Der Markt ist besser als sein Ruf
Gerade in Krisenzeiten wird gerne über „den Markt“ geschimpft. Aber eigentlich versteckt sich dahinter ein Mechanismus zur Problemlösung, den wir kennen und schätzen sollten.
Der Markt hat einen schlechten Ruf. Gerade in wirtschaftlichen Krisen wird der Ruf nach einem starken Staat laut, der alle Dinge regelt. Wenn das Leben zu teuer wird, muss der Staat eben die Preise regeln und sie wieder senken. So schwer kann das doch nicht sein!
Jetzt könnte uns egal sein, wenn manche eine schlechte Meinung vom Markt haben. Uns sollte aber einiges an ihm liegen, weil die Phasen, in denen wir auf liberale Marktwirtschaft setzen, historisch jene waren, die am meisten Wohlstand gebracht haben. Es wäre aber auch das Gegenteil möglich: Wenn durch einen Mix aus hoher Inflation, Nachwehen der Pandemie und Krieg in Europa viele das Gefühl haben, der Staat solle den Markt ausschalten, droht uns massiver Wohlstandsverlust. Historisch wird der Liberalismus immer in Krisenzeiten abgeschafft, in denen man „dem Markt“ nicht mehr traut, aber einem „starken Mann“ mit einfachen Lösungen schon.
Staat und Markt – was ist das eigentlich?
Der Staat, das sind bekanntlich wir alle. Auch wenn Politik abseits von Wahltagen in der Regel durch Politik, Verwaltung und Institutionen gemacht wird, werden wir daran zumindest in Wahlkämpfen immer wieder erinnert. Direktdemokratische Instrumente mögen in Österreich nur schwach ausgeprägt sein – aber durch das repräsentative Wahlrecht bestimmen wir alle – oder zumindest die, die an Wahlen teilnehmen –, in welche Richtung das Land geht.
Mit dem gleichen Prinzip könnte man aber auch den Markt beschreiben. Auch hier bestimmen wir alle, wo es lang geht – in diesem Fall wirklich alle, weil jeder und jede wirtschaftliche Entscheidungen trifft. Durch Angebot und Nachfrage wird nicht nur der Preis von Waren und Dienstleistungen bestimmt, sondern auch die politische Landschaft. Demonstriert die Jugend für Klimaschutz, findet das Thema Einzug in die Parteiprogramme, liegt eine fremdenfeindliche Partei in Umfragen auf Platz 1, dreht so manch andere Partei ihren Kurs in die gleiche Richtung. Was wir denken, sagen und tun, hat Einfluss auf unsere Welt. Der Markt, das sind wir alle.
Und ja, diese beiden Kategorien sind kein zwingender Widerspruch. In den meisten Politikfeldern gibt es marktbasierte Ansätze, die zwar auch staatlich in Gesetze gegossen werden, aber den Menschen mehr Freiheit lassen als z.B. Verbote. Die CO2-Steuer sorgt etwa dafür, dass weniger Emissionen ausgestoßen werden, indem sie diesen einen Preis gibt. Wer Auto fahren will, kann das weiterhin tun, hat aber eben einen Anreiz, auf nachhaltige Modelle oder öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Das ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie „der Markt regelt“.
Warum der Markt funktioniert
Ein großer Vorteil von Märkten gegenüber der Politik: Sie sind dezentral. Anders als bei politischen Lösungen, bei denen man möglichst vollständiges Wissen braucht, funktionieren marktbasierte Lösungen dadurch, dass jeder mit seinem eigenen Wissen handelt. Es hätte den Kalten Krieg nicht gebraucht, um festzustellen, dass die Menschen selbst ihre Präferenzen besser kennen als der Staat – das war schon lange Mainstream unter Ökonomen und hat sich in der Praxis immer wieder bewahrheitet. Die Idee ist sehr einfach: Wenn wir alle mit unserem Geld machen, was wir wollen, werden sich durch Angebot und Nachfrage auch faire Preise finden. Und die sind in der Regel auch günstiger als die, die der Staat als „fair“ erachtet oder die er errechnet, wenn er das „gerechte“ Angebot-Nachfrage-Verhältnis berechnen würde.
Nicht zufällig gehen Freiheiten, die für uns mittlerweile selbstverständlich sind, vor allem mit Marktwirtschaft einher. Dass man den eigenen Wohnort oder Beruf frei wählen kann, war z.B. nicht immer und überall selbstverständlich, hat sich aber durchgesetzt, weil dadurch Wettbewerb entsteht. Wenn Menschen grundlegende Freiheiten genießen, selbst über ihr Leben entscheiden können und mit dem, was sie tun wollen, Geld machen, wächst die Wirtschaft – und zwar mehr als in Systemen, in denen man diese Freiheiten nicht hat. Und Wirtschaftswachstum bedeutet Geld, das man für notwendige Zukunftsinvestitionen wie Bildung und Forschung, aber auch für einen starken Sozialstaat braucht.
Was Märkte dem Staat außerdem voraus haben? Machtmissbrauch durch Korruption und Freunderlwirtschaft wird schwieriger. Während staatliche Stellen sich durch die Politik rekrutieren – gerade in Österreich wissen wir, was Postenschacher bedeutet –, könnte sich kein privates Unternehmen erlauben, nicht die Besten für ihre Jobs anzuheuern. Parteigünstlinge und Menschen, die bei anderen einen Gefallen guthaben, mögen in der Politik aufsteigen, sind dadurch aber nicht immer die fachlich korrekten Besetzungen für eine Stelle. In einem fairen Markt haben alle die gleichen Chancen, unabhängig davon, in welche Familie man geboren wurde oder wen man sonst so kennt.
Jetzt werden bei einigen die Alarmglocken schrillen: Aber Märkte sind doch auch nicht immer fair! Was ist mit Monopolen? Das ist ein absolut valider Punkt, und, ja gerade auch Marktliberale kritisieren Monopole. Da kommt aber der nächste Faktor ins Spiel: Vieles, was in der Öffentlichkeit als „Marktversagen“ kursiert, hat auch damit zu tun, dass der Staat auf falsche Weise eingreift.
Der Markt ist ein guter, aber nicht immer perfekter Ansatz, um politische Probleme zu lösen und menschliche Handlungen zu koordinieren. Das heißt nicht, dass man ihn auf jedes Thema ohne Einschränkung „loslassen“ sollte – im Bildungs- oder im Gesundheitswesen ist es in den meisten europäischen Ländern Konsens, dass man einen Privatsektor zwar zulässt, aber nicht alles Privatsache ist. Als Negativbeispiel gelten oft die USA, wo die Bürger:innen zwar mehr für ihr Gesundheitssystem zahlen, aber trotzdem horrende Kosten für Dinge tragen müssen, die bei uns eine selbstverständliche Kassenleistung wären. Es ist also unkontrovers, dass der Staat bei den meisten Politikbereichen mitredet und „in den Markt eingreift“ – mit Anreizen, Regulierungen oder Verboten. Oft liegen Probleme mit dem Markt aber daran, dass der Staat falsche Anreize setzt.
Staatsversagen beim Klimaschutz
Nehmen wir das Thema Klimaschutz: Dass die meisten Menschen CO2 verbrauchen – oft mehr, als konsequent umgesetzte Klimaziele zulassen würden – wird von vielen als „Marktversagen“ bezeichnet. Dabei ist es genau der Staat, der dieses Verhalten fördert.
Denn in Österreich gibt es im Klimaschutz viele Baustellen. Viele Gemeinden, nicht nur die kleinsten, haben keinen nennenswerten Anschluss an den öffentlichen Verkehr, gerade im ländlichen Bereich ist man auf das Auto angewiesen. Das an sich wäre noch keine Katastrophe, immerhin gibt es Elektroautos – aber die E-Lade-Infrastruktur ist noch lange nicht überall angekommen und muss deutlich ausgebaut werden. Gleichzeitig muss die Republik noch stark daran arbeiten, dass auch wirklich 100 Prozent dieses Stroms ohne Kohle und Gas erzeugt werden. Und als wäre das nicht schlimm genug für die Klimaziele, gibt Österreich bis zu 5,7 Milliarden Euro im Jahr für klimaschädliche Subventionen aus.
Nehmen wir als fiktives Beispiel Manfred, der jeden Tag von Mistelbach nach Wien pendelt. Es gibt zwar einen Zug, aber mit dem würde Manfred deutlich länger brauchen, und E-Lade-Stationen hätte er im Ort noch keine gesehen. Um pünktlich in der Arbeit zu sein, bleibt er also bei seinem Verbrenner und kassiert dafür Pendlerpauschale, immerhin ist der Weg weit und Diesel teuer. Fünf Minuten hinter der Wiener Stadtgrenze muss Manfred durch die Proteste der Letzten Generation anhalten. Dabei ist er gar nicht schuld an der Situation – der Staat belohnt ihn dafür, fossile Brennstoffe zu verbrauchen, ohne ihm die attraktive Alternative zu bieten. Hier wäre also der Staat gefordert – durch ihn ist Österreich von fossilen Brennstoffen abhängig.
Und der Markt? Der ist schon längst weiter. Die wichtigsten Auto-Unternehmen hatten eine Deadline für den Verbrenner-Ausstieg, als das Verbot auf EU-Ebene noch gar nicht beschlossen war – die ersten werden 2025 schon aufhören, neue Verbrenner zu verkaufen. Aber auch in anderen Bereichen hat der Markt (wir erinnern uns: die Summe unserer wirtschaftlichen Entscheidungen) das Problem des Klimawandels erkannt und liefert laufend Lösungen. Nachhaltig produzierte Kleidung, kompostierbare Verpackungen oder Fleischersatz, der auch Fleischessern schmeckt: Das sind Lösungen, die bereits jetzt wirken und einen Unterschied im CO2-Verbrauch von Individuen machen.
Der Markt ist kompliziert – aber er wirkt
Ähnliche Situationen haben wir auch in vielen anderen Politikbereichen. Viele Bereiche unseres Lebens, die gut funktionieren, werden durch den Markt geregelt, und viele Probleme, die wir mit ihm assoziieren, werden auch durch den Staat verursacht. Und trotzdem spricht man über den Markt hauptsächlich in Begriffen der Wirtschaftswissenschaften.
Zu erklären, warum die Summe aus individuellen Entscheidungen zu guten Ergebnissen führt, sofern der Staat die richtigen Lenkungseffekte setzt, ist schwierig, wenn ein Großteil der Menschen glaubt, einfache Lösungen zu kennen. „China soll beim Klimaschutz anfangen“ ist eine viel attraktivere Forderung als „wir alle tragen im Rahmen unserer Möglichkeiten bei“, und „der Staat soll die Miethöhe gesetzlich deckeln“ klingt besser als „Bauen und Sanieren fördern und das Mietrecht reformieren“. Solange wir nicht alle plötzlich Expertise in vielen verschiedenen Politikfeldern entwickeln, ziehen diese vereinfachten Versionen – und der Staat klingt viel kompetenter als der Markt.
Dieser Text soll nicht insinuieren, dass der Staat illegitim wäre oder dass er keine positive Rolle einnehmen kann. Er soll nur zeigen, dass der Markt ein unterschätzter Mechanismus ist, der viele Vorteile hat. Politik ist der Ort, an dem wir uns ausmachen, wie wir zusammen leben wollen. Und dafür wird es nicht nur Dirigismus von oben brauchen, keinen allwissenden Herrscher, der einfache Lösungen findet, die für jeden und jede passen. Sondern Kooperation quer durch die Gesellschaft – auch mit denen, die wir nicht kennen, auch mit denen, die wir nicht mögen. Und es ist wichtig, dem Mechanismus, der all das ermöglicht und für unglaublichen Fortschritt gesorgt hat, auch ab und zu das Wort zu reden. Auch wenn das sonst nur die Ökonomie mit ihren technischen Ausdrücken und Modellen tut.
In diesem Sinne also einfach zusammengefasst: Der Markt regelt das.