Pflegefreistellung: Ein Blick über den Tellerrand
Neulich bin ich mit meinem zweieinhalbjährigen Sohn auf dem Spielplatz gewesen. Als Mutter von nur einem Kind ist das Treiben dort überschaubar, so hatte ich sogar Zeit, mich mit anderen Eltern zu unterhalten. Bei einem dieser Gespräche hatte ich ein großes Aha-Erlebnis: Eine Mama von drei Kindern hat mir erzählt, eines ihrer Kinder hätte Verdacht auf Läuse im Kindergarten gehabt, und dafür musste sie sich einen Tag Pflegefreistellung nehmen. Turns out – keine Läuse. Trotzdem ist ein wertvoller Tag für die Pflege des Kindes „draufgegangen“.
Wer in Österreich mit einem Kind seiner Arbeit nachgehen will, steht vor einer großen Herausforderung, wenn es krank wird. Eine Woche Pflegefreistellung steht einem Elternteil im Jahr für seinen Nachwuchs zur Verfügung. Was, wenn es nach mir geht, komplett an der Realität vorbeigeht.
Im Bedarfsfall darf man zwar auch eine zweite Woche dazu nehmen, aber nur – und dieses „Aber“ ist groß – wenn man mehr als ein Kind hat. Und auch mit drei, vier, sieben Kindern: Mehr Pflegefreistellung gibt es nicht.
Es wird also am Arbeitsmarkt davon ausgegangen, dass ein Kind einmal im Jahr oder vielleicht zweimal im Jahr für maximal fünf Tage krank ist, oder es muss eine andere Betreuung organisiert werden. Im Falle einer Großfamilie müssten diese Kinder also am besten alle gleichzeitig krank sein. So ist das in Österreich.
Aber wie sieht das in anderen europäischen Ländern aus?
Im EU-Vergleich scheinen Länder wie Italien, Kroatien und die Slowakei einen stärkeren Rettungsring bereit zu halten. Seit 2019 haben zum Beispiel Väter in diesen Ländern erstmals Anspruch auf bezahlten Vaterschaftsurlaub nach der Geburt eines Kindes.
Diese Fortschritte sind eine Errungenschaft einer noch relativ neuen EU-Richtlinie, die 2022 sogar noch ein Schippchen draufgelegt hat, aber dazu gleich mehr. Gewinner dieser EU-Richtlinien sind zum Beispiel die Tschechische Republik, die Niederlande, Portugal und Rumänien: In diesen Ländern hat sich die Dauer des bezahlten Vaterschaftsurlaubs verdoppelt.
In Österreich gibt es zwar den Papa-Monat, aber Geld von Arbeitgeber:innen? Nein, leider nicht. Was es aber gibt, ist der Familienzeitbonus. Elternteile in Betreuung nach der Geburt bekommen seit 1.1.2024 pro Tag 52,46 Euro, bei 31 Tagen sind das 1.626,26 Euro. Es hat sich also etwas getan. Wobei ein Wochenbett einer Frau sechs bis acht Wochen dauert, bis im weiblichen Körper nach einer Geburt alles wieder im Normalzustand ist – wenn es bei der Geburt keine Verletzungen gegeben hat. Aber ich wiederhole mich: Es hat sich etwas getan.
Die EU-Richtlinie: Ein Kompass für eine bessere Work-Life-Balance
Seit 2022 dient die EU-Richtlinie als Kompass, der Mindeststandards für Vaterschafts-, Eltern- und Pflegeurlaub vorgibt und zusätzliche Rechte – wie das Recht auf flexible Arbeitsregelungen, fünf bezahlte Pflege-„Urlaubstage“ pro Jahr und das Recht auf verkürzte Arbeitszeiten – festlegt.
Diese Richtlinie ist ein Meilenstein, der Eltern und pflegenden Angehörigen hilft, Beruf und Familie besser in Einklang zu bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat klargemacht, dass diese Richtlinie dazu beitragen soll, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und Kinderarmut zu bekämpfen – ein edles Ziel, das zeigt, wie wichtig die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist. Was spricht denn dafür und dagegen, die Zügel im eigenen Land noch lockerer zu lassen?
Mehr als eine Woche Pflegefreistellung: Eine Medaille mit zwei Seiten
Bessere Pflege
Eine längere Pflegefreistellung ist für Eltern, die pflegebedürftige Kinder oder Angehörige haben, eine große Erleichterung. Sich keine Gedanken um die Arbeit machen zu müssen, verbessert die Lebensqualität der Betroffenen spürbar. Und oft ist „krank sein“ einfach nicht nach weniger als einer Woche wieder vorbei: siehe die „echte“ Grippe oder ein gebrochener Knochen bei kleinen Kindern.
Geringere Kosten für das Gesundheitssystem
Bessere Pflege zu Hause kann dazu beitragen, Krankenhausaufenthalte zu minimieren. Im eigenen Zuhause kuriert es sich, im Idealfall, auch am besten aus.
Langfristige wirtschaftliche Vorteile
Gut gepflegte Kinder und Angehörige benötigen weniger medizinische Versorgung – ein gutes Immunsystem und sich in Ruhe auskurieren können, hält länger gesund und verhindert daher im besten Fall die Notwendigkeit weiterer Pflege in naher Zukunft. Ein klarer wirtschaftlicher Vorteil, der die Staatskasse entlastet und zufriedene Arbeitnehmer:innen schafft, die wiederum produktiver sind.
Die Kehrseite der Medaille
Produktivitätsverlust und Kosten
Längere Abwesenheiten der Mitarbeiter:innen können wie Sand im Getriebe wirken und die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen. Mitarbeiter:innen machen dadurch mehr Überstunden, oder es braucht Aushilfen. Das geht vor allem für Klein- und Mittelbetriebe ins Geld.
Bürokratischer Aufwand
Die Verwaltung längerer Pflegefreistellungen kann einen Berg an Bürokratie mit sich bringen, sowohl für Arbeitgeber:innen als auch für Arbeitnehmer:innen.
Missbrauchsmöglichkeiten
Natürlich gibt es schwarze Schafe in einer Gesellschaft. Der eine oder die andere kann die Pflegefreistellung für mehr „Freizeit“ nutzen, ohne dass tatsächlich ein Pflegebedarf entstanden ist. Umgangssprachlich nennt man diese Art von Missbrauch „E-Card-Urlaub“.
Fazit: Österreich hat noch Luft nach oben
Österreich hat in Bezug auf Pflegefreistellung sicherlich Raum für Verbesserungen. Länder wie Italien (bis zu 60 Arbeitstage bezahlt für beide Elternteile) zeigen, wie es besser gehen könnte. Eine erweiterte Pflegefreistellung kann die Arbeitsmarktteilnahme fördern und langfristig wirtschaftliche Vorteile bringen. Die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bietet jedenfalls die Chance, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Pflege zu bekommen.
Eine weitere Woche in Pflege bezahlt für etwa Familien mit mehr als nur einem Kind? Hier würde sich Pflege-Teilzeit anbieten. Für eine gewisse Zeit die Arbeitszeiten zu reduzieren, ohne die berufliche Position zu gefährden, wäre ein denkbarer Weg. Alternativ sehe ich aber ein Pilotprojekt für Familien mit mehr als nur einem Kind. Und warum soll das nicht aus Österreich stammen?!