Sondieren, koalieren, regieren
Österreich hat gewählt – und mit diesem Ergebnis eine Reihe von sehr unterschiedlichen Optionen möglich gemacht. Aber der Weg zu einer Regierungsbildung ist weit.
Die FPÖ hat die Wahlen mit einigem Abstand vor der ÖVP gewonnen. Das kommt insofern überraschend, als die Volkspartei in jüngsten Umfragen in Schlagdistanz zu Platz 1 war, nun aber über 2,5 Prozentpunkte hinter den Freiheitlichen liegt. Die SPÖ verzeichnet ihr historisch schlechtestes Ergebnis, während die Grünen nach ihrer Sensation 2019 erwartungsgemäß schlechter abgeschnitten haben und auf 8,2 Prozent kommen. NEOS kommen auf 9,1 Prozent und gewinnen zwei bis drei Mandate im Nationalrat.
Die spannende Frage ist nun: Welche Konstellationen kämen rechnerisch für eine Mehrheit in Frage?
Option 1: Blau-Schwarz
Die einzig realistische Option, wie die FPÖ in der Regierung landet. Besonders spannend werden hier natürlich die Besetzungen der Ministerien, wer den Nationalratspräsidenten stellt und die Klubführung der FPÖ übernimmt. Spannend an diesem Szenario ist, dass der FPÖ-Regierungsbeteiligung das hohe Ergebnis eher schadet als zugute kommt, da die Hürden für die ÖVP als Juniorpartner viel höher sind – Karl Nehammer hat auch am gestrigen Wahlabend eine FPÖ-Koalition mit Kickl an der Spitze ausgeschlossen. Sollte Kickl, aus welchen Gründen auch immer, nicht Bundeskanzler werden wollen, werden die Karten wohl neu gemischt.
Option 2: Schwarz-Rot
Die Stillstandskoalition. Das Problem dieser Variante, neben den enormen inhaltlichen Differenzen, ist ihre knappe Mehrheit: Nur 92 Mandate hätte die „große“ Koalition hinter sich, das ist genau der eine Sitz, der für eine Mehrheit benötigt wird. Wird also im Nationalrat abgestimmt und es kommt zu Krankheitsfällen, Terminkollisionen oder Fernbleiben aus ideologischen Gründen, hätte Schwarz-Rot schnell keine Mehrheit mehr. Es ist fraglich, ob Nehammer und Babler dieses Wagnis eingehen werden.
Option 3: Das Hufeisen
Die unwahrscheinlichste Variante ist eine Koalition aus FPÖ und SPÖ. Die inhaltlichen Differenzen zwischen Kickl und Babler sind groß, noch schwieriger wäre es allerdings, diese Koalition den jeweiligen Wählergruppen zu verkaufen. Wien ist schließlich nicht Eisenstadt.
Option 4: Groß-Grün
Da ÖVP und Grüne keine Mehrheit mehr haben, wäre es – in der Theorie – denkbar, dass die beiden bisherigen Regierungsparteien die SPÖ mit ins Boot holen. Realistisch ist das aus Sicht der ÖVP allerdings nicht, da man dann mit den beiden ideologisch am weitesten entfernten Parteien koalieren müsste. Die vergangene Legislaturperiode hat gezeigt, dass der Volkspartei bereits ein Partner links der Mitte genug war. Sie hat andere, naheliegendere Optionen.
Option 5: Reformkurs
Denkbar – und mit einer stabilen Mehrheit von 110 Sitzen ausgestattet – ist außerdem ein Bündnis aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Eine Dreierkoalition wäre (nach jener von 1945) ein Novum in Österreich und würde NEOS als frische und unverbrauchte Kraft erstmals auf nationaler Ebene in Regierungsverantwortung bringen. Klar ist: Es würde kein „weiter wie bisher“ bedeuten. Ob die ÖVP lieber einen reformwilligen, zweiten Juniorpartner auf der Regierungsbank hat als eine haarscharfe Mehrheit mit der wankelmütigen SPÖ, werden die Sondierungsgespräche in den kommenden Wochen zeigen.
Österreich steht also am Scheideweg: Es gibt schlechte und schlechtere Optionen – und eine mutige.