Rezension: The Years of Lyndon Johnson, eine vierteilige Biografie
Die vierteilige Biografie The Years of Lyndon Johnson ist eine unglaublich lange, aber hervorragende Biografie-Serie. Die Bücher sind eine Schatztruhe an Wissen, insbesondere aber regen sie wie es keine andere Biografie zum Nachdenken an. Die Kernfrage dabei ist: Wie bewerte ich einen Menschen, der sowohl Gutes als auch Schlechtes getan hat – und beides ins Extrem treibt?
Knapp unter 4.000 Seiten, verteilt auf vier Bände: Mit einem unglaublichen Detailgrad erzählt der Autor und Pulitzer-Preisträger Robert A. Caro alles über das Leben des ehemaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson, kurz „LBJ“. In seiner Präsidentschaft hat dieser unter anderem die Rassentrennung beendet, aber auch den Vietnamkrieg eskaliert.
Dabei beschränkt sich Caro nicht nur auf die Hauptperson selbst, sondern erklärt auch sehr detailliert die Geschichte und politischen Prozesse in Texas und den USA und wie diese die Handlung beeinflussen. Fast zehn Jahre Recherchearbeit flossen in jeden Band – ein fünfter und letzter Teil ist noch in Arbeit. Die Arbeit erfolgte ohne Auftrag oder direkte Beteiligung von LBJ, daher beleuchtet sie anders als viele Autobiografien nicht nur die Licht- sondern auch die Schattenseiten des Präsidenten.
Insgesamt wirft die Biografie-Serie eine enorm wichtige und auch heute noch relevante Frage auf: Kann man die guten Handlungen eines Menschen von seinen schlechten Handlungen und den charakterlichen Abgründen dahinter trennen?
Wer war LBJ?
Lyndon B. Johnson war als 36. Präsident der USA maßgeblich an der Gestaltung der „Great Society“-Gesetzgebung beteiligt, die bedeutende Reformen in Bereichen wie Bürgerrechte, Bildung und Gesundheitswesen brachte. Unter seiner Führung wurde 1964 der Civil Rights Act verabschiedet, der die Rassentrennung formell beendete.
Jedoch war seine Präsidentschaft auch durch die Eskalation des Vietnamkriegs geprägt, die zu massiven Protesten und Unruhen führte. Johnson rief auch einen „War on Poverty“ aus, hatte damit aber gemischte Erfolge, und die Auswirkungen sind bis heute umstritten. Er entschied sich 1968 überraschend, nicht zur Wiederwahl anzutreten, insbesondere wegen der großen Kritik an seiner Vietnam-Politik.
Hintergründe einer Präsidentschaft
Das Buch taucht sehr tief in die Hintergründe von LBJs Charakter ein: vor allem die starke Prägung durch Erfolg und Misserfolg seines Vaters und teilweise bittere Armut in der Familie. So entwickelte sich brennender Ehrgeiz und eine Besessenheit von Macht und Einfluss, die LBJ zeitlebens steuerte.
Enorm spannend ist dabei der Zwiespalt zwischen Gut und Böse: LBJ hatte einerseits ein starkes Bedürfnis, Gutes zu tun und einen positiven Einfluss auf das Leben der Menschen zu nehmen. Andererseits zögerte er aber auch nie, Regeln und Moralvorstellungen zu biegen und zu brechen, solange es seinen Zielen diente. Persönlich war ich zugegebenermaßen erstaunt, dass er eigentlich nie Konsequenzen für seine Regelverstöße erfahren musste – auch nach seiner Amtszeit gab es diesbezüglich keine erfolgreichen Ermittlungen.
Für Europäer sind die politischen Haltungen in den Südstaaten im konservativen Amerika oft schwer verständlich. Einen großen Mehrwert liefern darum die Einblicke in die gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe: Wie haben die Expansion in den Westen und die Konflikte mit den amerikanischen Ureinwohnern die Weltanschauung vieler US-Bürger über Generationen geprägt? Wieso ist Texas deutlich stärker auf Eigenständigkeit und Anti-Government-Politik ausgelegt als andere US-Bundesstaaten? Wieso funktioniert der US-Senat so, wie er es tut, wieso gibt es den Filibuster, und wie sehr hat sich das alles nach der Machtübernahme LBJs geändert? Neben den tiefen Einblicken in das politische Amerika des frühen 20. Jahrhunderts abseits der bekannten Metropolen wie New York und Chicago baut der Autor auch mehrere Kurzbiografien von wichtigen Personen in dieses monumentale Werk ein.
Mit Skrupellosigkeit zum Erfolg?
Machiavelli wäre sicher stolz auf LBJs politisches Talent und seine Skrupellosigkeit. LBJ war ein Meister der Manipulation und manövrierte seine Konkurrenten erbarmungslos (und oft auch nicht ganz legal) aus.
Johnson zeigte sich dabei als Inkarnation der Redewendung „nach oben buckeln und nach unten treten“: Er hatte ein großes Talent, Zuneigung und Einfluss bei älteren, einflussreichen Männern zu gewinnen. Gegenüber Untergebenen zeigte er allerdings ein ganz anderes Gesicht und presste diese schonungslos aus. Er wendete erfolgreiche Strategien meist wiederholt an, war aber gleichzeitig ein Meister der Anpassung, der auch das persönliche Wohlbefinden seinem Streben nach Macht und Einfluss unterordnete.
Eine seiner erfolgreichsten strategischen Innovationen ist die Machtergreifung in vormals unbedeutenden Institutionen und die anschließende massive Stärkung ihrer Macht und ihres Einflusses, die er dann zum eigenen Vorteil verwenden konnte. LBJ zeigte damit, wie erfolgreich es sein kann, die Regeln des Spiels zu ändern, wenn man schlechte Karten hat – und so auch gegen große Widerstände gewinnen kann.
Empfehlung
Eine absolute Leseempfehlung! „The Years of Lyndon Johnson“ ist wahrscheinlich die beste Biografie aller Zeiten – fesselnd wie ein Roman und informativ wie ein Geschichtsbuch. Trotz der enormen Länge ist das Lesevergnügen auf jeder einzelnen Seite vorhanden. Hinweis: Die Bücher sind nur im englischen Original vorhanden und – meines Erachtens unverständlicherweise – nie ins Deutsche übersetzt worden.
Dem Autor Robert A. Caro ist hier etwas ganz Großes gelungen, und ich freue mich schon sehr auf den finalen letzten Band. Bisher erschienen ist The Path to Power (1982), Means of Ascent (1990), Master of the Senate (2002) und The Passage of Power (2012).