Genug Krisen für ein Leben
Wenn man aktuell die Zeitungen öffnet, könnte man denken, es ist endlich vorbei. Corona wurde besiegt. Oder doch nicht? Expert:innen warnen vor einer hohen Dunkelziffer, und die vermeintlich kleinen Probleme, die durch die Corona-Lupe vergrößert wurden, bleiben weiterhin bestehen. So auch Wünsche, Sorgen und vor allem Ängste der Jugendlichen.
Mental Health: Eine Wortgruppe, die seit der Pandemie wohl jede:r kennt. Aufgekommen nach den ersten Lockdowns, als wir merkten, was Einschränkungen im privaten Bereich und Krisenkommunikation mit der jungen Generation machen. Fehlende Sozialkontakte, Homeschooling und auch die Sorgen und Probleme der eigenen Familie – egal ob finanziell oder gesundheitlich – ließen sowohl Kinder als auch Teenager nicht kalt. Wir sollten aber nicht nur diskutieren, welche Maßnahmen notwendig waren und welche nicht. Es geht darum, dass viele Jugendliche die letzten Jahre nicht gut verarbeiten konnten – und diese brauchen die bestmögliche Unterstützung. Das heißt auch, dass wir Gesundheit nicht nur körperlich, sondern auch psychisch denken müssen.
Corona ist nicht das einzige Problem
Wie so oft war Covid nur eine Lupe für bestehende Probleme. Die Pandemie hat sie vergrößert und dringlicher gemacht.
Ein Gespräch mit einem niederösterreichischen Psychotherapeuten, der anonym bleiben möchte und dessen Patient:innen vor allem Studierende sind, zeigte mir ganz klar: Die Lebenssituation spiegelt sich eindeutig in der psychischen Gesundheit wider. Er sagt, dass sich der Leidensdruck von Jugendlichen enorm erhöht hat – auch aufgrund des extremen Leistungsdrucks, der an vielen Hochschulen und Schulen Alltag ist. Die gewünschte Leistung zu bringen, kostet Zeit und Energie. Doch gleichzeitig müssen Wohnung/WG-Zimmer und Nahrungsmittel bezahlt werden. Ohne Nebenjob ist das für viele unmöglich. Und das wiederum sind vor allem Jobs, die durch Corona oft gestrichen wurden.
Schon vor der Pandemie kämpften viele Jugendliche damit, mit Nebenjobs ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Nebenbei für Notfälle ansparen, oder sogar für die eigene Pension? Fast unmöglich. Mit der aktuellen Teuerung durch den Ukraine-Krieg wird es für viele schwierig, sich ein selbstbestimmtes Leben in den ersten eigenen vier Wänden leisten zu können. „Im Jetzt leben“ ist nett – aber was ist mit morgen?
Das alles passiert auf Kosten der psychischen Gesundheit. In meinem bildungswissenschaftlichen Studium wurde die Jugend als „Jojo-Phase des Lebens“ bezeichnet – ein ständiges Auf und Ab von Gefühlen. Eine Zeit, in der man besonders stark mit Mental-Health-Problemen zu kämpfen hat. Und nicht nur durch die Pandemie werden diese auf absehbare Zeit wohl kaum besser, da die Therapiemöglichkeiten knapp sind.
Was macht das mit uns?
Die Veränderung im Alltag, der Wegfall von Freizeitmöglichkeiten und die eigenen oder familiären finanziellen Sorgen haben es Kindern und Jugendlichen nicht gerade einfach gemacht. Eine UNICEF-Befragung im Sommer 2021 zeigte, dass weltweit 19 Prozent der Jugendlichen regelmäßig depressive Symptome haben. Die Dunkelziffer ist enorm, denn nur die wenigsten werden wirklich diagnostiziert.
In Österreich ist die Lage sogar noch schlimmer. Laut einer Studie leiden mehr als 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen an Symptomen einer psychischen Erkrankung – dazu gehören Aggressionen, Angstzustände, selbstverletzendes Verhalten und mehr. Das ist seit Beginn der Pandemie eine Verfünf- bis Verzehnfachung, und die Kurve steigt weiter. 45 Prozent leiden gar an suizidalen Gedanken – das ist besonders erschreckend, wenn man weiß, dass Suizid in Europa die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen im Alter von zehn bis 19 Jahren ist.
Hilfe – aber wo?
Wie so oft reicht es leider nicht, ein Problem zu kennen, um die Situation zu verbessern. Es liegt auch an der Politik und am Gesundheitssystem, all jene zu unterstützen, die an Angststörungen, Depressionen oder gar an suizidalen Gedanken leiden. Wie bei einem gebrochenen Bein muss man auch hier Hilfe bekommen, um wieder gesund zu werden.
Der bereits zitierte Psychotherapeut merkte in unserem Gespräch an, dass Jugendlichen oft die finanziellen Möglichkeiten fehlen, um sich überhaupt selbstständig eine Therapie leisten zu können. Die Krankenkasse übernehme nur Therapien bei Psycholog:innen – und da gebe es eben sehr wenige Plätze. Eine Lösung wäre, in Zukunft vermehrt auf Gruppentherapien zu setzen. So könnte man die soziale Hürde und auch die Kosten senken.
Aber Therapiemöglichkeiten kann man nur nutzen, wenn man frühzeitig erkennt, dass man Hilfe benötigt. Viele brauchen stationäre Hilfe, und wir kennen alle die Schlagzeilen von überfüllten Kinderpsychiatrien, die Patient:innen auf die Warteliste setzen mussten. Und noch immer gibt es hier keine Verbesserung, die Triage ist zum Alltag geworden. Zu wenig Betten, zu wenig Personal, zu wenig finanzielle Mittel – zu unwichtig?
In Zukunft wird es besser?
Die Zukunft kann nur besser werden, wenn wir endlich politische Lösungen umsetzen. Eine davon wäre ein Ausbau der Therapiemöglichkeiten und stationären Kinderpsychatrien, um all jene zu unterstützen, die an Mental-Health-Problemen leiden.
Doch das reicht noch lange nicht. Wir Jugendliche müssen immer einen Plan haben, wissen, was wir mal werden wollen. Die Politik muss das nicht – bei ihr reicht der Plan bis zur nächsten Wahl. Das muss aufhören. Österreich braucht eine Jugendstrategie mit langfristigen Lösungen für eine gesunde Zukunft. Wer die Zukunft nicht ehrt, ist die Gegenwart nicht wert.
Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück, packen wir das Problem bei der Wurzel, und schauen wir darauf, dass das Bein doch gar nicht erst bricht. Das Zauberwort heißt Resilienz – eine Zusammensetzung aus verschiedenen Unterstützungssystemen (Selbst- und Fremdwahrnehmung, soziale Kompetenz, Problemlösungsfähigkeiten usw.), die einen in schlimmen Situationen wie ein Schutzschild beschützt.
Und wie kann ich resilienter werden? Wie alles im Leben kann man auch das lernen, am besten schon in frühen Jahren. Vor allem Kinder können hier Mitgestalter werden und Resilienz ausbauen, indem man sie dabei unterstützt, schwierige Situationen mental gut zu meistern. Andere Länder wie die Schweiz machen es vor und haben die Relevanz von Resilienzbildung schon erkannt. In einem eigenen Schulfach „Glück“ wird den Kindern positive Psychologie nähergebracht.
So sollen die zukünftigen Generationen dabei unterstützt werden, ein glückliches und resilientes Leben leben zu können.