Klima-Streber statt Klima-Kleber
Der Unmut, den die „Klima-Kleber“ auslösen, ist verständlich – aber die falsche Debatte. Würde Österreich im Klimaschutz genug voranbringen, käme kein Mensch auf solche Ideen.
Straftäter seien sie, eine „Chaostruppe“: Junge Menschen, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen und sich dort festkleben. Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner fordert, die sogenannten „Klima-Kleber“ einzusperren. Und die FPÖ spricht sogar allen Ernstes von „Terrorismus“. Man merkt alleine an der Diskussion schon: Da polarisiert etwas.
Mitglieder der „Letzten Generation“, wie sich die Gruppe mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse nennt – immerhin sind es die heute Jungen, die mit den fatalsten Folgen der Klimakrise umgehen müssen – richten vor allem der Stadtbevölkerung aus, man werde ihre Städte „lahmlegen“. Das heißt: Verkehrsbehinderungen, Straßensperren durch Körper, und eine massive Störung im Alltag.
Ist das sympathisch? Nein. Pendler:innen, die auf ihr Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen, werden nicht plötzlich zu Ökos, weil ihnen jemand schon morgens Probleme mit dem Chef bereitet. Gerade für die übrigens, die nicht die Möglichkeit haben, mal eben mit der U-Bahn in die Stadt zu fahren, ist das besonderer Hohn: Wenn die Rahmenbedingungen fehlen, wird man von den Aktivist:innen für etwas bestraft, das man selbst nicht verbrochen hat.
Ist das zielführend? Vielleicht. Denn die Festgeklebten sagen auch immer dazu, dass es ihnen darum geht, eine Debatte anzustoßen. Und die haben wir zweifelsohne – auch, wenn sich in unserem Diskurs alles um die Frage dreht, ob das Agenda-Setting g’scheit ist.
Das legitime Anliegen der Klima-Kleber
Was aber in der Debatte völlig fehlt, ist das Verständnis darüber, wogegen diese jungen Menschen protestieren: Nämlich gegen die bewusste Zerstörung unseres Planeten.
Das mag sich martialisch anhören. Immerhin sind die allerwenigsten bewusst gegen den Klimaschutz, niemand ist der Böse in seiner eigenen Geschichte. Aber de facto können wir genau das beobachten: Mit jedem Tag, an dem es in Österreich kein Klimaschutzgesetz gibt und an dem der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht drastisch beschleunigt wird, opfern wir ein weiteres Stück Zukunft.
Denn die Klimakrise – darauf weisen auch die „Klima-Kleber“ hin – betrifft Österreich besonders stark. Die 1,5 Grad Erwärmung, auf die sich die Welt durch die Pariser Klimaziele noch beschränken wollte, werden in Österreich bereits 2030 erreicht sein, bis 2100 könnten es fünf Grad mehr sein. Durch den menschengemachten Klimawandel steigt das Risiko für Extremwetterereignisse wie Hochwasser, Dürren, Hitzewellen und verheerende Stürme. Das Artensterben wird beschleunigt, die Zahl der Hitzetoten droht zu steigen, ganze Lebensräume drohen auszusterben.
Diese Entwicklung ist nicht „irgendwann im Rest der Welt“, sondern schon jetzt in Österreich spürbar: Jedes Jahr gibt es mehr Hitzetage, mehr Tropennächte – und mehr Kunstschnee, weil der echte ausbleibt.
Reformen wären das beste Rezept gegen Klima-Kleber
All das sollte die Politik schon heute interessieren. Nicht nur die eine Regierungspartei, die sich rhetorisch dem Klimaschutz verschrieben hat – sondern auch der anderen, die angeblich eine „Wirtschaftspartei“ sein soll. Wer profitiert vom Stillstand in der Politik?
Statt rhetorisch aufzurüsten und zu härterem Umgang mit den Klima-Klebern aufzurufen, wie es im Niederösterreich-Wahlkampf getan wird, sollte sich die Politik Gedanken machen, wie sie ihrem Anliegen den Wind aus den Segeln nimmt. Und das geht am besten mit ambitioniertem Klimaschutz, der den Protest obsolet macht:
- Statt Widerstand gegen Windräder oder Photovoltaik-Anlagen braucht es schnellere Verfahren und bessere Rahmenbedingungen für den Netzausbau. Dafür müsste aber vor allem im Westen Österreichs ein Umdenken stattfinden.
- Statt Beton-Politik braucht es einen Ausbau der E-Lade-Infrastruktur. Wenn wir genug grünen Strom produzieren – was wir könnten –, muss auch niemand auf sein Auto verzichten. Im Gegenteil: Mit dem E-Auto, das durch den Strom der eigenen PV-Anlage geladen wird, lebt es sich sehr einfach umweltschonend.
- Statt klimaschädlichen Subventionen wie dem Pendlerpauschale sollten im Sinne der ökosozialen Steuerreform CO2-Kosten steigen, während die Mitte entlastet wird. Nach dem Motto: Niemand zahlt mehr, aber wer wenig emittiert, zahlt viel weniger.
Österreich hatte mit dem frühen und ambitionierten Ausbau der Wasserkraft lange eine bequeme Situation. Als reiches Land wäre es ein leichtes, die notwendigen Mittel für die Energiewende bereitzustellen – angesichts des „Koste es, was es wolle?“ der letzten Jahre sollte es keine kontroverse Forderung sein, genug Geld für den Klimaschutz bereitzustellen. Über eine Notverordnung könnte der Bund den Ländern eine Frist geben, um Flächen für den Ausbau zur Verfügung zu stellen. Und auch sonst hat Österreich alles, was es braucht, um zum „Klima-Streber“ zu werden.
Aber sich darauf auszuruhen, ist zu wenig: Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es genau diese Reformen, die auch von Klimaschützer:innen eingefordert werden. Das brauchen wir nicht „nur“, um unseren Planeten zu retten – was eigentlich Grund genug sein sollte. Sondern auch, weil wir uns dazu verpflichtet haben und sonst teure Nachzahlungen drohen. Klimaschutz ist also ein Investment ohne gute Gegenargumente, das sich doppelt und dreifach auszahlt.
Eine Lösung? Empathie und Lösungen.
Das wissen auch die jungen Menschen, die sich auf den Straßen festkleben. Und auch, wenn man sich schwer tut, mit jemandem Mitgefühl zu haben, der den Weg blockiert: Die Verzweiflung darüber, dass vor allem ältere Generationen in der Politik die Lösungansätze ignorieren, die auf dem Tisch liegen? Das muss weh tun. Und dieser Schmerz, diese Verzweiflung braucht ein Ventil. Wenn sie ihren Frust auf klassische Protestschilder schreiben, bewegen sie anscheinend auch nichts. Vielleicht ist der Klebstoff einfach das nächste verzweifelte Mittel, um jemanden zu erreichen.
Umgekehrt ist es auch nicht verwerflich, von jungen Menschen zu verlangen, die Reaktion auf ihre Proteste zu verstehen. Wer nichts dafür kann, in einer Gemeinde zu leben, in der es außer dem Auto keine Möglichkeit gibt, um in die Stadt zu kommen, muss sich nicht freuen, wenn man im Sinne der guten Sache aufgehalten wird. Im Gegenteil: Auch dieser Frust ist mehr als verständlich. Es wäre gut, wenn wir die Debatte über Klimaschutz führen könnten, ohne so vielen den Tag zu versauen. Gegenseitiges Verständnis wäre ein wichtiger Schritt dafür.
Die Polarisierung um die Klima-Kleber ist verständlich – aber eine Scheindebatte. Wer wirklich verhindern will, dass junge Menschen auf diese Weise ihren Frust äußern, muss mehr Klimaschutz einfordern. Forderungen nach strengeren Strafen für all jene, die das Problem laut aussprechen, sind keine Lösung – sondern populistische Kosmetik.