Mit psychischer Erkrankung durch das Gesundheitssystem
Anfang letzten Jahres habe ich mich endlich dazu bewegt, eine Therapie zu starten.
Davor war mir entweder die Suche zu anstrengend, die Wartezeit zu lang, oder ich wollte mir nicht von der Arbeit extra dafür frei nehmen. Mit Verschlechterung meiner Depression und Borderline-Persönlichkeitsstörung habe ich mich dann dazu aufgerafft und es keine Sekunde bereut. Therapieeinheiten sind wie jeder andere Arztbesuch zu sehen, und man sollte sich die Zeit dafür nehmen, wenn man kann. Aber es ist eben noch immer nicht leicht, einen Platz zu finden.
Mittlerweile bin ich seit zwei Jahren in regelmäßiger Therapie. Ich gehe einmal im Monat zur Psychiaterin und führe Gesprächstherapie, bzw. passen wir meine Medikation laufend an. Zusätzlich besuche ich wöchentlich eine Psychotherapie in Form von Verhaltens- und bald auch Schematherapie. Wenn es schlechter wird, gehe ich zwei- bis dreimal zur Psychiaterin. Für die Psychotherapie zahle ich 100 Euro pro Sitzung, für die Psychiaterin 180. Von der Krankenkasse bekomme ich einen Teil zurück, nach Bearbeitung meiner Einreichung, also viel später.
Es war nicht einfach, diese (privaten!) Therapieplätze zu finden. Angefangen habe ich schon 2019 im Frühling. Die Suche online war schon mal nicht so einfach, damals habe ich auf psyonline keine Kassenplätze mehr gefunden und schließlich bei der ÖGK einen Termin bekommen. Der sechs Monate später war.
Damals dachte ich mir: Mir geht es jetzt schlecht. In sechs Monaten geht es mir vielleicht schon anders, was soll ich dann mit der Therapie anfangen?
Mittlerweile findet man online mehr Infos darüber, wie man zu Therapieplätzen kommt, z.B. hier. Man kann aber mit langen Wartezeiten rechnen – oder gar keinen, denn viele nehmen keine neuen Patient:innen auf, weil sie keine Plätze mehr haben. Ich habe dann Ende 2020, als sich meine psychische Gesundheit durch die Lockdowns deutlich verschlechtert hatte, wieder mit der Suche angefangen. Diesmal mit der psychologischen Studierendenberatung, die mir einige Kontakte weitergeleitet hat. Es gibt Psychiater:innen, Psychotherapeut:innen, Psycholog:innen, Therapeut:innen unter Supervision etc. Ziemlich schwierig, wenn man nicht weiß, was genau man für eine Therapie braucht.
Es ist außerdem auch sehr anstrengend, weil man alle durchrufen und jedes Mal erklären muss, warum man denkt, Therapie zu brauchen. Das ist zwar sinnvoll, ist aber für viele mit einem schlechten psychischen Gesundheitszustand sehr erschöpfend. Ich hatte da keinen Therapieplatz auf Krankenschein gefunden, weil es keine mehr gab. Also machte ich mich auf die Suche nach privaten Therapeut:innen. Auch hier erhielt ich einige Absagen, bis ich schließlich zu meiner jetzigen Psychiaterin gefunden habe – dafür musste ich ca. drei Monate warten.
Ich habe das Glück, genug Geld zu haben, dass ich mir die monatlichen 40 Euro Privatversicherung leisten kann. Die habe ich zufällig vor der Pandemie zugelegt – eine meiner besten Freundinnen, aus einer Ärzt:innenfamilie und daher auch recht privilegiert, hatte nämlich sowas und ich dachte mir, dass es dann wohl nicht dumm sein kann, sowas abzuschließen. Damit bekomme ich (mit Verspätung und in Kombi mit der Gesundheitskasse) fast alle Kosten zurückerstattet. Das ist mit der Zweiklassenmedizin in Österreich aber für viele nicht möglich, die auf den Kosten sitzenbleiben.
Für die Rückerstattung der Gesundheitskasse muss man außerdem zwischen der ersten und zweiten Sitzung eine Überweisung vom Hausarzt bekommen und bekommt damit einen Teilbetrag der ersten zehn Sitzungen rücküberwiesen. Währenddessen muss man einen anderen Antrag bei der Gesundheitskasse einbringen, die erstattet dann einen Teilbetrag der nächsten 50 Sitzungen zurück. Das sind in meinem Fall ungefähr die Kosten für ein Jahr Therapie. Falls ich sie länger in Anspruch nehmen möchte – wovon ich ausgehe –, muss ein neuer Antrag eingebracht werden. Bei jeder Beantragung muss eine diagnostizierte psychische Störung im Sinne der Internationalen Klassifikation von Krankheiten vorliegen. Für „weniger Kranke”, wenn man z.B. andere berufliche, schulische oder private Probleme hat, gibt es keinen Kostenersatz.
Der Zugang zu einer finanzierten Therapiemöglichkeit gestaltet sich also auf vielen Ebenen schwer. Immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, klagen über psychische Beschwerden. Von der Regierung wurden dieses Jahr 13 Milliarden Euro in eine Anlaufstelle für Jugendliche bis 21 Jahre zur Behandlung psychischer Krankheiten investiert. Das ist ein guter erster Schritt, aber ein sehr kleiner auf dem Weg zur tatsächlichen Verbesserung dieses Bereichs.
Außerdem braucht es auch mehr Präventionsmaßnahmen wie auch eine Verbesserung der Situation in Psychiatrien. Meine Schulzeit ist schon länger her, ich wusste damals jedenfalls nichts von Schulpsycholog:innen oder überhaupt, was eine psychische Erkrankung ist und wie sie sich äußert. Auch heute gibt es noch wenig Aufklärung und wenig niederschwellige Anlaufstellen wie Schulpsycholog:innen. Ich durfte zuletzt bei einem Workshop des Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien teilnehmen, den „Tagen der psychischen Gesundheit“. Und ich war begeistert vom Programm: Ärzt:innen, Expert:innen von der Kriseninterventionsstelle wie auch dem Psychosozialen Notdienst klärten über Symptome von Depression, Angststörungen, Essstörungen und Suizidgedanken auf und gaben den Schüler:innen Infos zu den zuständigen Stellen mit. Das ist eine private Initiative, die sich Regierungen eindeutig zum Vorbild nehmen sollten.
Die Plätze auf den Psychiatriestationen sind ebenfalls begrenzt. Bei meiner ersten „Einweisung“ kam es mal zu einer Abweisung, weil meine Selbstgefährdung „nicht akut“ sei. Ich hatte nur drei Tage zuvor einen Suizidversuch durchlebt. Erst mit Kontakt zum Oberarzt und einen Anruf meiner Psychiaterin am Tag danach wurde ich für eine Woche aufgenommen.
Auf den Kinderpsychiatriestationen lesen wir schon seit Monaten, dass Triage gelebt wird und viele keinen Platz bekommen. Es gibt auch zu wenige Pfleger:innen, was auch bedeutet, dass es weniger Plätze gibt. Außerdem gibt es keine Nachbetreuung, was viele Patient:innen nach der Entlassung in ein Loch fallen lässt. Alle in meinem Zimmer waren nicht zum ersten Mal dort.
Mir geht es mittlerweile viel besser. Ich arbeite täglich an mir selbst und kämpfe gegen meine Gedanken – die Gedanken sind der schlimmste Feind. Es gibt Auf und Abs, es kann immer wieder zu „Kriseninterventionen“, also kurzen Aufenthalten in der Psychiatrie kommen, aber grundsätzlich habe ich meine psychischen Erkrankungen – Depression und Borderline – unter Kontrolle. Es bedarf aber viel mehr Aufklärung, finanzieller Mittel, Angebote wie auch schließlich einer Entstigmatisierung des Themas in dem Bereich.
Hier sind Notfallstellen, an die man sich wenden kann. Wenn es ganz schlimm wird und man nicht dazu kommt, sich dahin zu wenden, ist die 144 die auszuwählende Option.
Hier die zuständigen Psychiatriestationen in Wien – neben der Akutstation gibt es auch die Möglichkeit zur tages- oder stationären Psychotherapie. Auch hier sollte man aber mit längeren Wartezeiten rechnen.