Gretchenfrage in Thüringen: Wie hältst du’s mit den politischen Rändern?
Am vergangenen Sonntag, dem 1. September 2024, gab es ein mittelschweres politisches Beben in Deutschland, als Thüringen einen neuen Landtag gewählt hat. Eine Überraschung war das Ergebnis nicht, schließlich hat der Seismograph seit Wochen angekündigt, was letztlich Realität wurde: Die Randparteien haben gewonnen.
Der Freistaat Thüringen ist historisch ein enorm spannendes Bundesland. Alleine die Stadt Weimar war Heimat zahlreicher Größen: Goethe und Schiller begründeten dort die Weimarer Klassik, Franz Liszt hatte in ebenjener Stadt seine genialsten musikalischen Ideen, und Friedrich Nietzsche verbrachte dort seinen Lebensabend. Politisch betrachtet kennt man die Stadt allen voran für die Gründung der Weimarer Republik – nun, etwas mehr als 100 Jahre später, ist das Bundesland mit rund 2 Millionen Einwohnern nördlich von Bayern um ein historisches Ereignis reicher.
Der Elefant im Raum trägt Hufeisen
Schon vor der vergangenen Wahl war Thüringen ein politisch eigenartiges Bundesland. Die Linke – wohlgemerkt Nachfolgepartei der SED – wurde dort 2019 stimmenstärkste Kraft. An der Spitze der Thüringer Linken sitzt mit (Noch-)Ministerpräsident Bodo Ramelow ein Mann, der die DDR nicht als Unrechtsstaat sieht (ebenso wie sein Kollege Gregor Gysi) und dessen Bundesparteivorsitzende die Parteiendemokratie „überwinden“ möchte, um eine „kommunistische Gesellschaftsordnung“ zu etablieren.
Bereits 2019 wurde die AfD in Thüringen zweitstärkste Partei, fünf Jahre später hat sie die Landtagswahl mit über 32 Prozent gewonnen:
Rechnet man das Ergebnis zusammen, stellt man fest, dass die politischen Ränder gemeinsam auf über 60 Prozent der Stimmen kommen. Angeführt von Rechtsextremist Höckes AfD, gefolgt vom BSW – Sahra Wagenknecht, die einst sagte, lieber in der DDR leben zu wollen, statt in der Bundesrepublik Deutschland, hat nach Abspaltung der Linken die neugegründete Partei in all ihrer kommunistischen Bescheidenheit nach sich selbst benannt – und komplettiert von der Linkspartei. Größte Verliererin ist neben den Ampelparteien ebendiese Linke, die besonders an BSW und AfD Stimmen verlor. Manch eine:r könnte bei der Wähler:innenwanderung ein Hufeisen auf dem Weg finden.
Was tun bei Extremismus?
In der Bundesrepublik muss man sich die Frage stellen, wie es zu solch einem Ergebnis kommen konnte. Aber noch wichtiger: Wie sorgt man dafür, dass die politischen Ränder bei den kommenden Landtagswahlen oder gar der Bundestagswahl nicht erneut so stark werden? Die bisherige Taktik, insbesondere mit Blick auf die AfD, war geprägt von Dämonisierung. Es ist offensichtlich nicht förderlich, wenn man in regelmäßigen Abständen Vergleiche mit der NS-Zeit anstellt und den (potenziellen) AfD-Wählerinnen und -Wählern somit das Gefühl gibt, man würde sie mit Nazis in einen Topf werfen. Man begibt sich damit auch deswegen auf dünnes Eis, weil man Gefahr läuft, die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu verharmlosen. Vielmehr sollte man akzeptieren, dass die AfD von Leuten gewählt wird, weil ihre politischen Botschaften ankommen – und sich gleichzeitig vom Gedanken einer reinen Protestpartei verabschieden. Die etablierten Kräfte täten somit gut daran, nicht jedes Mal, wenn die AfD etwas sagt, vom nächsten Dammbruch zu sprechen und der AfD somit ein Thema allein zu überlassen. Vielmehr sollte man Randparteien auf inhaltlicher Ebene entgegentreten, differenzierte und konstruktive Lösungsansätze präsentieren und diskutieren. Auch und gerade dort, wo es wehtut. In Deutschland sind insbesondere die Themen Asyl und Migration salient, wirklich erfolgreich bespielt werden sie aber nur von der AfD. In Sachen Ukraine-Krieg und EU-Kritik gibt insbesondere das Bündnis Sahra Wagenknecht den Ton an.
Das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen hat einmal mehr gezeigt, dass man weder AfD noch BSW mit Entrüstung und Untergangsszenarien Stimmen abnimmt. Ein Kurswechsel hin zu inhaltlicher Auseinandersetzung und besseren Argumenten (und die existieren) wäre dringend notwendig. Am Ende des Tages gibt es in Deutschland, im Gegensatz zu 1933, immer noch ein Grundgesetz und gefestigte demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, auf die man vertrauen sollte. Mit entsprechendem Selbstbewusstsein, aber mit größter Ernsthaftigkeit, sollte man diesen Randparteien entgegentreten und aufzeigen, wie wenig sie inhaltlich zu bieten haben. Nach starken Worten braucht es jetzt auch Taten. Und eine Abkehr von Panik. Berlin ist nicht Weimar.