Wie sinnvolle Digitalisierung in der Schule aussehen könnte
„Dann brennen Sie Ihre App doch auf eine CD.“
Diesen ernst gemeinten Ratschlag habe ich bekommen, als ich meine App-basierte Lernplattform im Bildungsministerium vorgestellt habe. Zu dieser Zeit wurde sehr viel über notwendige Digitalisierung in der Schule gesprochen. Daher dachte ich, ich würde mit offenen Armen empfangen, wenn ich mit einem gut bewerteten und erprobten Produkt frischen Wind ins Schulsystem bringen möchte.
Leider war es damals, 2017, nicht möglich, dass Schulen rein digitale Produkte gleichwertig wie Schulbücher finanzieren. Was aber schon funktionierte, war, physische Dinge zu verkaufen – also z.B. CDs.
Nun, sechs Jahre später und drei Jahre nach Beginn der Covid-Schulschließungen hat sich bestimmt schon viel getan. Da ging ja ein Aufschrei durch die Lehrerschaft, und händeringend wurde nach digitalen Lernplattformen gesucht.
Alle namhaften Lernplattformen haben zu Beginn der Corona-Pandemie ihre Produkte kostenlos zur Verfügung gestellt. Es ging ums Helfen in einer Notsituation, nicht darum, Geschäfte zu machen. Während danach allerdings Schulbuchverlagen für die Bereitstellung von PDFs als E-Books eine Million Euro refundiert wurde, schauten rein digitale Anbieter durch die Finger.
Trotz Pandemie kaum Fortschritt
Für rein digitale Produkte gibt es noch immer keine gleichwertige Finanzierung im Schulsystem. Es wurde zwar ein von der EU mitfinanziertes Projekt ins Leben gerufen, um aufzuzeigen, wie das möglich wäre – das endete aber mit der Conclusio, dass man noch mindestens drei bis fünf Jahre bräuchte, um dies auf die Beine zu stellen. Und das nur, wenn Österreich jetzt mit der Digitalisierung im Schulsystem beginnen würde.
Ein halbes Jahr nach Projektende – im Herbst 2023 – wurde damit noch nicht begonnen. Das heißt, frühestens 2026–2028 könnte man damit rechnen, dass Schüler:innen in Österreich von digitalem Lernen profitieren. Beinahe 30 Jahre nach Beginn des 21. Jahrhunderts, des Digitalzeitalters!
Digitales Lernen: Was ist das eigentlich?
Die Idee geht weit über das bloße Erstellen von Word- oder Excel-Dateien hinaus. Es heißt auch nicht, dass man statt Büchern nun PDF-Dateien liest und mit Beamern auf Whiteboards projiziert, noch sich Videos statt auf VHS-Kassetten auf YouTube anschaut.
Digitales Lernen unterstützt Schüler:innen im Lernprozess auf vielfältige Weise. Digitale Lernprogramme machen Inhalte niederschwellig über das Smartphone zugänglich und animieren zum zeitversetzten Wiederholen, um sich Lerninhalte auch wirklich langfristig zu merken. Sie wissen, was Schüler:innen schon gut können, und wo sie noch Unterstützung brauchen. Und sie geben Lehrkräften die Möglichkeit, die Fähigkeiten der Schüler:innen individueller zu fördern, indem sie ihnen repetitive Aufgaben abnehmen.
Letztendlich helfen sie Schüler:innen, besser, einfacher und motivierter zu lernen, als es mit herkömmlichen Mitteln überhaupt möglich ist. Ein Schulbuch weiß nicht, wo die Schüler:innen aufgehört haben zu lesen, welche Texte sie verstanden haben und über welche Aufgaben sie immer wieder stolpern.
Keine Konkurrenz zu Lehrkräften und Büchern
Ein herkömmliches Schulbuch hat zweifelsohne seine Berechtigung: Man kann es angreifen, umblättern, hineinschreiben, es anschmieren. Schulbücher wurden durch die Begutachtungsverfahren jahrzehntelang so verbessert, dass sie pädagogisch und didaktisch gut aufgebaut sind. Vergleichen Sie einfach Schulbücher aus den 1970er Jahren mit aktuellen. Eine ganz andere Welt.
Und ohne Lehrer:innen geht es nicht: Sie vermitteln an physischen Orten auch soziale Kompetenzen, nicht nur Wissen, und im Idealfall auch kritisches Denken. Kinder leben und lernen von Begegnungen mit ihren Mitmenschen in ihrem sozialen Umfeld. Das ist gut und wichtig so.
Aber warum muss ein:e Lehrer:in jeden Abend die gleichen Grammatikübungen korrigieren? Warum muss sie Lernfortschritte manuell in Listen eintragen? Warum soll sie stundenlang Schularbeiten erstellen und diese dann händisch verbessern?
Sie könnte doch ihre Zeit viel mehr dafür nutzen, was keine KI, kein Computer schafft: die Persönlichkeit der Schüler:innen zu erkennen, Talente zu wecken, Mut zu machen, Selbstbewusstsein zu schaffen, Probleme zu besprechen und den Unterricht so zu gestalten, dass er wirklich sinnvoll ist und Flügel hebt.
Digitale und analoge Lernmittel gleichstellen
Notwendig sind keine Investitionen in teure Infrastruktur, Whiteboards, WLAN oder Laptops. Die gab es teilweise schon – die Endgeräte werden aber nur spärlich genutzt, da noch keine sinnvollen digitalen Lerninhalte dafür finanziert wurden.
Was es wirklich braucht, ist die Gleichstellung von analogen und digitalen Lernmitteln in der Schulbuchaktion. Digitale Lernplattformen, die viel mehr schaffen als ein bloßes Buch, sollten zumindest die gleichen Möglichkeiten haben, von Lehrer:innen finanziert zu werden.
Die entsprechende Qualitätskontrolle ist noch ungeregelt, aber mit der Gütesiegel-Lern-App gibt es bereits ein gutes System. Ein Problem daran: Pro Anbieter dürfen nur Lernmaterialien für maximal drei Schulfächer pro Jahr eingereicht werden, während es für analoge Schulbücher keine solche Beschränkung gibt und im Jahr pro Verlag dutzende Titel eingereicht werden.
Zum Vergleich: Die Lehr- und Lernplattform eSquirrel hat derzeit 220 digitale Titel, abgestimmt auf österreichische Schulbücher und Schulfächer. Mit der Beschränkung auf drei Einreichungen pro Jahr wurden in den letzten Jahren acht ausgezeichnet. Damit alle jetzt verfügbaren Titel ausgezeichnet werden können, würden 80 Jahre vergehen. Das wäre im Jahr 2100. Mal abgesehen davon, dass jährlich auch etliche neue Kurse dazukommen.
Verspäteter Aufbruch ins digitale Zeitalter
Im Bereich digitales Lernen muss sich Österreich jetzt bewegen – und nicht erst in drei bis fünf Jahren, wenn überhaupt. Leider werden Themen wie Bestellsysteme, Abrechnungsverfahren oder Loginsysteme vorgeschoben, warum digitale Lernmittel noch nicht sinnvoll finanziert werden können. Alle Lernplattformen haben diese Themen aber schon heute gelöst und funktionieren.
Es spricht nichts dagegen, diese Themen bundeseinheitlich zu regeln. Aber es spricht sehr viel dagegen, diese Punkte als Ausrede zu verwenden, um nichts zu tun. Denn dann würde einer ganzen Generation von Kindern und Jugendlichen, die in einer digitalen Welt aufwächst, eine Chance entgehen. Nämlich die, digital gestütztes Lernen schnell, einfach und kosteneffizient zu nutzen.
MICHAEL MAURER ist CEO und Co-Founder des EdTech-Unternehmens eSquirrel. Er hat an der TU Wien promoviert und mit seiner Plattform mehr als 100.000 Schüler:innen und Lehrer:innen den Unterrichtsalltag erleichtert. Er setzt sich für eine sinnvolle Digitalisierung in Österreichs Schulen ein und strebt die Gleichstellung von analogen und digitalen Lernmitteln an. Michael lebte in Brüssel, New York und Košice, nun Niederösterreich und Wien.