Wie liberal ist … Hafermilch?
Bei der Art und Weise, wie Kaffee getrunken werden soll, scheiden sich die Geister. Manche sind der Meinung, dass nur die Methode, die sich in Italien von der Großstadt bis zur entlegenen Autobahnraststation qualitativ durchzieht, zur Anwendung kommen sollte: kurz, stark, ohne Milch. Diese Reduktion nennt man dort einfach „Caffè“, was sie konsequent zur reductio ad absurdum macht. Kaffee existiert nämlich in vielen Varianten, von denen keine richtiger ist als die andere.
Auch ohne Milch: Eine grundsätzliche Laktoseintoleranz geht mit dem Kaffeetrinken nicht einher. Manche sind sogar der Ansicht, dass eine Aufweißung und -schäumung ausschließlich mit Kuhmilch vorgenommen werden darf, auch unweit über die Grenzen Italiens hinaus, beispielsweise über den passo del Brennero, der den deutschsprachigen Teil des Landes vom nicht deutschsprachigen Teil Österreichs trennt.
Hat Andreas Hofer, unter eingefleischten Tirolern gerne als „18-er“ bezeichnet, Hafermilch getrunken? Bestimmt nicht. Hafer wird dort keiner angebaut, nicht einmal für die Kühe, aus denen die Milch herausgepresst wird. Heilig ist im Land des Adlers, dessen rotes Gefieder mit dem Blut der Feinde getränkt ist, auch die Milch – nicht aber ihre Erzeugerin. Das Produkt der Bergwiesen wird überall im Land und auch im Kaffee der besten Skihütten einer Bestimmung zugeführt, die mitunter Alm-Kaffee genannt wird.
Alm-Kaffee ist nicht gleich Alm-Kaffee
Und dann gibt es Leute wie mich, die es gewöhnt sind, in der Früh große Mengen Gebrühtes zu trinken. Da komme ich mit ein paar raststät- und großstädtischen Espressos (Chill, der Plural steht so im Duden) nicht weiter. Um meinem Körper die ausreichende Menge an Flüssigkeit zuzuführen, die er nach dem Aufstehen verlangt, bräuchte ich ja ca. 17 davon, also strecke ich meinen Caffè nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Milch, die aus Pflanzenkörnern gepresst wird. Nach vielen Tests mit verschiedenen Produkten bin ich bei der Hafermilch angelangt. Sie schmeckt mir einfach am besten.
Es geht hier ja nicht um mich, aber beim Alm-Kaffee habe ich naturgemäß etwas mitzureden. So wie jede und jeder andere auch, denn es gibt kaum etwas, was mehr Geschmackssache ist als Essen und Trinken, gepaart mit höchstindividueller Höchstkompetenz. Wo andere beim vermeintlich Fehlkonsum von Nahrungs-, Rausch- und Genussmitteln als Unbeteiligte für sich selbst einen Schaden feststellen wollen, bleibt eines der großen Rätsel der Zivilisation. Ihnen sei JJ Rousseau nahegelegt: „Sorge für dein Wohl mit so wenig Schaden für andere wie möglich.“
Nur von der Kuh, nicht vom Kaschu
Ob man nun seinen Kaffee gestreckt oder ungestreckt, verlängert oder verkürzt, gezuckert oder ungezuckert – Freiheit endet übrigens ordoliberal dort, wo Stevia beginnt – zu trinken pflegt, liegt im persönlichen Ermessen und der Fähigkeit, Flüssigkeit im Körper zu behalten.
Jetzt erstreckt sich dieser angewandte Ernährungsspielraum aber nicht darauf, dass die europäische Gesetzgeberin auch damit einverstanden wäre, die Palette der pflanzlichen Streckmittel so zu nennen, wie es alle machen: nämlich „-milch“. Dem Vernehmen nach können Konsumenten nicht zwischen Schafmilch, Kuhmilch, Scheuermilch, Bergbauernmilch (!), Mandelmilch, Kaschumilch, Wolfsmilch und Hafermilch unterscheiden, wenn Milche nicht aus den Drüsen von Säugetieren stammen und im Lebensmitteleinzelhandel trotzdem so genannt werden.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die unternehmerische Freiheit werden an diesem Punkt nicht nur überschießend, sondern auch völlig ineffektiv eingeschränkt. Gebinde und Markenkommunikation der Haferdrinks ähneln ihren tierischen Artgenossen nämlich sehr stark, aber immerhin hält man sie nicht für Alkohol oder Zigaretten. Auch die Verhältnismäßigkeit ist zu hinterfragen: Wer beim Einkaufen nach der Glasflasche greift und versehentlich den Schärdinger Haferdrink erwischt, kann schon mal einen „Schaden“ von 2,49 Euro einfahren. Der Markt hätte das günstiger und nachhaltiger geregelt als die EU.
NIKO ALM war Herausgeber von Vice, Gründer der Agenturgruppe Super-Fi und zuletzt Geschäftsführer der investigativen Rechercheplattform Addendum. Aktuell ist Alm mit Average unternehmerisch tätig. Von 2013 bis 2017 war er für NEOS Abgeordneter zum Nationalrat mit den Schwerpunkten Medien, Wirtschaft, Weltraum und Kultur. Darüber hinaus engagiert sich Niko Alm in mehreren Initiativen für Laizität. 2019 veröffentlichte er sein erstes Buch „Ohne Bekenntnis – Wie mit Religion Politik gemacht wird“.