Klima: Das Bahnhofsklo der Politik
Wie gut sind Menschen darin, zusammenzuarbeiten? Eine Frage des grundsätzlichen Weltbilds. Schon alte bis antike Philosophen haben sich damit beschäftigt, wie die Menschheit wohl in ihrem „Naturzustand“ sein müsse, ob wir generell „gut“ oder „böse“ sind. Und diese Weltbilder haben sich meist daraus abgeleitet, welchem Beispiel man folgt.
Will man heute die Frage beantworten, wie gut Menschen miteinander kooperieren, zerstört ein Vergleich schnell alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft: das Bahnhofsklo. Es mag in der Theorie gut funktionieren, einen öffentlichen Raum für Bedürfnisse zur Verfügung zu stellen, die wir alle haben. Aber es braucht nur einen „Free-Rider“, der die Toilette nicht so hinterlässt, wie man sie gerne vorfinden würde, und das große Chaos beginnt. Die Folge sind unappetitliche Zustände für alle.
Mehr noch: Die Bahnhofsklos, die wirklich funktionieren – auch von einem Hygienestandard her, nicht nur durch die Betätigung der Spülung – werden von Privaten betrieben und sind nicht für alle offen. Was sagt das dann über die Gesellschaft aus?
Politik mit kollektiven Problemen
Die Säuberung und Instandhaltung eines öffentlichen Klos ist zwar ein pessimistisches, aber auch gut gewähltes Beispiel für ein sogenanntes collective action problem, oder kollektives Handlungsproblem. So bezeichnet man Situationen, in denen eigentlich alle besser dran wären, wenn sie zusammenarbeiten würden – aber durch Interessenkonflikte daran scheitern. Am Ende baden alle die Folgen aus, haben aber keinen Anreiz, sich selbst anders zu verhalten. Man will auch nicht allein der oder die Noble sein, das Klo für alle anderen zu reinigen.
Diese Ausführungen könnten jetzt einfach ein Funfact aus der Politik- oder Wirtschaftswissenschaft sein – wenn wir nicht ein großes und wichtiges collective action problem hätten. Und zwar den Klimaschutz, bei dem es um die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen geht. Auch in der Klimapolitik haben wir ein gemeinsames Problem mit klaren möglichen Lösungen, und doch ist am Ende alles scheiße.
Der Klimaschutz hat viel mit dem Bahnhofsklo gemein
Erstens: Jeder glaubt, dass der Klimawandel „nicht mein Problem“ sei. Kleine Staaten verweisen auf große, die USA auf China und umgekehrt. Wer Auto fährt, schimpft auf die Industrie, wer Fleisch isst, sieht die Schuld bei den Konzernen, wer fliegt, verweist auf die Schiffe. Einig ist man sich nur, dass „jemand, der dafür zuständig ist“ das lösen muss: Die Politik ist die Reinigungskraft der internationalen Politik. Und währenddessen vergessen gerne alle, dass sowohl ihre individuellen Handlungen als auch ihre politischen Entscheidungen Auswirkungen auf das Problem haben, dessen Konsequenzen wir alle ausbaden müssen.
Zweitens: Die Debatte wird rund um Neid und Verzicht geführt. Die Frage, welcher Motor im eigenen Auto ist, wird zu einem Kulturkampfthema hochstilisiert, das in der Emotion der Frage gleichkommt, warum man die Exkremente anderer wegputzen solle. Dabei hätte man mit einem Umstieg auf eine effizientere, günstige Form des Individualverkehrs nichts zu verlieren. Trotzdem nehmen viele eine Abwehrhaltung ein: „Ich habe es nicht gemacht, warum muss ich verzichten?“ Getoppt wird das nur von der Frage, warum andere dann auch dürfen. Mit der Folge, dass am Ende alle CO2 ausstoßen – und niemand etwas ändert.
Drittens: Unsere Fehler multiplizieren sich. Mathematisch mag es korrekt sein, dass nicht „ein Land alleine“ den Planeten retten kann. Das hat auch niemand behauptet. Aber wie sich die meisten Staaten de facto verhalten, ist in unserer Analogie, als würde sich ein großer Haufen Scheiße immer weiter stapeln. So lang, bis auch die beste Reinigungskraft nicht mehr die Werkzeuge hat, um damit fertig zu werden. Das sind die sogenannten Kipppunkte im Weltklima: Ist das Arktiseis einmal weg, kommt es nicht mehr wieder, und die Erde bleibt dauerhaft heißer.
Ein Hoffnungsschimmer
Aber zumindest in einem ist der Klimaschutz etwas „leichter“ lösbar als das banale Problem des Bahnhofsklos. Denn auszuscheren, das zahlt sich nur in der Theorie aus.
Nehmen wir das Beispiel Mobilität. Elektroautos setzen sich gegenüber dem Verbrenner durch, weil sie jedes Jahr billiger werden. Neue Produktionsanlagen und technologischer Fortschritt bei Batterien machen die Alternative immer günstiger, und das auch ganz ohne die zahlreichen Förderungen, die es in vielen Staaten dafür gibt. Währenddessen wissen wir auch, dass wir nicht für immer CO2 in die Atmosphäre blasen können. Und dass der Ausstoß dadurch teurer wird.
Die Konsequenzen des Klimawandels – mehr und schwerere Naturkatastrophen wie Dürren und Hochwasser, mehr und heißere Hitzetage und Tropennächte, mehr Unfälle und Hitzetote – kosten jetzt schon mehr, als uns der Ausstoß einer Tonne CO2 bringt. Denn zumindest den Verbrennungsmotor kann man schon durch das Elektroauto ersetzen: Die individuelle Mobilität bleibt, die Folgen des Klimawandels sinken. Sowohl auf individueller Ebene, bei der einzelnen Person im Stau, als auch auf kollektiver Ebene in der Staatengemeinschaft ist es absolut sinnvoll, die Kosten der globalen Erwärmung zu senken.
Und damit ist der Klimaschutz doch zumindest etwas anders als das Bahnhofsklo: In diesem Fall ist es nämlich wirklich in unser aller Interesse, dass die Welt nicht noch heißer wird. Denn unter Hitzewellen, Naturkatastrophen und aussterbenden Ökosystemen leiden am Ende wirklich wir alle. Darum ist es auch – und das ist die gute Nachricht – relativ egal, ob wir gute oder schlechte Menschen sind. Wir werden das Richtige tun müssen. Und wenn es nur aus egoistischem Antrieb ist.