Hand aufs Herz – liest du Artikel über den Klimawandel?
Ich muss zugeben: Bis vor eineinhalb Jahren habe ich es tunlichst vermieden, zu viel über den Klimawandel zu lesen. Zu schmerzhaft, zu angsteinflößend, zu sinnlos – denn was kann ich als Einzelperson schon machen?
Mir war klar: Es wird übel. Aber wie übel es werden würde, wollte ich nicht so genau wissen. Der Klimawandel war wie eine längst abgelaufene Packung Frischkäse im Eiskasten – wenn ich nicht zu genau hinschaue, muss ich mir auch nicht eingestehen, dass die Situation schon vor langem Aktion erfordert hätte.
Aber unser auf fossilen Energien basierendes Wirtschaftssystem, das fröhlich CO2 in die Atomsphäre pumpt, lässt sich leider nicht so einfach entsorgen und ersetzen wie ein verschimmeltes Milchprodukt. Stärker noch: Dieses Wirtschaftssystem hat uns dorthin gebracht, wo wir heute sind – in eine Welt, die noch nie reicher, gesünder und gerechter war. Und dort wollen wir auch gerne bleiben.
Um bei der hinkenden Analogie zu bleiben: Die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft ist ungefähr so einfach wie die Aufgabe, den Frischkäse Molekül für Molekül zu durchleuchten und alle Schimmelteilchen herauszupicken – mit 8 Milliarden Teilnehmer:innen, von denen jeder nur ganz bestimmte Teilchen entfernen kann.
Kein Wunder, dass ich den Frischkäse im Kühlschrank hab stehen lassen.
Wer will diese Büchse der Pandora schon öffnen?
Vor einigen Jahren habe ich mich aktiv dafür entschieden, es doch zu tun. Mit Podcasts wie „How to save a planet“, Büchern wie „The Future we Choose”, „The Climate Book” oder „The Sixth Extinction” und der Klimaberichterstattung von engagierten Medien wie The Guardian habe ich begonnen, aktiv hinzusehen und zu lernen.
Wo stehen wir eigentlich? Was sind unsere Möglichkeiten? Und warum haben so viele der Klimawissenschaftler:innen eigentlich noch Hoffnung?
Die ersten zwei Antworten will ich gerne Fachleuten überlasssen – großartige Wissenschaftler:innen wie Reinhard Steurer, Katharine Hayhoe und Ayana Elizabeth Johnson können diese Informationen sehr viel besser kommunizieren als ich. Bei der Hoffnung habe ich inzwischen meine eigene Antwort gefunden. Hoffnung ist in diesem Feld alternativlos.
Klimapolitik ist kein Spiel, das wir gewinnen oder verlieren werden, sondern eine Skala, auf der wir besser oder schlechter abschneiden können – mit extra Spannung, wie Tipping Points die Resultate beeinflussen werden. Wir hören es nicht gern, aber Österreich schlägt sich zurzeit nicht gut. Wir sind unambitioniert und auf dem besten Weg, selbst diese niedrigen Ambitionen nicht zu erfüllen. Mit unserer jetzigen Klimapolitik steuern wir auf eine substanziell veränderte Welt zu – eine Welt, in der verkürzte Skisaisonen unser geringstes Problem sein werden.
Jetzt nicht abhaken, bitte!
Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden Keulen wie „Österreich ist eh nur für 0,22 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, was wir machen, ist deshalb irrelevant“ ausgepackt und als Rechtfertigung verwendet, um weiterzumachen wie bisher. Aber so funktioniert gesellschaftlicher Wandel eben nicht. „Ich bin ja nur ein Sklavenhändler unter vielen – wenn ich aufhöre, machen die anderen trotzdem weiter“ war vor 250 Jahren wohl auch ein legitimes Argument. Und trotzdem finden wir es heute verwerflich.
Wie werden die Menschen der Zukunft uns beurteilen?
Zurzeit schneiden wir beim Gedankenspiel „Was wird meine fiktive Enkeltochter wohl von meiner Reaktion auf die Klimakrise denken“ nicht so gut ab. Statt den Frischkäse zu öffnen und sich zu überlegen, wie man zur De-schimmel-isierung beitragen könnte, darf sich die Situation unbemerkt weiter verschlimmern, während wir uns über Celebritys echauffieren und unseren Sommerurlaub in Thailand planen.
„Aber im Alleingang kann ich die Welt nicht retten!“
Das ist wahr. Der globalen CO2-Konzentration ist es gelinde gesagt egal, ob du tagtäglich 2 Kilogramm Rindfleisch isst oder strikt vegan lebst. Du könntest einen Langstreckenflug pro Woche absolvieren, ohne auch nur in den Promillebereich der Emissionen der größten Unternehmen zu kommen. Und den Umstieg vom Auto aufs Rad wirst du vorrangig in den eigenen Beinen spüren, die Temperaturen lassen sich davon nicht beeindrucken. Trotzdem sind deine persönlichen Entscheidungen so, so wichtig.
Mit deiner Entscheidung, aufs Rad umzusteigen, erhöhst du den Druck, bessere Radinfrastruktur zu bauen, die die Zahl der Radfahrer:innen weiter erhöht. Mit einer Reduktion von Flugreisen zeigst du deinem Umfeld, dass es andere Optionen gibt. Und mit einer Umstellung auf vorwiegend pflanzliche Ernährung schickst du Unternehmen die Message, dass ein Umschwung gewünscht ist – eine Message, die bereits bei der Industrie ankommt.
Ist das genug?
Wahrscheinlich nicht. Allen voran muss der Druck auf Politik und Personen in Machtpositionen erhöht werden, den Frischkäse nicht weiter zu ignorieren. Als Beispiel: Tempo 100 wird erst umgesetzt werden, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung dafür ist. Die Mehrheit der Bevölkerung wird erst für Tempo 100 sein, wenn sie versteht, was die Vorteile der Maßnahme sind und warum sie nötig ist.
Darum: Kopf aus dem Sand. Informiere dich und im Anschluss dein Umfeld. Wiederhole, was gesagt werden muss, und sei auch mal ein bisschen nervig – die Welt wurde noch nie von Leuten geändert, die sich nicht aus ihrer Komfortzone trauen.