Integrationsbereich zu finden, zu testen und systematisch zu verankern.