30 Jahre EU – wo bleiben die Gefühle?
Servus Europa! Darunter die fröhlichen Gesichter von Thomas Klestil, Brigitte Ederer, Alois Mock und Erhard Busek, etwas ernster Franz Vranitzky und Franz Fischler. Das war die Ausgabe des Kurier vom 13. Juni 1994 über die Volksabstimmung zum Beitritt der EU. Etwas vergilbt habe ich diese Zeitung noch immer bei mir. Ich wusste damals noch nicht, dass ich einmal für diese Tageszeitung verantwortlich sein würde, ich war im ORF für alle politischen Magazine und Dokumentationen zuständig. Aber diese Ausgabe hat es auf der zweiten und dritten Seite für damals und für heute auf den Punkt gebracht: „Es gibt nur einen Gewinner – Österreich.“
Die Vorgeschichte zur Volksabstimmung hatte viele Facetten, die zum Teil auch noch heute in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielen: Die rot-schwarze Bundesregierung war eindeutig für den EU-Beitritt, aber nicht alle Veränderungen, die diese Mitgliedschaft mit sich bringen würde, wurden klar angesprochen. Zu diesem Zeitpunkt gab es nicht mehr nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, es war nach dem Vertrag von Maastricht, der seit 1. November 1993 in Kraft war, bereits eine Europäische Union, mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik. Davon wurde wenig geredet. Das lag zum Teil daran, dass damals alle dachten, der ewige Friede sei ausgebrochen, die „Friedensdividende“ sollte konsumiert werden. Aber dass wir aus der gelernten Neutralität in eine Solidarität wechseln würden, wollte auch niemand ansprechen. Damals war das verständlich, heute ist es unverzeihlich.
Appetit auf Europa
Die Sozialpartner erkannten die Chancen, sowohl für die Wirtschaft als auch für die Konsument:innen. Die Medien waren einflussreich, also bemühte sich Bundeskanzler Franz Vranitzky besonders um die Kronen Zeitung, die damals den Boulevard alleine bespielte. Die FPÖ mit ihrem wendigen Parteiobmann hatte kein Problem damit, von ihrer alten Linie abzuweichen und gegen die EU mobil zu machen. Der Populismus erreichte neue Tiefpunkte der Primitivität: FPÖ-Chef Jörg Haider erklärte, es drohe uns die „Schildlaus im Joghurt“. Damit wollte er den Menschen in Österreich den Appetit auf Europa verderben. Haider reagierte nach der Abstimmung beleidigt, mit Formulierungen, die noch heute verwendet werden: Die „rot-schwarze Einheitspartei“ und „gleichgeschalteten Medien“ seien schuld. So berichtete es der Kurier, also gar nicht gleichgeschaltet.
Die Vertretung der Landwirtschaft argumentierte sehr klar für die Mitgliedschaft, obwohl viele Bäuerinnen und Bauern der kommenden Konkurrenz skeptisch entgegenblickten, aber gleichzeitig wurde schon sehr genau auf die Förderungen aus Brüssel geschielt. Dass die Produkte der österreichischen Landwirtschaft höchste Qualitätsstandard hatten und haben, war für die Zustimmung aber auch wichtig.
Was mir damals schon gefehlt hat und heute noch viel mehr ist die emotionale Beteiligung an diesem einmaligen Projekt der langen europäischen Geschichte. Es wird viel über das Wachstum geredet, das uns die EU gebracht hat, die zusätzlichen Arbeitsplätze, die Möglichkeit, überall mitentscheiden zu können. Das ist schon alles bedeutend. Aber die europäische Einigung in Demokratie, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit ist viel mehr.
Aus der Geschichte lernen
Ich hatte die Möglichkeit, schon im Jahr 1981 fünf Monate lang in der Kommission in Brüssel ein Praktikum zu machen. Was ich dort über das Funktionieren der Verwaltung gelernt habe, war wichtig für mich. Aber wirklich geprägt haben mich das Zusammenleben mit jungen Leuten aus ganz Westeuropa und die Gespräche, die wir geführt haben. Die Generation unserer Eltern ist teilweise im nationalistischen Hass aufgewachsen, unsere Väter haben aufeinander geschossen, und wir sitzen hier im Frieden und reden darüber, wann Spanien und Portugal, ehemalige Diktaturen, beitreten werden, wie Europa in den kommenden Jahrzehnten aussehen wird, und was wir dazu beitragen können.
Für die jüngeren Generationen sind diese Gespräche heute unvorstellbar. Aber sie erleben jetzt auf einmal nationalistisches Geschrei, revisionistische Tendenzen des ungarischen Autokraten Orbán, der sich gerne vor der Karte „Groß-Ungarns“ zeigt, die Ablehnung europäischer Institutionen wie des Parlaments und der Europäischen Gerichtsbarkeit. Dem müssen wir natürlich mit klaren Argumenten entgegnen, wie sehr wir von diesem Europa profitieren. Aber wir brauchen auch mehr Emotion. Die Vielfalt Europas auf einer relativ kleinen Fläche ist einmalig auf der Erde, viele junge Menschen, die etwa ein Erasmus-Studium absolvieren können, profitieren davon. Diese Vielfalt der Sprachen, der Kulturen, der Geschichte verbindet uns, wenn wir sie nur richtig verstehen. Dann führt sie auch zu der Solidarität, die wir in Europa leben müssen, wenn wir alle uns sicher fühlen wollen.
Der russische Angriffskrieg und die genozidalen Aggressionen gegen die Menschen in der Ukraine, die wir im russischen TV hören, müssen uns klar machen, dass wir uns gemeinsam schützen müssen. Solidarisch. Putin führt auch gegen uns in Österreich bereits einen hybriden Krieg, hat der Brigadier des Bundesheers Ronald Vartok bei der Präsentation des Sicherheitsberichts Ende Jänner 2025 erklärt. Sicherheit in Europa gibt es nur gemeinsam und solidarisch. Dass die FPÖ auch hier dagegen ist, überrascht nicht weiter. Aber dass die ehemalige Europapartei ÖVP das auch nicht deutlich sagt, zeigt, dass es hier eine enorme Angst vor Klarheit gibt. So können wir kein gemeinsames Europa bauen.
30 Jahre EU sind eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, wie auch die 80 Jahre Zweite Republik. Sie wurde aufgebaut auf Erinnerungen an die Fehler der Ersten Republik, wirtschaftliche Leistungen, den sozialen Ausgleich, aber auch auf das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Genau dieses Gefühl fehlt mir oft in der öffentlichen Debatte in Österreich, auch 30 Jahre danach. Peter Rabl hat in der oben zitierten Ausgabe des Kurier geschrieben: „Jetzt hat auch die Generation der jungen Erwachsenen ihr Erlebnis eines historischen, patriotischen Datums. Was unseren Eltern der Staatsvertrag war, das ist für unsereinen seit gestern Österreichs Ja zu Europa.“ Um diesen Satz wahr zu machen, hätte die Politik gerade in den Jahren der Krise auf die vielen Vorteile hinweisen müssen, die aus der Friedensgemeinschaft Europa auch für uns entstanden sind. Mit Hirn und Herz. Eine Partnerschaft funktioniert auf Dauer nicht ohne positive Emotionen. Erst recht nicht in Zeiten der Krise.