Kickl wählt bei seiner Elitenkritik die falschen Feinde
In der politischen Rhetorik haben Eliten einen schlechten Ruf. Aber was, wenn das gar nicht immer gerechtfertigt ist?
Weltklimarat? Check. WHO? Check. World Economic Forum? Check. All diese Institutionen fanden in der letzten Rede von Herbert Kickl im Nationalrat ihren Platz, und alle bekamen ihr Fett ab, als es „gegen die Eliten“ ging, auf die andere Parteien hören würden.
Bei seinem Publikum kommt diese Elitenkritik gut an. Ein Teil davon ist durch Verschwörungstheorien erklärbar: Wer glaubt, dass die WHO gemeinsam mit Bill Gates und den Reptilienmenschen eine giftige Impfung vertreibt, ist wohl für keine Gegenargumente mehr erreichbar. Aber wahrscheinlich liegt der Appeal von Kickls Rundumschlag auch darin, dass das Vertrauen in die Institutionen gesunken ist. Und das nicht immer ganz zu Unrecht.
Der Demokratiemonitor, der jedes Jahr von SORA erhoben wird, zeigt etwa deutlich, dass das Vertrauen in die Politik gesunken ist. Der Bundesregierung, dem Parlament, aber auch den Behörden wird weniger vertraut. Das ist eine Folge der vielen Korruptionsskandale der letzten Jahre – an denen übrigens auch Kickls Partei nicht ganz unbeteiligt war. Aber auch der eigenen Wahrnehmung: Wenn alles immer teurer wird und die Bundesregierung sich mit Scheindebatten wie „Normalität“ und „Bargeld in die Verfassung“ beschäftigt – warum sollte man denen denn großartig vertrauen?
Man sollte es also dem Individuum nicht verübeln, wenn das Vertrauen in die Institutionen sinkt. Das ist erlaubt, und eigentlich auch ein grundsätzlich guter Reflex: Hinterfragen, ob die alle ihren Job machen, davon lebt immerhin eine Demokratie. Und wenn eine Regierungspartei seit 36 Jahren an der Macht ist, darf man darüber nachdenken, ob an der Kritik nicht sogar etwas dran ist. Aber man sollte der Versuchung nicht erliegen, dieses Misstrauen auf das Maximum zu steigern und niemandem mehr zu vertrauen. Zum Beispiel denen, die mit Österreichs Situation gar nicht so viel zu tun haben.
Wer hat Angst vorm WEF?
Nehmen wir das World Economic Forum (WEF), auf Deutsch Weltwirtschaftsforum. In rechten Netzwerken, den zahlreichen FPÖ-nahen Blogs und Telegram-Channels, die bereits vom Verfassungsschutz beobachtet werden, gilt es als beliebter Strohmann für alles Böse in der Welt. Hinter den Impfungen – die natürlich giftig sind, wacht auf ihr Schafe!!! –, aber auch hinter allen unliebsamen Wahlergebnissen, etwa der Abwahl von Donald Trump in den USA, stehen die hinterlistigen Finanziers des WEF und ziehen die Fäden. So die Verschwörungstheorie, die auch von Herbert Kickl und seiner Partei fleißig befördert wird.
Dabei steckt hinter der Schweizer Stiftung nicht einmal eine politische Organisation mit offiziellen Befugnissen. Es ist mehr eine Art Thinktank, eine Lobby, die sich für politische Lösungen bei wirtschaftlichen Themen einsetzt, die die Welt beschäftigen. Das WEF schreibt Wirtschaftsberichte, organisiert Events, schreibt über Ansätze zur Bekämpfung des Klimawandels und trifft sich einmal im Jahr in Davos, wo es sich Kritik für das „neoliberale“ Wirtschaftssystem anhören kann.
Das einzige Problem dahinter: Kein Mensch kennt das WEF. Und warum sollte man auch? Bis auf die Medienberichte über Davos bekommt jemand, der sich nur durchschnittlich für Politik interessiert, auch nichts davon mit. Wenn Kickl also das World Economic Forum erwähnt, klingt das für „normale“ Leute nach einem Namen, der schon irgendwas bedeuten wird. Die Verschwörungstheoretiker als neue Basis von Kickl wiederum fühlen sich angesprochen – endlich zeigt es einer diesen Schurken! Rufzeichen, Rufzeichen!
Dogwhistling an die Verschwörer-Bubble
Und ganz ähnlich ist das bei ganz vielen anderen Erwähnungen aus der blauen Spitzenpolitik. Man nennt diese Strategie „Dogwhistling“: Man sagt etwas, was nur der richtige Empfänger versteht, die anderen überhören es einfach und denken sich nichts dabei. Dabei ist gegen Elitenkritik prinzipiell nichts einzuwenden – wenn sie nicht durch Verschwörungstheorien getrieben wird, sondern einen echten, inhaltlichen Grund hat.
Eigentlich ist es nämlich ganz einfach. Die Weltgesundheitsorganisation koordiniert die Zusammenarbeit zwischen Staaten in der Gesundheitspolitik. Der „Pandemievertrag“ soll dabei helfen, beim nächsten Mal schneller handlungsfähig zu sein. Das hat nichts mit Lockdowns, sondern mit trockenen Themen wie Logistik bei Masken und Impfungen zu tun. Und der Weltklimarat ist das, was man die wohl ignorierteste Instanz der Welt nennen kann: Er veröffentlicht nämlich die Studien, die sehr deutlich nahelegen, dass wir beim Klimaschutz endlich etwas tun müssen. Oder eben nicht müssen, wenn es nach Herbert Kickl geht.
Herbert Kickls falsche Feinde
Damit wählt die FPÖ genau die falschen Eliten, wenn sie das Leben der Menschen besser machen will. Denn die WHO ist nicht schuld daran, dass wir auch nach der Verfügbarkeit der Impfungen noch Lockdowns hatten. Der Weltklimarat ist nicht schuld daran, dass Österreich jetzt die Kosten für die Abhängigkeit von russischem Gas zahlen muss. Und das World Economic Forum ist nicht schuld daran, dass die Inflation bei uns so hoch ist. Wenn diese Themen im Nationalrat besprochen werden, ist die Politik der Bundesregierung der richtige Adressat – aber die ist eben nicht so interessant und unbekannt wie die finsteren Eliten, von denen Herbert Kickl so gerne schwadroniert.
Und eigentlich ist das Ganze ohnehin nur eine Ablenkung. Denn Herbert Kickl war nicht nur der Erste, der einen Lockdown gefordert hat, sondern auch der, der seinen eigenen Fans zum Pferde-Entwurmungsmittel geraten hat. Im Ukraine-Krieg steht er auf der Seite Russlands, verbreitet Putins Propaganda und würde gerne weiterhin abhängig vom teuren Gas bleiben. Und auch in der Inflation schlägt Kickl hauptsächlich vor, der Staat solle mehr Geld ausgeben – was die türkis-grüne Bundesregierung ohnehin macht, und was wiederum die Teuerung anheizt.
Insofern ist es zwar eine nette rhetorische Finte, wenn Kickl zum populistischen Rundumschlag gegen alle Institutionen ausholt, die ihren Job machen. Aber eigentlich sollte er sich das mit der Bundesregierung ausmachen. Und an der eigenen Programmatik arbeiten – denn die würde genau gar nichts besser machen.