SPÖ und Russland: Fake News in Rot
„Wenn ein faschistisches Regime sein Nachbarland in genozidaler Absicht überfällt und unzählige Kriegsverbrechen begeht, kann es für eine aufrechte Sozialdemokratin wie mich nur eine Antwort geben: Jein“, bekräftigt Rendi-Wagner und zuckt lächelnd die Schultern.
Ein Auszug aus der Satirezeitung Die Tagespresse, der einem manchmal etwas zu realistisch vorkommen könnte. Zum Beispiel, wenn mehr als die Hälfte der Sozialdemokratischen Partei bei der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj den Sitzungssaal des Nationalrats verlässt.
Gemischte Botschaften zu Ukraine-Krieg
Wie die SPÖ sich in der Ukraine-Krise positioniert, könnte man wirklich mit „Jein“ zusammenfassen. Einerseits bekennt sich das aktuelle Spitzenpersonal der Partei immer wieder dazu, Russland als den Aggressor zu erkennen. Andererseits wird diese Position nicht nur durch das Fernbleiben bei der Rede Selenskyjs konterkariert. Dazu kommt noch, dass die außenpolitische Sprecherin der SPÖ – wer es nicht gewusst hat, das ist Pamela Rendi-Wagner – verhindert war, die Rede im Parlament stattdessen durch Jörg Leichtfried gehalten wurde. (Die FPÖ verzichtete übrigens auf einen Redebeitrag und verließ geschlossen den Raum.)
Interessant ist, dass Leichtfried in seiner Rede auch die FPÖ für ihre Nähe zu Russland kritisierte. Er erwähnte, dass sie im Parlament 30 prorussische Anträge gestellt hat und damit „kein Zeichen für Frieden und Neutralität“ leiste. Den Punkt kann man ihm geben – wer den Saal verlässt, während der Präsident eines angegriffenen Landes von Kriegsverbrechen in seinem Land erzählt, sorgt nicht für Frieden, sondern für Anbiederung an den Aggressor. Im Sitzungssaal zu sitzen, ist kein zwingendes Zeichen der Zustimmung, sondern ein Zeichen des Respekts vor einem Staat, der seine territoriale Unversehrtheit (und, so nebenbei: die Freiheit in ganz Europa) verteidigt.
Glaubwürdiger wäre das, wenn nicht die Hälfte seiner Kolleg:innen im SPÖ-Parlamentsklub das Gleiche getan hätte. Gut, die Tafeln haben sie ausgelassen – aber mehr als die Hälfte der SPÖ-Abgeordneten, 22 von 40, waren nicht im Saal, als Selenskyj erzählte, was die russische Armee in der Ukraine anrichtet.
Warum die SPÖ die Rede boykottierte
Dass die SPÖ eine historische Nähe zu Russland hat, ist nicht überraschend: Bis 1991 stand das S im Parteinamen nicht für „Sozialdemokratisch“, sondern für „Sozialistisch“. Schon 2014, nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, positionierten sich einige in der SPÖ auf der prorussischen Seite. Zum Beispiel Julia Herr, damals Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, heute eine der Abgeordneten, die Selenskyj nicht zuhören wollen. In einer Presseaussendung äußerte sie sich kritisch gegenüber der (SPÖ-geführten) Bundesregierung unter Bundeskanzler Werner Faymann:
Sanktionen gegen Russland sind kontraproduktiv, bringen nichts und führen nur tiefer in die Krise. Anstatt für eine diplomatische und friedliche Lösung zu sorgen und endlich Hilfskonvois der EU in der Ostukraine zu fordern, übt sich die österreichische Regierung darin, nach Geschmack von NATO, EU und USA auf einen einseitigen Russland-feindlichen Kurs aufzuspringen. Das ist für ein neutrales Land wie Österreich eine Schande!
Herr gehört zu den Abgeordneten, die bei der Selenskyj-Rede gefehlt haben – aber nicht nur sie fiel mit prorussischen Äußerungen auf. Auch der SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer hat auf Twitter Äußerungen getätigt, die das Narrativ des Kreml unterstützen:
Woran genau er sich aus dem Jahr 2014 erinnert, spart er als Info aus. Damals war Wolodymyr Selenskyj auch Präsident – aber nur in der Fernsehserie „Diener des Volkes“, als Schauspieler und Hauptcharakter. Der russlandfreundliche Präsident Janukowitsch verlor im Zuge der proeuropäischen Proteststimmung sein Amt und machte Platz – interimistisch für Oleksandr Turtschynow, danach für Petro Poroschenko. Im Falter wiederum gibt Laimer an, der Rede von Selenskyj aufmerksam zugehört und sie als „wertschätzendes Signal an unser Land“ empfunden zu haben. Er sei der Rede aus innenpolitischen Gründen ferngeblieben, immerhin habe der ukrainische Präsident bei einer Veranstaltung auf Einladung von Wolfgang Sobotka gesprochen. Und die wiederum dritte Erklärung, warum Laimer unter den Abgeordneten sein könnte, die der Rede fernblieben, postete er schon im März 2022 auf Facebook:
Aber Laimer ist bei weitem nicht der Einzige, der sich negativ gegenüber Selenskyj äußert. Die Abgeordnete Petra Tanzler schreibt in ihrem Statement an den Falter:
Abgesehen davon hat eine Rede eines kriegsführenden Staatschefs, der Kriegspropaganda betreibt, die Gewerkschaften in seinem Land bekämpft und angeblich Streu- und Phosphatbomben auf Unschuldige abwerfen lässt, in einem Parlament eines sich zur Neutralität bekennenden Landes, nichts zu suchen. Wenn Präsident Sobotka dies unterstützt, dann ist das seine Sache.
First things first: Es heißt Phosphorbombe, nicht Phosphatbombe. Das sind Bomben, denen Phosphor und weißer Kautschuk beigefügt wird, um durch die Explosion ausgelöste Brände weiter zu beschleunigen und anzufachen. Sie sind also besonders zerstörerisch – und werden auch von Russland eingesetzt. Dass die Ukraine „gegen Unschuldige“ einsetzt, ist wiederum nicht belegt. Die Abgeordnete dürfte sich auf Berichte eines rechten Mediums stützen, das diesen Einsatz lediglich nahelegt, da die ukrainische Regierung ebenfalls über diese Waffen verfügt. Dass die Ukraine in der Regel nicht auf Unschuldige losgeht, sondern ihr Territorium verteidigt, unterschlägt Tanzler. Die Betonung liegt also auf „angeblich“.
SPÖ Propaganda
Auf der anderen Seite wiederum werden russische Verbrechen geleugnet. Dass das Flugzeug MH17 2014 durch von Russland unterstützte Rebellen in der Ostukraine abgeschossen wurde, war für den Nationalratsabgeordneten Christoph Matznetter etwa unklar – er vermisse eine „klare Darstellung“ der Ereignisse. Matznetter ist Mitglied der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft und teilte auch bereits Beiträge verschwörungstheoretischer Medien zum Thema Ukraine.
Die Beide-Seiten-Erzählung, mit der man eine diffus verstandene Neutralität rechtfertigt, indem man Aggressor und Verteidiger gleichermaßen ablehnt, zieht sich durch viele Aussagen ranghoher Roter. So sagt Bundespräsident a.D. Heinz Fischer im SPÖ-Parteimedium Kontrast etwa: „In der Ukraine hat es einen russischen Flügel und einen pro-westlichen Flügel gegeben, die haben sich bekämpft. Sie haben sich am Maidan gegenseitig beschossen.“ Als die frühere Außenministerin Karin Kneissl auf ihrer eigenen Hochzeit die berühmten Knicks-Fotos lieferte, wollte ihr Fischer keinen Vorwurf machen – sie bemühe sich um eine gute Beziehung zu Russland.
Ein weiteres Mitglied der „Neutralitätsgruppe“ ist David Stockinger, der ehemalige Vorsitzende der SPÖ Schwechat. Im belarussischen Staatsfernsehen verteidigte er die Regierung des autoritär geführten Staates, soziale Netzwerke wie Telegram bezeichnete er als „Gefahr“ – diese sind wichtig für die Koordination von Protesten und Opposition im Land von Lukaschenko, Putins wichtigstem Verbündeten in Europa. Stockingers Interview kommt nicht überraschend, er ist immerhin Teil der „Österreichisch-Weißrussischen Gesellschaft“, einer Freundschaftsgruppe, die sich generell für Propaganda im Sinne des Lukaschenko-Regimes hergibt. 2020 etwa behauptete die Gesellschaft, es sei „reine Spekulation“, ob die Präsidentschaftswahl eine Scheinwahl gewesen sei, obwohl Oppositionelle im Vorfeld festgenommen und Manipulationsversuche belegt wurden.
Vergangenes Wochenende wurden Fotos von Stockinger publik, in denen er in einer Uniform der NKWD auftrat – das ist der Geheimdienst der Sowjetunion, der für politische Morde bekannt ist, auch gegen Vertreter:innen der Sozialdemokratie. Er trat am Ostermontag zurück.
Die SPÖ muss sich entscheiden
Es ist also nicht nur ein Ausrutscher auf Bundesebene – in den sozialdemokratischen Reihen gibt es einige Putin-Versteher:innen. Die abwesenden Nationalratsabgeordneten bei der Selenskyj-Rede waren übrigens die Abgeordneten Ecker, Einwallner, Erasim, Greiner, Heinisch-Hosek, Herr, Holzleitner, Köchl, Köllner, Kollross, Kucharowits, Laimer, Lindner, Muchitsch, Nussbaum, Rendi-Wagner, Schatz, Silvan, Tanzler, Wimmer und Yildirim. Alois Schroll kam zu spät.
Die SPÖ muss sich die Frage stellen, auf welcher Seite sie steht. Auf der einen Seite Russland zu verurteilen und auf der anderen Seite die Propaganda des Kreml zu übernehmen, geht sich nicht aus. Entweder gibt es ein klares Bekenntnis dazu, die Ukraine zu unterstützen – was diplomatisch, politisch, eben nichtmilitärisch auch einwandfrei mit der Neutralität vereinbar ist. Oder man lässt es. Und gibt damit eben zu, dass sie sich in dieser Frage nicht von der FPÖ unterscheidet.