Die U-Ausschuss-Pläne der ÖVP lassen tief blicken
Ein E-Mail aus dem ÖVP-Parlamentsklub, das versehentlich an NEOS versandt wurde, zeigt Pläne für einen U-Ausschuss gegen SPÖ, FPÖ und die Grünen. Die fertigen Pläne zeigen, dass die ÖVP längst im Wahlkampf ist.
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Wenn Sie jetzt zwei oder drei Jahre sagen, kein Problem. Denn seit die Bundesregierung 2007 ihre Amtszeit von vier auf fünf Jahre erhöht hat, konnte erst eine Regierung wirklich fünf Jahre durchregieren: Die SPÖ-ÖVP-Koalition zwischen 2008 und 2013. Seitdem wurde jedes Mal vorzeitig neu gewählt. Und auch ein Jahr vor dem nächsten Wahltermin merkt man: Auch 2023 riecht es nach Wahlkampf.
Was ist passiert? Ein E-Mail aus dem ÖVP Parlamentsklub zeigt Pläne, einen U-Ausschuss gegen SPÖ, FPÖ und Grüne einzusetzen. Thema: Inseratenkorruption. Ein Vorwurf, der auch gegen die Volkspartei selbst erhoben wird. Und ein schweres Foul in der türkis-grünen Koalition, die sich offiziell noch einem Jahr inhaltlicher Arbeit verschrieben hat. Drei Learnings aus dem peinlichen Fehler in der Empfängerzeile.
1. Die ÖVP will das Parlament als Waffe verwenden
Ein U-Ausschuss über drei Parteien mitten in einem Wahljahr? Das wäre optimale Wahlwerbung für die ÖVP. Und damit etwas, was die Partei gerade dringend brauchen kann: Immerhin verliert sie laut aktuellen Umfragen mehr als jede dritte Stimme, die ihr 2019 noch gegeben wurde. Die Nervosität ist nicht ganz zu Unrecht groß.
Wenn es nur um den Willen zur Aufklärung ginge, hätte die ÖVP mehrere andere Optionen. Da gäbe es die Möglichkeit eines U-Ausschusses zur COVID-Finanzierungsagentur COFAG, durch die Milliarden an Steuergeld freihändig an große Konzerne ausgegeben wurden, während kleinere und mittlere Unternehmen auf Geld warten mussten. Oder man könnte einen Russland-U-Ausschuss ansetzen, um zu klären, wer die fatale Abhängigkeit von der Gazprom mitzuverantworten hat. Auch hier würde man wohl auf SPÖ- und FPÖ-Spitzen treffen.
Screenshot aus dem Dokument der ÖVP
2. Die ÖVP tut das, was sie bei anderen kritisiert
Gerade eben noch hatte die ÖVP kritisiert, dass ein E-Mail des Meinungsforschungsinstituts SORA aufgetaucht war, in dem eine Strategie für die SPÖ ausformuliert wurde. Der Chef des Instituts habe dieses aus eigenem Antrieb und als eine Art Bewerbung verschickt, wie SORA und die SPÖ behaupten – für die Volkspartei reichte das für eine Skandalisierung. Sie vermutete auch eine Strategie dahinter, dass das „Burger-Video“ von Karl Nehammer geleakt worden war. Das passe immerhin gut zur geleakten Strategie. Nun hat die Partei selbst mit einem Mail an den falschen Absender zu tun und zeigt, dass auch sie schon längst im Wahlkampf steckt.
Das ist kein neues Verhalten. Immerhin kritisierte die ÖVP das Ibiza-Video von Heinz-Christian Strache, während sie selbst in mutmaßlich korruptes Verhalten involviert war. Das Team um Sebastian Kurz soll gefälschte Umfragen in Medien platziert haben, um Stimmung zu machen, und mit gezielten Inseratenschaltungen Medien beeinflusst haben. Also genau das, was die Partei nun bei anderen Parteien untersuchen will.
3. Die ÖVP will in der Regierung nichts mehr durchbringen
Karl Nehammer und seine Partei betonen immer wieder, dass die Regierung weiter an wichtigen Gesetzen arbeite. Fragt man aber konkret nach, wie etwa der Stand beim Klimaschutzgesetz – immerhin schon 1.000 Tage im Verzug! – oder beim Informationsfreiheitsgesetz ist, stößt man nur auf „intensive Verhandlungen“. Gerade für Letzteres dauern diese schon relativ lang: Bereits 2013 wurde versprochen, „bald“ für mehr Transparenz zu sorgen. Diese Bundesregierung ist die vierte seit damals.
Dass das Arbeiten an Gesetzen so langsam geht, aber die Pläne für einen U-Ausschuss zum Angriff auf die politischen Gegner schon fertig sind, zeigt auch die Prioritäten der ÖVP: Sie ist längst im Wahlkampf. Und sie hat allen Anschein nach nicht mehr vor, in Sachen Transparenz, Klimaschutz, Gesundheit oder Kinderbetreuung noch irgendetwas zu liefern.
Fazit zur ÖVP-Taktik
Das Schlimmste ist: Wahrscheinlich würde es sich sogar lohnen hinzusehen. Denn nur weil der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss gezeigt hat, dass die Partei ein Korruptionsproblem hat, ist sie sicher nicht die einzige, die sich so verhält. Wer im Umfeld der zahlreichen FPÖ-nahen Medien, aber auch der Beeinflussung der Berichterstattung durch die SPÖ-Inseratenpolitik sucht, wird sicher einiges finden – immerhin gilt Werner Faymann als Erfinder der Inseratenkorruption, Sebastian Kurz hat nur um eine Stufe erhöht.
Aber wenn eine ehemals staatstragende Partei ein wichtiges Instrument wie den U-Ausschuss nur aus Parteipolitik heraus verwendet – noch dazu, während sie mit einer der Untersuchten weiter regiert –, ist das ein Symbolbild für den Zustand der österreichischen Politik. Ein Jahr vor dem Wahltermin wird alles der Strategie untergeordnet. Die ÖVP zeigt, dass sie nichts mehr umsetzen will, sondern schon längst den Schalter umgelegt hat. Ich frage mich, ob das noch ein Jahr so weitergeht. Oder ob die Grünen reagieren.