Degrowth: Eine Schnapsidee aus dem Elfenbeinturm
„Degrowth“, oder „Post-Wachstum“, erfreut sich einer erstaunlichen Beliebtheit in akademischen Kreisen und bei Klimaaktivisten. Wenn man aber hinter die kuschelige Rhetorik blickt, findet man ein Sammelsurium an erstaunlicher Naivität, haarsträubendem Etatismus und Autoritarismus sowie ein „Worst-of“ der wirtschaftspolitischen Ideen des 20. Jahrhunderts.
Ein Gespenst geht um. Und obwohl es auf den ersten Blick voller guter Intentionen anmutet, erregt der Schaden, den es verursachen könnte, Furcht. Trotzdem erfreut sich Degrowth bei Klimaaktivist:innen und der akademischen Bubble, die sich mit dem Themenkomplex Nachhaltigkeit beschäftigt, großer Beliebtheit – und wird häufig als das einzig mögliche Mittel im Kampf gegen den Klimawandel gesehen.
Das Narrativ ist bestechend einfach: Aufgrund des Wirtschaftswachstums und übermäßigen Konsums, getrieben vor allem durch vergleichsweise wenige wohlhabende Menschen im „globalen Norden“, steigen Emissionen und Ressourcenverbrauch weltweit über ökologisch verträgliche Grenzen. Die einzige Möglichkeit, den daraus resultierenden ökologischen Zusammenbruch aufzuhalten: Von einer wachstumsorientierten Wirtschaft in eine „Post-Wachstums-Ökonomie“ zu kommen, wo ein gesteuertes Schrumpfen jener Wirtschaftsbereiche stattfindet, die als wenig essenziell oder „unnötig“ erachtet werden. Stattdessen werde der Fokus auf diffuse Werte wie zwischenmenschliche Beziehungen, lokale Wirtschaftskreisläufe, Lebensfreude usw. gesetzt. Dieses Narrativ wird entsprechend blumig verpackt: Es ginge um Demokratie und Freiheit vor kapitalistischem Leistungszwang, darum, zu teilen und zu „tanzen“. Es brauche „ausreichend für alle, Überfluss für niemanden“.
Worum es bei „Degrowth“ geht
Eingebettet ist das alles in linke Ideologiekonstrukte: Die „neoliberale, wachstumsorientierte“ Weltwirtschaft basiere demnach grundsätzlich auf „postkolonialer Ausbeutung“ von globalem Süden und Umwelt sowie Rassismus, Patriarchat usw. Die geplante Schrumpfung der Wirtschaft hat dementsprechend nicht nur das Ziel, Gesellschaft, Wirtschaft und Lebensweise in „biophysische Grenzen“ zu leiten, sondern auch gleichzeitig eine Reihe von Ungerechtigkeiten zu beheben und ein ökologisch verträgliches Utopia zu schaffen, das weder Diskriminierung, unmoralischen Exzess noch Armut kennt.
Wenn man sich mit der akademischen Literatur, Streitschriften oder auch nur mit Twitter-Accounts der internationalen und europäischen Ikonen der Bewegung auseinandersetzt – wie etwa Jason Hickel, Julia Steinberger, Kate Raworth, Matthias Schmelzer oder Timothée Parrique – ist schnell ersichtlich, dass dieser Aspekt der (vermeintlichen) sozialen Gerechtigkeit genauso im Mittelpunkt steht wie das Dogma, dass ein Entkoppeln von Wachstum, Emissionen und Ressourcenverbrauch grundsätzlich unmöglich sei. Dazu kommen allerhand fragwürdige Positionen: Klimawandel wird als reiner Klassenkampf definiert, es wird offen mit dem Kommunismus sympathisiert, oder die autoritären Regimes Chinas oder Kubas werden relativiert – weil sie ja nicht so schlimm wie US-Imperialismus oder Kapitalismus wären.
Die Degrowth-Bewegung gibt vor, für eine systemische Lösung gegen Klimawandel und ökologische Krisen zu stehen, ist aber in der Praxis untrennbar mit Ideen des linken Rands verbunden. Die sind im besten Fall haarstäubend naiv, im schlimmsten Fall außerhalb eines demokratischen Verfassungskonsenses. Die Bewegung schreibt sich Anti-Elitismus und den Kampf für „unterdrückte“ Klassen auf die Fahnen – wie bei vielen modernen linken Bewegungen merkt man aber schnell, dass ihre Verfechter:innen hauptsächlich praxisferne Akademiker:innen und Aktivist:innen aus dem staatlich finanzierten Elfenbeinturm sind, die einfache Lösungen für komplexe Probleme verkaufen, wenig Verständnis für volkswirtschaftliche oder finanzpolitische Zusammenhänge zeigen und linke Phrasen und Schablonen in die Welt posaunen. Sobald es aber um schwierige Details und Dilemmata, die praktische Umsetzung und Policy-Maßnahmen geht, kommt recht wenig.
Degrowth-Mythen widersprechen der Realität
Es gibt zahlreiche Gründe dafür, warum linke globale Gerechtigkeitsnarrative in der Praxis wenig haltbar sind: etwa dass der Wohlstand, der durch den globalen Kapitalismus geschaffen wurde, nachweisbar in den letzten 30 Jahren Armut, Kindersterblichkeit oder frühe Tode in weiten Teilen der Welt drastisch reduziert hat. Dass er die Stellung der Frau weltweit massiv verbessert hat oder – entgegen der ständigen Behauptungen – eine wirtschaftliche Machtverschiebung weg von westlichen Gesellschaften erwirkt hat.
Dass das einfache Weltbild des alles kontrollierenden, ausbeuterischen und verschwenderischen Westens so nicht stimmt, wird illustriert durch ehemalige Kolonien wie Katar, Malaysia oder Singapur, deren CO2-Fußabdruck längst auf oder über unserem Niveau liegt. Oder wollen wir über die Tatsache reden, dass der größte fossile Handelsstrom der Welt nichts mehr mit dem Westen zu tun hat? Oder lieber darüber, dass superreiche Investor:innen aus China oder dem Nahen Osten Unternehmen, Infrastruktur oder Wohnraum in Europa im großen Stil aufkaufen? Vage Konzepte über den „globalen Norden“ und darüber, wer wo für wen verzichten oder „gesundschrumpfen“ soll, fallen spätestens dann auseinander, wenn man diesen definieren soll – der arme Bauer in Polen darf keinen Diesel fahren, der Ölscheich schon?
Auch die Diskussion ob, wie oder zu welchem Grad Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch und Emissionen möglich sind, will ich hier nur anschneiden. Hier ist klar nachweisbar, dass viele westliche Staaten es geschafft haben, langfristig Emissionen und BIP-Wachstum deutlich zu entkoppeln – was entgegen dem häufigen Mantra nichts mit einer „Auslagerung“ von Emissionen, sondern besseren Emissionsstandards in Industrie und Verkehr sowie einer weitgehenden Abkehr von der Kohleverstromung und dem Ausbau von Erneuerbaren und Atomkraft zusammenhängt, wie Studien zeigen. Natürlich braucht es für Klimaneutralität viele weitere Bemühungen, und es gilt, auch andere Faktoren wie Boden- oder Ressourcenverbrauch zu betrachten. Aber auch da gab es weltweit Fortschritte – vor allem auch, weil technologische Innovationen und Marktwirtschaft Ressourcenverbrauch gesenkt und Effizienz gesteigert haben.
In der Praxis kaum haltbar
Die Degrowth-Bewegung gibt offen zu, dass sie „auffallend wenig konkrete Vorstellung hat“, wie der angestrebte Wandel in das vielseits erträumte Degrowth-Utopia in der Praxis vonstatten gehen soll. Wo es versucht wird, wie im angeführten Arbeitspapier, grenzt es an geschichtsvergessene Tragikomik. In einem Mix aus „zentralstaatlicher Planung und demokratischer Partizipation“ sollen Räte und Kommissionen eingesetzt werden, die darüber entscheiden, welche Wirtschaftszweige erhalten werden dürfen und welche schrumpfen müssen. Es geht darum, was angemessener Konsum und was Exzess ist, welche Wirtschaftsprozesse welche Ressourcen wert sind, wie „fair“ verteilt werden soll, welche Freiheiten in „kollektiv gesetzten Grenzen“ zugestanden werden sollen. Es geht also darum, welche Bedürfnisse jedem Menschen zustehen sollen. Abgerundet wird das Ganze mit Karl-Marx-Zitaten und Phrasen wie „Umverteilung von Überschüssen von Kapital zu Arbeit“, welche aus Lehrbüchern der DDR stammen könnten.
Haarsträubend sind hier natürlich nicht nur die massive Ineffizienz, aufgeblähte Bürokratie, garantierte Korruption, massive Rechtsunsicherheit, die unverarbeitbaren Datenmengen oder die politische Willkür, die in der Praxis unweigerlich folgen. Oder der massive staatliche Zwang, der für die Umsetzung notwendig wäre – und bei ähnlichen historischen Fällen immer kam. Es ist auch die vollkommene Ahnungslosigkeit, wie die volkswirtschaftliche Wertschöpfung zustande kommt, mit der im Westen lieb gewonnene Sozialsysteme finanziert werden. Kein Verständnis dafür, welche wirtschaftlichen Zusammenhänge und logistischen Prozesse unseren Lebensstandard ermöglichen, oder über die Art und Weise, wie der Staat am Finanzmarkt Kapital für seine Vorhaben bezieht.
Denn ein Staat, der nur ansatzweise beginnen würde, derart totalitär Ressourcen- und Finanzallokationen zentralisiert zu planen, würde innerhalb von Tagen seine Wirtschaft zerstören – weil Kapital, Unternehmen, Talente und Fachkräfte das Land schneller verlassen werden, als ein paar Akademiker:innen „Aber Marx!“ schreien können. Und weil niemand, der die Grundrechenarten beherrscht, in diesem Land investieren oder Geld verleihen würde. Auch die Währung wäre recht schnell entwertet, was den Import von Rohstoffen, Industrieprodukten usw. natürlich ebenfalls massiv erschwert. Denn dass die Energiewende, Mobilitätswende, Sanierungen, Infrastruktur usw. massig Industrieprodukte, Rohstoffe, international mobile Fachkräfte und viel, viel, viel privates Kapital erfordern, ist den vermeintlichen Klimaschützer:innen natürlich auch entgangen.
Degrowth ist Recycling gescheiterter politischer Ideen
Die Idee, dass man – wie Hickel es umschreibt – eine Art „staatlich geplante, umverteilende, langfristige Rezession“ nicht nur „gerecht“ umsetzen könnte – also Arbeitszeit reduzieren, Basisversorgung erhalten und nebenbei auch noch die massiven Umstellungen und Investitionen nahezu aller Wirtschafts- und Lebensbereiche auf Klimaneutralität stemmen – ist irgendwo zwischen unfassbar naiv und verheerend ignorant einzuordnen. Kaum jemand mit nennenswerter Erfahrung in der Privatwirtschaft oder der politischen Praxis käme jemals zum Schluss, dass ein derartiger Ansatz demokratische Mehrheiten finden würde oder nicht umgehend zu massiver Verarmung und zum Zusammenbruch von Wirtschaft, Versorgung und Sozialsystemen führen würde.
Dass Degrowth in medialen, klimapolitischen und akademischen Diskursen noch so prominent herumgeistert und so wenig hinterfragt wird, ist möglicherweise symptomatisch dafür, dass sich die Klimabewegung zu stark von jenen Aktivist:innen unterwandern lässt, welche den Klimawandel nur als Vehikel für die Umsetzung gescheiterter linksextremer Ideen sehen und langfristige Emissionsreduktionen als sekundär betrachten. Es wäre wünschenswert, wenn hier jene konstruktiven Kräfte, die das Problem tatsächlich lösen wollen, entschiedener dagegen auftreten – denn der potenzielle Schaden, den die linken Tagträume einer kleinen Gruppe von praxisfernen Aktivist:innen aus dem staatlich finanzierten Elfenbeinturm anrichten können, ist gewaltig.