Die USA, Europa und die Welt: Es geht um viel – aber nicht um alles
Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA gewonnen, zusätzlich gehen vermutlich auch Senat und Repräsentantenhaus an die Republikaner. So richtig überraschend ist das nicht, wenn man die extrem knappen Umfragen der vergangenen Wochen verfolgt hat und weiß, dass die Vereinigten Staaten schon lange ein politisch gespaltenes Land sind. Schaut man nur auf die Stimmabgabe und nicht auf die Wahlleute, ist das Ergebnis fast bei jeder Präsidentschaftswahl ein Münzwurf. Der Sieg der Republikaner hat Folgen: für die Demokraten, für die USA, für Europa und für die Weltpolitik. In den kommenden vier Jahren geht es um viel. Aber nicht um alles.
Ein Problem trägt Blau
Die Demokratische Partei hat grundlegende Probleme. Im Großen ist die Wahl der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten zu hinterfragen. Als Trump 2016 das erste Mal angetreten ist, hieß seine Kontrahentin Hillary Clinton – es gab zur damaligen Zeit wohl kaum jemanden, der Trump mehr Angriffsfläche bot als Clinton. Aber aus Sicht der Demokraten wohl auch keinen geeigneteren Kandidaten. Zynisch gesprochen war Hillary Clinton damals vielleicht die einzige Kandidatin, gegen die Trump gewinnen konnte. Also entschied man sich 2020 für Joe Biden, der auch damals schon ein beachtliches Alter hatte, aber kaum etwas von seinem scharfen Verstand eingebüßt hatte. Die Rechnung ging auf und Biden gewann die Wahl. Was dann passierte, ist bekannt: Niemand kann dem Altern entkommen, Biden baute kognitiv sichtlich ab, wollte aber partout wieder antreten. Bis er sich nach einem schwachen TV-Auftritt und langem Hickhack (gepaart mit enormem externen und sicher auch internem Druck) aus dem Rennen um die Präsidentschaftswahl 2024 zurückzog.
Man musste also rasch handeln und entschied sich für die logische Wahl: Kamala Harris, Vizepräsidentin und Running Mate Bidens von 2020. Die Demokraten müssen sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum man wenige Monate vor der Wahl, nachdem die Kampagne schon lange auf Biden zugeschnitten war, alles umwirft. War Biden in den vergangenen Jahren derart beratungsresistent, dass niemand zu ihm durchgedrungen ist? Er hätte vor zwei Jahren ankündigen können, dass er nicht erneut antreten will und keiner hätte ihm das zum Vorwurf machen können. Die Partei hätte hingegen in aller Ruhe einen Nachfolger aufbauen können. Vielleicht wäre auch damals die Wahl auf Harris gefallen, aber mit entsprechender Vorlaufzeit hätte man ihre Stärken sicher besser ausspielen können. Ob Harris überhaupt die geeignete Kandidatin ist, müssen die Demokraten beantworten. Das Wahlergebnis lässt nicht darauf schließen.
Es wird komplizierter
Mit Trump als Präsidenten wird sich auch die Beziehung zwischen den USA und Europa ändern. Die potenziellen Probleme sind bekannt: Klima, Zölle, Sicherheitspolitik. Europa und insbesondere die EU muss sich auf einen schrillen, unberechenbaren und impulsiven Partner jenseits des Atlantik einstellen. Man hat das aber schon einmal geschafft. Zudem ist die EU nun gefordert: Emanzipation ist das Gebot der kommenden vier Jahre. Man muss sicherheitspolitisch auf eigenen Füßen stehen und in der Lage sein, sich zu verteidigen. Auf den amerikanischen Atomschirm sollte man sich nicht verlassen.
Dennoch ist es wohl unwahrscheinlich, dass Trump wirklich ernst macht und aus der NATO austritt. Auch er hat Sicherheitsberater, die ihm sagen werden, dass er damit nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern den gesamten Kontinent Europa zu destabilisieren droht. Das kann in letzter Konsequenz nicht im Sinne der USA sein. Egal wie national und protektionistisch Trump die USA denkt, ohne eine intakte Beziehung mit der EU wird „Make America Great Again“ nicht funktionieren.
Neue globale Vorzeichen
Die Gretchenfrage in den kommenden Jahren wird neben den transatlantischen Beziehungen die Einmischung der USA in Konflikte sein. Wie verhält sich Trump gegenüber Russland und der Ukraine? Wie gegenüber Israel und dem Iran? Und allen voran: Wie wird die Beziehung zu China? Ist nun die Zeit für Xi Jingping gekommen, das Jahrhundert der Demütigung zu vergelten? Wenn Trump mit amerikanischer Innenpolitik beschäftigt ist, könnte Xi seinen Blick nach Osten auf Taiwan richten. Wie und ob die USA unter Trump dann reagieren würden, ist völlig offen.
Solche Untergangsszenarien bringen aber niemanden weiter, schließlich hat auch ein amerikanischer Präsident keine absolute Macht. Die älteste Demokratie der Welt wird auch in den kommenden vier Jahren nicht zu einer Diktatur umgebaut werden. Etwas mehr Vertrauen in die rechtstaatlichen Strukturen und Checks and Balances wäre daher angebracht. Und die EU? Sie muss endlich auf sich selbst schauen. Mit kühlem Kopf und einem realistischen Blick auf die eigenen Schwächen – aber auch auf die Stärken. Die beste Zeit zur Emanzipation war 2016. Die zweitbeste ist jetzt.