Wie die Sitze im Parlament verteilt werden
Ist die FPÖ die Mitte? Politisch ist sie das nicht. Ordnet man die österreichischen Parlamentsparteien auf einer (ohnehin längst überholten) Links-Rechts-Achse, würde man die FPÖ wohl ganz rechts sehen – und NEOS in der Mitte.
Wer während der Corona-Pandemie Parlamentssitzungen verfolgt hat, kennt die leicht spiegelnde Plexiglaswand vor dem Rednerpult, die nicht selten einen wütenden Klubobmann Kickl gezeigt hat. Dieser ist besonders oft sichtbar, weil die FPÖ in der Mitte des Plenarsaals sitzt.
Aus Sicht der Rednerin teilen sich die Parteien von links nach rechts auf: SPÖ, Die Grünen, NEOS, FPÖ und ÖVP. Das war – im Groben – schon immer so und wird auch im frisch renovierten Parlament so sein. Aber warum eigentlich? Vermutlich, weil es immer schon so war. Konkret, weil sich die Fraktionen darauf in der Präsidiale erneut – wie üblich – im Konsens darauf geeinigt haben.
Wie die Sitzordnung im Parlament entschieden wird
Der Entschluss der Präsidiale enthält im Wesentlichen ein Tortenstück für jede Fraktion. Wenn sie groß genug ist, bekommt sie einen Sitz in der ersten Reihe – den derzeit alle haben. Die Aufteilung orientiert sich zwar lose am politischen Spektrum, allerdings sitzen SPÖ und ÖVP traditionell an den „symbolisch hochaufgeladenen“ Außenrändern. Die Grünen und die FPÖ, die wohl eher an den Außenrändern sitzen sollten, sitzen darum mittiger.
Warum diese Symbolik relevant ist? Die Begriffe „links“ und „rechts“, mit denen Parteien oft beschrieben werden, kommen direkt aus der Sitzordnung der Französischen Nationalversammlung nach der Revolution. Dort saßen links die Revolutionäre, während rechts die Bewahrer der alten Ordnung Platz nahmen. Heute verlieren diese Zuordnungen ihre Deutlichkeit: „Links“ kann rein historisch auch für den Gedanken des Liberalismus stehen, wird aber tendenziell mit sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Parteien assoziiert. „Rechts“ wiederum kann ein Spektrum von Konservativen über Christlichsoziale bis zu Rechtsradikalen und Faschisten meinen.
Es gab zwar immer wieder Überlegungen, anders zu sitzen, sodass andere Parteien an den Außenrändern platziert werden, aber diese wurden nie in die Tat umgesetzt. Dabei können sich Parteien generell darauf einigen, bestimmte Plätze zu tauschen – so geschehen mit NEOS und Liste Pilz, weil Letztere lieber auf den hinteren Plätzen zusammensitzen wollte. Selbst 2002, als die FPÖ partout nicht neben dem BZÖ sitzen wollte, wurde von der Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. Der FPÖ ist das sicher recht – sie sitzt gerne mittiger. Der „Übeltäter“ ist wohl die ÖVP.
Konsens ist gut und wichtig, klar. Der Blick über den Tellerrand lohnt sich aber. Denn es gibt viele andere Sitzordnungen, mit der eine Kammer das Volk, das sie repräsentieren soll, besser repräsentieren könnte.
Wie andere Länder ihre Sitze aufteilen
In Deutschland wird über die Sitzordnung abgestimmt, auch dort orientiert sie sich am klassischen Links-Rechts-Spektrum. Aber auch dort sitzen die Grünen mittiger als die SPD. Neben der rechten AfD, die ihrer politischen Richtung entsprechend am rechten Rand des Saals platziert wurde, wollte niemand sitzen – die liberale FDP zog als relativ kleine Partei den Kürzeren und musste als „Puffer“ zwischen CDU/CSU und AfD Platz nehmen. Erst mit der Entstehung der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP witterte sie ihre Chance und tauschte mit der CDU/CSU Platz. Die politische Ordnung ist wieder hergestellt.
Die Niederlande haben so viele Parteien, dass eine Tortenstücklogik nicht aufgeht: Grüppchen von einem oder mehreren Abgeordneten einer Kleinpartei sitzen in den mittleren und hinteren Reihen verstreut. Die Sitzordnung ist zwar vage am politischen Spektrum orientiert, aber es stellt sich die Frage, warum einige christliche Parteien vorne in der Mitte sitzen.
Besonders spannend ist die Sitzordnung im Schweizer Nationalrat. Das Ratsbüro weist den Fraktionen ihre Plätze zu, und es scheinen keine der sonst üblichen Regeln zu gelten: keine Tortenstücke, keine Verteilung nach links und rechts, ja nicht einmal die Fraktionen saßen immer zusammen. Teils waren sie schon nach Sprachzugehörigkeit eingeteilt, das war der sogenannte Röstigraben. Am begehrtesten sind die Plätze hinten, auch für Klubobleute – denn dort ist nicht nur die Cafeteria sehr nahe, sondern man hat auch den Überblick über den ganzen Raum. Einzelne Plätze sind dort heiß begehrt und werden (innerhalb der Fraktionen) nach dem Senioritätsprinzip vergeben.
In Schweden sitzen die Abgeordneten nicht nach Fraktionen, sondern nach Wahlkreisen geordnet. Das wäre mit dem österreichischen föderalen System der Mandatsverteilung schwer möglich, da es drei Ebenen von Wahlkreisen gibt – Bundes-, Landes und Bezirksliste. Man kann sich aber vorstellen, dass man dann eben auch eher mit Kolleg:innen aus anderen Fraktionen zusammenarbeiten würde, die dafür aus dem gleichen Wahlkreis kommen. Das wäre so, als ob eine steirische NEOS-Abgeordnete und ein steirischer FPÖ-Abgeordneter neben einer steirischen Grünen sitzen und sich über die Murtalbahn unterhalten können, was dazu führen kann, dass manches parteiübergreifend gelöst werden könnte. Das würde sich aufgrund der geografischen Lage ihres Bundeslandes wohl ziemlich in der Mitte des Saales abspielen.
Die Mitte für die Liberalen
Es gibt also viele mögliche Arten, wie man über die Sitzordnung im Parlament entscheidet und damit anordnet, wie das Volk im Sitzungssaal repräsentiert wird. Die österreichische Lösung mag formell korrekt sein, man darf aber durchaus die Frage stellen, ob eine Partei wie die FPÖ den goldenen Platz in der Mitte verdient hat.
Ehrlicher wäre ein System, in dem die FPÖ rechts außen sitzt, gefolgt von der ÖVP. Je nach Mandatsverteilung würden die Liberalen dann dort sitzen, wo sie hingehören – in der Mitte.