Liberalismus geht nicht ohne Feminismus
„Jede:r ist seines / ihres Glückes Schmied.“
Das ist Quintessenz liberaler Chancenpolitik: Jede und jeder soll die Möglichkeit haben, frei von Zwängen und autonom über das eigene Leben und dessen Gestaltung entscheiden zu können – unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Hintergrund eines Menschen.
Eben diese Selbstbestimmtheit zeichnet auch den Feminismus aus, der Unterdrückung, Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beseitigt wissen will. Er verfolgt – anders, als er oft missverständlich interpretiert wird – nicht ein weibliches, sondern ein humanistisches Weltbild, das strukturelle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern für inakzeptabel hält und die Befreiung von ideologischen Geschlechterrollen nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen bezwecken will. Mit dem Ziel, jeden Menschen als Individuum zu sehen und allen die Chance und Möglichkeit zu geben, das eigene Leben so zu leben, wie man es selbst für richtig und sinnvoll erachtet. Unabhängig von Erwartungen, Zuschreibungen oder von anderen vorgefertigten Glaubenssätzen – genau das macht nicht nur den Feminismus, sondern auch den Liberalismus aus.
Nun besteht kein Zweifel daran, dass formale Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern bereits erreicht wurde. Fakt ist aber: Gleichberechtigung ist das Papier nicht wert, auf dem sie glorreich in Form zahlreicher Gesetze und Vorschriften festgehalten wurde, solange die gelebte Praxis – als teils banale Lebensrealitäten manifestiert – immer noch davon abweicht. Das Versprechen der Emanzipation, der strukturellen Gleichstellung und des selbstbestimmten Lebens kann aber nur verwirklicht werden, wenn wir einen Blick auf die reale Gleichstellung werfen.
Haben wir echte Gleichstellung? Ein Reality Check.
An zwei Fragen orientiere ich mich, wenn es um den Grad dieses eingelösten Versprechens geht. In beiden geht es darum, wie selbstbestimmt Frauen ihr Leben gestalten können – und ob andere dabei mitreden (wollen).
Frage 1: Wer gibt vor, wie ich leben soll: Ich oder der Staat?
Habe ich als Frau wirklich die Entscheidungsfreiheit, so zu leben, wie ich es mir vorstelle? Oder gibt der Staat mir vor, wie ich zu leben habe? Angesichts familien- oder steuerpolitischer Steuerungsinstrumente eine berechtigte Frage. Der Auftrag der Liberalen ist, vorgegebene Pfade aufzuzeigen und für jene Rahmenbedingungen einzutreten, die nicht nur kosmetische Möglichkeiten vortäuschen – sondern echte Wahlfreiheit ermöglichen.
Frage 2: Wer gibt vor, wie ich leben soll: Ich oder die Gesellschaft?
Gibt es patriarchale Machtstrukturen, die veraltete Rollenbilder festsetzen und strukturelle Hürden schaffen, die ich nicht alleine überwinden kann? Unvereinbar mit liberalen Grundsätzen sind etwa sexistische Glaubenssätze, die die Ungleichbehandlung von Mann und Frau als berechtigt annehmen. Sie torpedieren jeden Anspruch auf konsequente Durchsetzung des Liberalismus und setzen diesem der legitimen Kritik aus, inkonsequent zu sein. Gebe ich oder eher vielmehr die Gesellschaft vor, wer oder was ich zu sein habe?
Für viele Frauen, die sich diese Fragen stellen, ist die Antwort eindeutig. Anhand von zwei der drängendsten Probleme in der Gleichstellung soll die notwendige Verwebung von Liberalismus und Feminismus dargestellt werden: die fehlenden Frauen in Führungspositionen und ihr übermäßiger Anteil in der Care-Arbeit.
Noch immer sind Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert
Obwohl knapp die Hälfte aller unselbstständig Erwerbstätigen Frauen sind, halten grundsätzlich nur knapp 33 Prozent Führungspositionen inne. Die Geschäftsführungen börsennotierter Unternehmen sind überhaupt nur zu 8 Prozent mit Frauen besetzt, in den Top-Etagen der Top 200 ist die Lage mit einem Anteil von 12,2 Prozent auch nicht besonders rosig. Unverständlich, wenn man bedenkt, dass längst bewiesen ist, dass Geschlechterparität auf der Führungsetage von wirtschaftlichen Unternehmen mit einer höheren Gewinnmaximierung einhergeht: bessere Produkte, mehr Innovation, höhere Rendite, mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Wenn dem aber so ist und – wie Nobelpreisträger Milton Friedman schon sagte – die einzige Verantwortung von Unternehmen darin liegt, ihre Gewinne zu steigern, kann das in Konsequenz nur bedeuten, dass Feminismus und Liberalismus Hand in Hand gehen. Und als solche auch gemeinsam Einzug nehmen müssen.
Nun sind staatlich verordnete Quoten als Eingriff in die Privatautonomie zu qualifizieren – nicht umsonst ist damit stets überaus vorsichtig vorzugehen. Anders verhält es sich mit selbstauferlegten Verpflichtungen, die Diversität und Erneuerung von innen entstehen lassen und nicht von außen vorgeschrieben werden: Hier sollte der Staat Anreize setzen. Sonst werden männlich dominierte Machtstrukturen nicht aufgebrochen werden, die sich aus reinem Machtinteresse hartnäckig halten und für die sogar – entgegen jedem Menschenverstand – wirtschaftlicher Gewinn geopfert und bestenfalls auch noch durch ideologische Argumente verschleiert wird.
Übrigens: Es ist zu wenig – vor allem auch für Liberale – sich mit der fadenscheinigen Erklärung abzufinden, Frauen würden sich oftmals nun mal bewusst kaum für Führungspositionen interessieren oder diese erstreben. Wer tatsächlich daran glaubt, dass zufällig (Millionen) Frauen in so ziemlich allen Branchen, Berufen und Segmenten dieser Gesellschaft in zufälligerweise allen Teilen dieser Erde alle individuell aus Eigenverschulden Chancen verpassen, macht es sich in lebensfremder Weise zu leicht, geschlechtsblinde strukturelle Flecken übersehen zu wollen.
Pflege und Betreuung? Nach wie vor Frauensache
Care-Arbeit – also Arbeit wie die Betreuung von Kindern oder zu pflegenden Angehörigen – ist in Österreich noch immer überwiegend weiblich: Fast jede zweite Frau arbeitet in Österreich in Teilzeit. Laut Agenda Austria begründen das 40 Prozent mit Betreuungspflichten.
Es liegt auf der Hand, dass Familien- und Erziehungsarbeit immer noch mehrheitlich als Frauensache angesehen wird. Die Folgen sind eklatant: Die Spirale an finanzieller Abhängigkeit und Altersarmut von Frauen ist oft vorprogrammiert, sie lässt keinerlei Spielraum für Wahlmöglichkeiten.
Nun wird in diesem Kontext nicht selten die Arbeitszeitverkürzung ins Spiel gebracht, die Frauen bei gleichzeitigem Lohnausgleich mehr Zeit für den Haushalt, die Erziehung der Kinder und die Pflege naher Angehöriger verspricht: eine zutiefst falsche Ableitung, die für Liberale wie Feminist:innen gleichermaßen einleuchtend sein muss. Denn es ist nicht die zeitliche Komponente, die den Kern des Problems darstellt – sondern die weibliche Rollenzuschreibung, die sämtliche Last auf die Schultern von ausschließlich Frauen hievt.
Wer über reine Symptombekämpfung und auch über in dieser Diskussion Selbstverständliches wie den Ausbau der flächendeckenden Kinderbetreuung hinauskommen will, muss größere Anreize und Lenkung setzen: in Richtung stärkerer Beteiligung von Vätern und Streichung von Subventionen auf Teilzeitarbeit. Aber erst, wenn traditionelle und einzementierte Geschlechterrollen der Vergangenheit angehören, können die Lebensentwürfe von Frauen wirklich frei und autonom gestaltet werden. Ohne Rücksicht auf vermeintliche gesellschaftliche Normvorstellungen.
Und nur wenn der Liberalismus und Feminismus ihre Ziele daher gemeinsam verfolgen, kann nicht nur er, sondern auch sie ihres Glückes Schmied sein – in voller Autonomie und voller Eigenverantwortung.