Der Bundesrat – Ein Königreich für Bundesländer und Blockierer
Österreich lechzt nach Reformen. Das Pensionsloch wird mit leeren Versprechungen, dass „unser Pensionssystem zukunftssicher sei“, gestopft. Im Gesundheitsbereich sind echte Reformen dringend nötig, denn die „Gesundheitsreform“ der türkis-grünen Regierung wird die Rahmenbedingungen nur sehr bedingt verändern. Und in ganz Österreich wird munter weiter Boden versiegelt, als gäbe es in Zukunft kein Hochwasserrisiko.
Der freundliche Onkel Bundesrat
Reformkraft ist bitter nötig – aber ein unerwarteter Gegenspieler hält dagegen. Wohl nur wenige Österreicher:innen hätten den Bundesrat als Bösewicht im Verdacht. Die zweite Kammer des österreichischen Parlaments ist in der kollektiven Wahrnehmung wohl irgendwo zwischen „Ah ja, den gibt’s ja auch“ und „Das ist doch die Kammer von den Bundesländern“ angesiedelt. Das geht einher mit der vagen Idee, dass eine zweite Kammer der Kontrolle der Arbeit des Nationalrats diene und unsere Republik demokratischer mache. Wären Institutionen Familienmitglieder, wäre der Bundesrat wohl der Onkel, der Apfelsaft und Schoki aus der Heimatregion mitbringt und die Kinder freundlich korrigiert, wenn sie über die Stränge schlagen.
Nun zur Realität: Der Bundesrat wird in der Tat aus den Bundesländern beschickt, zählt zurzeit 60 Mitglieder und segnet Gesetzesvorschläge ab, die im Nationalrat beschlossen wurden. Beim Budget redet er nicht mit, bei den meisten anderen Vorhaben hat der Bundesrat kein Vetorecht, er kann die Gesetzgebung aber verzögern. Das kann zwar Zeit, Nerven und gelegentlich EU-Fördergelder kosten, ist aber an sich kein Beinbruch.
Der Beinbruch im System liegt darin, dass der Bundesrat bei Gesetzgebung, die die Bundesländer betrifft, zustimmen muss. Es klingt zwar vernünftig, dass die Bundesländer hier mitreden, wirkt aber ähnlich wie ein Kabelbinder – Bewegung ist nur in eine Richtung möglich. Der Bundesrat stimmt natürlich gerne zu, wenn den Bundesländern mehr Kompetenzen verliehen werden. Sollen den Bundesländern Kompetenzen entzogen werden, scheitert der Vorschlag bereits oft im Frühstadium, denn die Landeshauptleute haben parteiintern nicht nur informelle Macht – sie können auch mit der Drohung Druck machen, im Bundesrat die Zustimmung zu verwehren.
Let’s talk Kompetenzen
Selbst bei Kompetenzen, die den Bundesländern Kopfweh bescheren – zum Beispiel bei der Kinder- und Jugendhilfe – gilt das Motto „Was liegt, das pickt“. Vor einer Übertragung der Kinder- und Jugendhilfe an die Länder wurde 2019 von Expert:innen abgeraten. Die desaströsen Zustände und der Fleckerlteppich an Regeln zeigen deutlich, dass die Kompetenzverschiebung keine Vorteile hatte, eine Rückverschiebung stellt aber niemand, der sich mit dem österreichischen Föderalismus auskennt, in den Raum. Stattdessen wird von den Bundesländern mehr Geld vom Bund gefordert – ob damit wieder mehr auf Vereinheitlichung hingearbeitet würde, steht aber gar nicht zur Debatte. Besonders tragisch wirken sich die Unterschiede aus, wenn Kinder fremduntergebracht sind. Denn jedes Bundesland hat andere Regeln, wann und wie oft Eltern ihre Kinder sehen können. Aus Ressourcengründen kommt es aber immer wieder vor, dass Kinder dann in einem anderen Bundesland untergebracht werden, was oft für Unklarheiten sorgt, welche Besuchsregeln anzuwenden sind.
Ähnlich sieht es bei anderen Materien aus, wo die Länder mitmischen. Ein paar Beispiele:
Bodenversiegelung: Selbst nach fünf Jahren grüner Regierungsbeteiligung schießen wir mit Karacho über alle Zielvorgaben im Bodenverbrauch hinaus. Gespräche mit den Ländern sind gescheitert, für ein bundesweites Rahmengesetz findet sich keine politische Mehrheit.
Gesundheit: Weil der Bund für die Rahmengesetze zuständig ist und die Länder und Gemeinden für die Durchführung, braucht es gemeinsame Ziele. Die werden alle fünf Jahre im sogenannten Finanzausgleich vereinbart. Dummerweise hat dieser keine (Straf-)Mechanismen, wenn etwas nicht umgesetzt wird. Was dazu führt, dass manche Zielwerte oder Vorhaben seit rund 15 Jahren in diesen Verträgen stehen und noch immer nicht umgesetzt wurden. Ähnlich verhält es sich mit der Pflege, die abseits der Berufskompetenzen gar nicht vom Bund gesteuert werden kann, weshalb sich in den letzten Jahren ein Wettbewerb der Bundesländer um Pflegekräfte entwickelt hat, es aber keine gut gesteuerte gesamtstaatliche Planung gibt.
Bildungsreform: Kompetenzwirrwarr ist nicht nur im Gesundheitssystem ein Problem – die Tatsache, dass sowohl Länder als auch Bund Schulerhalter verschiedener Schultypen sind, macht große Reformen schwierig. Kein Wunder, dass die letzte umfassende Schulreform 1962 durchgeführt wurde.
Harmonisierung von Regelungen und Förderungen: Österreich zählt neun Bauordnungen, deren Existenzberechtigung ÖVP und SPÖ vehement gegen Harmonisierungsbemühungen aus Brüssel verteidigen, wie im Forschungs-, Innovations- und Digitalisierungsausschuss letztes Jahr deutlich wurde. In jedem Bundesland werden Förderungen in unterschiedlicher Ausgestaltung und Höhe angeboten und ist der Antragsprozess anders. Die Regelung für Hundehaltung und den Jugendschutz sind in jedem Bundesland anders gestaltet.
Will man hier Kompetenzen auf Bundesebene hebeln, braucht man die Zustimmung der 60 Mandatarinnen und Mandatare im Bundesrat – diese Zustimmung müsste man sich teuer erkaufen. Nicht, weil diese Reformen und Harmonisierungen nicht nötig oder sinnvoll wären, sondern weil sie einen Machtverlust der Bundesländer bedeuten würden.
Ein Einkammernparlament, wäre das denkbar?
Absolut. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden zweite Parlamentskammern in vielen Ländern abgeschafft, da sie wenig demokratischen Mehrwert haben. Inzwischen sind mehr als die Hälfte der weltweiten Parlamente Einkammersysteme. Länder wie Neuseeland oder Dänemark haben ihre zweite Kammer abgeschafft, ohne negative Effekte auf die Demokratie. Ein kleiner positiver Effekt auf die Finanzen wäre auch dabei: 8 Millionen Euro würden für andere Vorhaben frei.
Wer Angst hat, dass die Kontrolle des Bundesrats fehlen wird: Wir brauchen den Onkel Bundesrat nicht unbedingt bei der Kinderbetreuung. In Österreich haben wir haben einige exzellente Kontrollorgane, die für unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie extrem wertvoll sind – den Rechnungshof zum Beispiel oder den Verfassungsgerichtshof. Außerdem würde der Gesetzgebungsprozess ohne die Schleife über den Bundesrat schneller.
Demokratie ist ein Work-in-Progress. Manchmal sind Updates notwendig, um das System wieder zukunftsfit zu machen. Die Abschaffung des Bundesrats wäre der erste wichtige Schritt, um Machtverhältnisse in Proportion zu rücken und Reformen zu ermöglichen.