Wir reden zu wenig über Femizide
In den Hinterkopf geschossen. Erstochen. Mit einer Gewichtshantel erschlagen. Erwürgt. Erdrosselt. Erstickt. Überfahren.
Wenn man liest, auf wie viele verschiedene Arten vergangenes Jahr mehr als 28 Frauen von Männern ermordet wurden, wird einem zu Recht übel. Es ist nicht so, als ob wir allgemein nicht genug über diese Gewalttaten und Femizide gesprochen oder gelesen hätten. Von den Medien wurden diese Grausamkeiten sehr wohl aufgegriffen und ausgeschlachtet. Leider werden sie aber immer noch oft mit Begriffen wie „Beziehungsdrama“, „Familientragödie“ oder „Beziehungstat“ kontextualisiert. Diese Art von Berichterstattung ist unpassend, verharmlosend und kaschiert, was diesen Taten wirklich zugrunde liegt.
Femizid. Das ist das Wort, das wir verwenden sollten, um in Worte zu fassen, was einem regelrecht die Sprache verschlägt.
Was ein sexistischer Witz mit einem Frauenmord zu tun hat
Femizid bezeichnet die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts. Die Definition geht auf die südafrikanische Soziologin und Autorin Diana Russell zurück. Femizid ist nicht einfach ein Synonym für Frauenmord. Der Begriff wird benutzt, um sichtbar zu machen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein gesellschaftliches Problem, das System hat. Es ist ein System, in dem Frauen zu Objekten und Besitz degradiert werden. Dem zugrunde liegen patriarchale und misogyne Denkmuster und Strukturen: Wenn Frauen gegen traditionelle patriarchale Rollenvorstellungen verstoßen, begeben sie sich wortwörtlich in Lebensgefahr.
Gewalt an Frauen beginnt nicht beim Mord. In vielen Fällen erfahren die Opfer schon vorab physische, soziale, strukturelle, sexuelle und ökonomische Gewalt. Femizide sind der traurige Höhepunkt einer Gewalt-Pyramide aus sexistischen Kommentaren, frauenfeindlicher Sprache, Diskriminierung und sexueller Belästigung. Die Verharmlosung dieser Basis der Pyramide hat tödliche Konsequenzen und bildet das Fundament für Männergewalt.
Gemeinsamer Nenner: Männergewalt
Männergewalt ist auch ein Begriff, der im letzten Jahr noch zu wenig benutzt wurde. Genau wie das Wort Femizid macht „Männergewalt“ ein strukturelles Problem sichtbar, denn: Tödliche Gewalt ist fast ausschließlich männlich. Österreich ist dabei auch das einzige EU-Land, in dem jährlich mehr Frauen als Männer getötet werden.
Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienverhältnissen und Berufsgruppen. Was allen Formen von Männergewalt gemeinsam ist, sind patriarchale Rollenbilder und die Abwertung von Frauen. „Das Besitzdenken spielt eine große Rolle. Und dass man glaubt, Frauen sind grundsätzlich schon einmal minderwertiger als Männer in unserer Gesellschaft“, erklärt Maria Rösslhumer, die Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) in einem Interview mit Puls24.
In Österreich ist jede fünfte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die Täter sind dabei aber meist keine dunklen Gestalten, die an U-Bahn-Stationen Frauen auflauern, sondern Menschen im engsten Umfeld des Opfers. Bei den 28 Femiziden, die 2022 gezählt wurden, hatten bis auf eine Ausnahme alle Opfer eine Liebesbeziehung oder ein familiäres Verhältnis zum Täter. Die Täter sind Partner, Ex-Partner, (Ex-)Ehemänner, Verwandte oder Familienmitglieder. Statistiken zeigen, dass der gefährlichste Ort für Frauen leider oft ihr eigenes Zuhause ist. Der Ort, an dem man sich eigentlich sicher und geschützt fühlen sollte.
In Ermangelung einer plausiblen Erklärung wird oft versucht, das Problem in Richtung der vermeintlich „Anderen“ zu schieben, was von einer Fingerzeig-Mentalität zeugt, die sich z.B. in der starken Fokussierung auf den etwaigen Migrationshintergrund eines Täters widerspiegelt. Auch häufen sich unter Berichten von sexualisierter Gewalt im Internet immer wieder Kommentare mit der Aussage „nicht alle Männer“ bzw. dem dazugehörigen Hashtag #notallmen. Genau wie bei der Fokussierung auf den Migrationshintergrund wird dabei auf eine Diskursverschiebung abgezielt, die Betroffene zum Schweigen bringen soll und gesamtgesellschaftliche Maßnahmen und Fortschritte verhindert.
Es sind nicht alle Männer, aber es sind viel zu viele.
Reden statt reproduzieren
Wir haben im letzten Jahr viel über individuelle Gewaltverbrechen an Frauen gesprochen, leider aber immer noch zu wenig über die strukturellen Hintergründe. Durch die Verwendung von Wörtern wie Femizide und Männergewalt wird sichtbar, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Dass sexistische Witze im direkten Zusammenhang mit der Ermordung von Frauen stehen. Dass patriarchale Strukturen der Nährboden für Gewalt an Frauen sind. Und dass es sich hier um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, das durch geschlechterstereotype Rollenbilder und Misogynie perpetuiert wird. Es sind Hassverbrechen, denen ein System zugrunde liegt.
Um ein Problem in Angriff zu nehmen, muss es zuerst benannt werden. Das ist aber nur der allererste Schritt einer langen Reihe an Maßnahmen und gesamtgesellschaftlicher Arbeit, die es brauchen wird, um die erschreckend hohe Zahl der Femizide in Österreich nachhaltig zu senken. Dazu gehören zum Beispiel eine offizielle Zählung der Femizide (die machen bis heute nur die österreichischen Frauenhäuser), mehr Geld für Gewalt- und Opferschutzeinrichtungen, ein Ausbau von Männerberatungsstellen und intensivierte öffentliche Aufklärungsarbeit. Dabei bleibt keine Zeit für Schuldzuweisungen und Diskursverschiebungen.
Präventionsmaßnahmen müssen sich an alle Männer richten: Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienverhältnissen und Berufsgruppen. Sie ist ein Problem, das uns alle betrifft. Wenn wir uns von jeglicher Verantwortung und Mitschuld freisprechen und weiter tagtäglich patriarchale Rollenbilder reproduzieren, fördern wir diese Gewalt.
SOFIA SURMA ist Feministin, Gründerin und Vulva-Enthusiastin. Seit sie 2018 Viva La Vulva gegründet hat, beschäftigt sie sich intensiv mit der Enttabuisierung weiblicher* Sexualität und der Vulva. Auch als Gründerin des Vulva Shops setzt sie sich für die Gleichberechtigung und die Enttabuisierung der weiblichen* Sexualität ein.