Wie schlecht ist eigentlich unser Studium?
Studieren ist für viele Schüler:innen ein großer Traum, von dem sie nur noch die Matura trennt. „Im Studium wird alles besser“, beschwert man sich über das marode Schulsystem, in dem man sich tagein, tagaus abquält, seit man denken kann. Bald, so die Hoffnung, kann man selbstbestimmt lernen, was, wie und wo man will. Noch unwissend, was auf einen wartet, fragt man sich bald, was an einem Studium wirklich „befreiend“ ist.
Was heißt „lost“ auf Akademisch?
Nachdem man also semi-interessierten Lehrer:innen für die überhypte Matura erklärt hat, wie ein Daktylus rhythmisiert und man sich den wichtigsten biologischen Merksatz von Siekevitz „Das Mitochondrium ist das Kraftwerk einer Zelle“ für immer ins Unterbewusstsein gelehrbucht hat, arbeitet man sich durch die kryptische Internetpräsenz verschiedenster Universitäten des Landes. Und stellt dabei fest: Lesen hat man zwar gelernt – man hinterfragt sich dennoch selbst hinsichtlich des im PISA-Test als Lesekompetenz bezeichneten Leseverständnisses, sobald man sich erst durch die akademisch klingenden Buchstabenkombinationen auf den Internetseiten kämpft.
Curriculum, Immatrikulation, Prüfungsimmanenz – das sind nur einige der vielen Erzeugnisse akademischer Überheblichkeit, stets möglichst komplexe Wörter für die einfachsten Dinge finden zu müssen. Der erste Eindruck: Irgendwie ist man ziemlich lost, obwohl man doch maturiert hat – was auch immer „lost“ auf Latein heißt.
Mit Uppers und Downers über den Winter
Nachdem man also zig Stunden in die Einschreibung zu Lehrveranstaltungen über intransparente und antiquarische Anmeldesysteme investiert hat, darf man euphorisch der ersten Vorlesung entgegensehen.
Den ersten Downer erlebt man um 7:45 Uhr im großen Hörsaal, der einen sprichwörtlich direkt auf den Boden befördert. Da ist nämlich noch Platz – im Gegenteil zu den dicht gestellten, unbequemen und allesamt besetzten Sesseln und der rappelvollen Treppe. Beide wurden schon eine Stunde vor Vorlesungsbeginn von Studienkolleg:innen belagert. Man wird allmählich von einer demotivierten Lehrkraft neben tausend anderen Erstis im zum Bersten gefüllten Hörsaal zur ersten Vorlesung in der Studieneingangsphase willkommen geheißen.
„Fühl’s richtig“, schreibt man ironisch und voller Selbstmitleid auf Snapchat an alle Kontakte – viele von ihnen Schicksalsgenoss:innen. Die stickige Luft wird von Räuspern, kontinuierlichen Tastaturgeräuschen und vom mechanischen Hall der schlechten Tonanlage des ebenso überforderten Lehrenden erfüllt, der viel zu viele Studierende mit viel zu unspannenden Informationen beschallen muss, ohne jemals auch nur ansatzweise eine Beziehung zu einer einzigen Person aufbauen zu können – und da reden wir noch gar nicht von der Möglichkeit, nicht nur Lehrstoff, sondern Wissen und Verständnis zu vermitteln.
Enttäuscht „hittet“ der nächste Downer, wenn nach dem Frustrationserlebnis – genannt Vorlesung – der überteuerte Kaffee aus dem Automaten auch eher verzichtbar als belebend schmeckt. Nach wenigen Tagen stellt man aber fest: Irgendwie muss man sich in der überfüllten Bib wachhalten, um für die vollkommen sinnlose Knock-out-Prüfung zu lernen; die ist ja notwendig, weil so viele Studierende gar nicht ins nächste Semester kommen können. So heißt es zumindest empathielos in einer Ansprache des Professors zur „natürlichen Selektion an der Uni“.
Wenn man dann durch stumpfsinniges Bulimie-Lernen glücklicherweise nicht zu den 75 Prozent gehört, die mit einem „Nicht genügend“ wenigstens die Freiheit bekommen haben, die Uni zu verlassen, darf man sich getrost von allem geistig befreien, was man für die STEOP gelernt hat: Man begegnet den meisten Inhalten eh im Verlauf des Studiums noch einmal, und dann hoffentlich auch in der nötigen Tiefe, um die Inhalte verstehen zu können und nicht nur auswendig lernen zu müssen. Man nennt die Studieneingangs- und Orientierungsphase STEOP liebevoll auch Studierendenerniedrigungs- und Oberflächlichkeitsperversion. Man fragt sich frustriert: „Wo sind eigentlich die Uppers?“
Es wird besser. Oder?
Wenn man sich dann von der präakademischen Freiheitssuche des Schüler-Ichs mit dem Leitsatz „Im Studium wird alles besser“ weinenden Auges endgültig verabschiedet hat, streitet man sich mit sinnlosen Voraussetzungsketten herum, muss in Seminaren mit Anwesenheitspflicht sitzen, wo sogar die Lehrkraft lieber abwesend wäre, und darf in Vorlesungen zum x-ten Mal feststellen, dass es offenbar für viele Professor:innen die höchste Kunst der Macht ist, zwei Knöpfe auf einem Display zu drücken. Der eine startet den Livestream – der andere die Aufzeichnung.
Ach ja, dem oberflächlich angekratzten Lehrstoff der STEOP begegnet man wirklich wieder, und man geht auch in die Tiefe. Zwei Meter circa, manchmal auch drei, wenn’s ganz wild zugeht. Nach drei Semestern Selbstbetrug, dass ja eigentlich alles nicht so schlimm ist, es vielleicht an einem selbst liegt und dass es vielleicht im nächsten Semester endlich freier und besser wird, ist der Fokus doch längst jedem unterbewusst klar und jede liberale Illusion zerstört: Einfach durchziehen, um Titels Willen!
Zum Absch(l)uss freigegeben
Wenn man sich dann durch teils viel zu schwere und teils viel zu leichte Prüfungen eine willkürliche Anzahl an ECTS erkämpft hat, und (kurzfristiges) Wissen, aber kein (langlebiges) Können bewiesen hat.
Wenn man 20 Seminararbeiten zum selben Thema geschrieben hat, wie hundert andere Studierende vor, während und nach einem.
Wenn man dieselben Beispiele ausrechnen muss wie der Bekannte eines Bekannten eines Bekannten vor 60 Jahren.
Wenn jeder feurige Erfindergeist, jede blühende Kreativität und jeder nicht endende Ideenreichtum durch restriktive Curricula und stromlinienförmige Lehrformate gleichzeitig gelöscht, verdorrt und für immer gestoppt wurde.
Dann – dann kann man sich die Frage beantworten, wie liberal das Studium in Österreich ist, und darf sich nach einem bürokratischen Marathon den Abschluss holen. Man hat nun einen akademischen Titel, viel mehr ist das aber auch nicht. Man hat studiert, aber hängen geblieben ist nichts. Man hat studiert – aber man kann nichts. Man wird nach einem verschulten, veralteten und vollkommen durchreglementierten Studium in die Welt entlassen und zum kompetitiven Abschuss am Arbeitsmarkt durch all jene freigegeben, die in einem besseren Bildungssystem einen freien Studienweg beschreiten – und dabei tatsächliche Selbstentfaltung erleben durften.
Man fragt sich zu Recht: Kann das nicht auch fundamental anders ablaufen? Und sollte man vielleicht doch die Chance nutzen und eine Vertretung wählen, die genau das ändern will?
LUKAS SCHOBESBERGER hat Wirtschaft und Soziologie studiert und macht aktuell einen Wirtschaftsmaster in Organization Studies in Innsbruck. Er befasst sich primär mit Bildungspolitik, explizit mit dem Hochschulbereich. Seit vier Jahren ist er für JUNOS in der ÖH aktiv – zwei Jahre davon als Stellvertretender ÖH-Vorsitzender. Bei der ÖH-Wahl 2023 ist er Spitzenkandidat der JUNOS-Studierenden.