Wie liberal ist … Fußball?
Rund um die WM in Katar wird Fußball wieder politisch. Wenn ein Großturnier in einem Land stattfindet, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, darf man sich zu Recht fragen, was eigentlich von diesem Sport zu halten ist.
Wir sollten aber nicht den Fehler machen, Fußball an sich zu verurteilen. Denn die Fans können nichts dafür, dass die WM in Katar ausgetragen wird. Genauso wenig wie die Spieler, die ihr ganzes Leben auf diese Momente hingearbeitet haben. Das soll kein Appell sein, dieses Turnier doch bitte kritiklos hinzunehmen – sondern ein Appell dafür, den Liberalismus im Fußball zu sehen.
Denn Fußball, das ist pure Meritokratie. Es zählt also, was du kannst – und nicht mehr. Nicht umsonst ist der Sport für viele Menschen gerade in ärmeren Staaten ein „Tor zur Welt“, weil das Versprechen klar ist, durch Leistung etwas erreichen zu können. Im vom Wohlstand verwöhnten Österreich mag Fußball etwas sein, was als Hobby anfängt und sich dann ergibt. Für viele in Lateinamerika oder Afrika ist es viel mehr als das: Spaß, aber auch ein Aufstiegsversprechen, das sonst nur selten in Reichweite ist.
Damit erklärt sich auch, warum Fußball so eng mit Diversität verbunden ist. Das ist nicht nur ein Werbespruch (aber schon auch) – Fußball verbindet Menschen aus allen möglichen Ländern, Kulturen und Hintergründen. Wenn das reiche Söhnchen aus England Profi werden will, muss es sich beim Verein früh mit Kollegen mit Migrationshintergrund oder aus ärmeren Verhältnissen anfreunden. Das ist eine moderne Grundlage des Sports, den man nicht nur in den Kadern der englischen Premier League beobachten kann: Die österreichischen Staatsbürger im Kader von Red Bull Salzburg spielen ganz selbstverständlich neben Bosniern, Franzosen, Maliern und Zentralafrikanern.
Rassismus und Elitismus hat in diesem Sport wenig Platz. Wer ein Team unterstützen will, das nur aus autochthonen Österreichern aus gutem Hause besteht, kann seine Spiele in der zweiten Landesliga Nord genießen. De facto gewinnt das Team, in dem es keine Rolle spielt, woher du kommst – und da können dir keine reichen Eltern helfen, kein Hauptgewinn in der Geburtslotterie.
Genau das führt auch zu den großen Geschichten im Fußball. Jeder kennt Messi und Ronaldo, die beide in einfachen Verhältnissen groß wurden. Die berührendste Geschichte, die ich kenne, ist aber die des belgischen Stürmers Romelu Lukaku. Er erzählt von dem Moment, in dem er wusste, dass seine Familie arm war: Seine Mutter weinte, weil sie Milch mit Wasser strecken musste. Für den Sohn kongolesischer Eltern, der nicht nur in seinem Heimatland Belgien immer wieder mit Rassismus zu kämpfen hatte, war von da an klar: Der Weg aus der Armut ist Fußball.
Symbolbild, produziert mit DALL-E 2
Problematisch ist, wenn die größte Institution des Fußballs sich von liberalen Grundsätzen verabschiedet. Geschehen ist das bei der WM in Katar: Das Land war nachweislich nicht der bestgeeignete Bewerber für die Austragung eines Großevents, die Abstimmung wurde durch persönliche Geschenke, Versprechungen und Politik beeinflusst. Hier zählte also wirklich nur, wer jemanden kannte – und nicht, was der kleine Wüstenstaat konnte. Dass eine Winter-WM in einer autoritären Diktatur mit klimatisierten Stadien, die von Sklaven gebaut werden, keinen besonders guten Eindruck macht, haben die Zuständigen in der FIFA wohl bewusst in Kauf genommen.
Aber Fußball ist mehr als FIFA. Es sind die Geschichten, die Spieler:innen, die Vereine, die Fans und all die Emotionen, die über eine Milliarde Menschen mit diesem Sport verbinden. Daher lasse ich mir mein Urteil nicht nehmen: Fußball ist liberal. Nur die FIFA ist es nicht.