Staatsschulden: Ohne Schuldenbremse geht es nicht
Man kann nicht mehr Geld ausgeben, als man hat – eine Weisheit, für die man nicht weise sein muss, sondern die man normalerweise von den Eltern mitbekommt. Aber wonach wir alle uns richten müssen, darauf pfeift der Staat: Denn Staatsschulden sind in Österreich kein Ausrutscher, sondern einkalkulierter Teil der Budgetpolitik.
Momentan hat Österreich Schulden in der Höhe von 350,7 Milliarden Euro, in den nächsten Jahren wird dieser Wert auf 419 Milliarden steigen. Das wissen wir einerseits durch Daten des Finanzministeriums, andererseits durch den Finanzrahmen für die nächsten Jahre: Schulden sind weiter aktiv vorgesehen. It’s not a bug – it’s a feature.
Trotzdem scheinen Staatsschulden ein erstaunlich gutes Image zu genießen. Anders ist kaum zu erklären, dass in guten wie in schlechten Zeiten Schulden aufgenommen werden. Sogar wenn man unterstellt, dass es in Österreich kein Schwein interessieren würde: Seit 2013 waren vier von fünf Parlamentsparteien in Regierungen, und trotzdem steigen die Staatsschulden weiter. Wissen die etwas, was wir nicht wissen?
RIP Schuldenbremse: Die Stunde des Bundesrates
Wie man Staatsschulden befürworten kann, sah man in einem seltenen historischen Ereignis in den letzten Monaten vor der Pandemie: der Stunde des Bundesrates. Die zweite Parlamentskammer, die Gesetze im Wesentlichen nur verzögern kann, konnte durch wechselnde Mehrheiten in den Ländern ausnahmsweise wirklich blockieren – und sorgte dafür, dass das Vorhaben einer „Schuldenbremse“ scheiterte. Blockiert wurde das Vorhaben von SPÖ und Grünen.
„Diese Investitionsbremse in der Verfassung würde verhindern, dass wir wichtige Investitionen tätigen können.“
Korinna Schumann, SPÖ
Gibt man SPÖ und Grünen den „benefit of the doubt“, gibt es durchaus Argumente gegen eine Schuldenbremse. Immerhin gibt es dringende Investitionen, die nur teurer werden, wenn man damit wartet – eine selbstauferlegte Ausgabenbremse ist da ein Hindernis. Auch das kennen wir aus der privaten Weisheit: Die „dringend notwendige Investition“ eines Immobilienkaufs könnte uns alle langfristig gegen die Altersarmut absichern und ist jetzt vermutlich günstiger als in einem Jahr. Also her mit dem Kredit!
Aber es gibt ein grundsätzliches Argument gegen dieses Vorhaben: Man braucht doch gar keine Schuldenbremse, um vernünftig zu haushalten. In Zeiten guter Konjunktur muss man den Haushalt sanieren, Schulden zurückzahlen und Strukturreformen angehen, um effizienter zu werden. Wenn ein Staat diese Hausaufgaben macht, kann er es sich auch leisten, in der Krise kurzfristig ins Minus zu gehen, um sich „aus der Krise herauszuinvestieren“. Eine Budgetpolitik, die wohl niemand ablehnen würde.
Staatsschulden sind der Preis für verpasste Reformen
Trotzdem scheint es so, als würden wir diese Schuldenbremse brauchen – denn auch in konjunkturell besten Zeiten, als die Finanzkrise schon längst Vergangenheit und die Pandemie noch weit entfernte Zukunft war, hat die Republik ordentlich Schulden gemacht. Und das, obwohl wir keinen Ausnahmezustand im Gesundheitssystem zu managen, keine enormen Preissteigerungen zu kompensieren und keine stark getroffenen Branchen zu retten hatten. Also die perfekte Zeit für die „wichtigen Investitionen“, die Schumann anspricht.
Und was ist passiert? Nichts. Nötig gewesen wären zu dieser Zeit aber Strukturreformen: etwas, was gerade die damals regierenden Parteien SPÖ und ÖVP nicht mögen. Denn um das Bildungswesen zu reformieren – für das wir viel Geld ausgeben, um mittelmäßige Ergebnisse zu erzielen –, müsste man sich auf eine bildungspolitische Vision einigen können. Um das Gesundheitssystem zu retten, müsste man nicht nur gemeinsame Ziele definieren, sondern auch einen Ausgleich finden: Nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch zwischen den unterschiedlich regierten Ländern, mit Sozialversicherung, Ärztekammer, ÖGK etc.
Und wenn diese großen Brocken nicht angegangen werden? Dann zahlen wir eben doppelt und dreifach für eine bescheidene Leistung. So gibt es in Österreich oft Doppel- und Dreifachstrukturen: Weil es keine gemeinsame Lösung gibt, kümmern sich eben Bund, Länder und Gemeinden um alles. Gerade in Zeiten hoher Inflation rächt sich das: So hat die „Strompreisbremse“ im Bund kombiniert mit dem „blau-gelben Strompreisrabatt“ in Niederösterreich dazu geführt, dass für kurze Zeit in Niederösterreich eine Kilowattstunde Minusbeträge gekostet hat. Ein klarer Anreiz, mehr Strom auszugeben – und ein Armutszeugnis für die Fähigkeit politischer Lösungen.
Deutschland zeigt die Herausforderungen der Schuldenbremse
Angesichts dessen gibt es doch ein Argument für die Schuldenbremse: Wenn man der Politik nicht vertrauen kann, schwierige Entscheidungen zu treffen und verantwortungsvoll mit Steuergeld umzugehen, dann muss man sie eben dazu zwingen. Wenn alle Stellen der öffentlichen Hand einen maximalen Spielraum haben und nicht freihändig ausgeben können – was vor allem für die Länder ein Gamechanger wäre –, dann wäre plötzlich Budgetdisziplin gefragt. Und dann muss man schauen, wo man das Geld besser einsetzen kann.
Dass es in der Praxis nicht immer so einfach ist, zeigt das Beispiel Deutschland. Dort wurde jahrzehntelang zu wenig in Infrastruktur investiert, was sich doppelt und dreifach rächt: Ähnlich wie Österreich war das Land zu Beginn des Ukraine-Kriegs abhängig von russischem Gas, gleichzeitig ist die gesamte Verkehrspolitik auf das Auto ausgelegt. Die Deutsche Bahn ist das einzig Deutsche, das einen noch schlechteren Ruf hat als das deutsche Handynetz – geschweige denn von Internetverbindungen, die in einem wirtschaftlich hochentwickelten Welt erbärmlich sind. Dazu kommt, dass der Atomausstieg, der nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossen wurde, genau jetzt dazu führt, dass unser Nachbarland wieder verstärkt auf Kohle setzt: Die Emissionen steigen, und das mit einer grünen Regierungsbeteiligung.
Was hat das mit Staatsschulden zu tun? Diese Fehlentwicklungen jahrzehntelanger (vor allem konservativer und sozialdemokratisch geprägter) Politik zu korrigieren, kostet Geld. Um die Klimaziele zu erreichen, braucht Deutschland einen nennenswerten öffentlichen Verkehr und Energie aus nichtfossilen Quellen, also neue Wind-, Solar- und Wasserkraft. Auch Infrastruktur im Mobilfunkbereich kostet Geld, geschweige denn von wirtschaftlichen Problemen, mit denen alle Staaten Europas zu tun haben: Auch in Deutschland gab es eine Pandemie, auch in Deutschland gibt es hohe Inflation. Hier sieht man ein klassisches Beispiel von Investitionspotenzial – eine Schuldenbremse macht diese Herausforderung eindeutig schwieriger.
„There Is No Alternative“
Die Alternative zum Beharren auf der Schuldenbremse wäre eine einfache Antwort: „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.“ Die Frage ist nur: Wann ist der richtige? In Zeiten ohne große Herausforderungen scheint sich eine apolitische Wurschtigkeit einzustellen, wenn es um Zukunftsinvestitionen geht. Und wenn wir vor diesen Herausforderungen stehen, heißt es, das müsse doch jemand finanzieren. So wird der Status quo immer weiter fortgeführt – bis irgendjemand, der in den letzten Jahren geboren ist und nichts dafür kann, die Rechnung zahlen muss.
Der mehrjährige Finanzrahmen, den die schwarz-grüne Bundesregierung vorgelegt hat, ist ein Beweis dafür, dass es keine Absicht gibt, diesen Trend bis 2027 umzukehren: Bis dahin wird die Republik jedes Jahr neue Schulden aufnehmen. Das ist aber kein Geld, das uns frei zur Verfügung steht und keine Probleme macht – sondern Geld, das für Bildung, Gesundheit und Klimaschutz fehlt. Und Geld, das wir irgendwann zurückzahlen müssen. Darum ist es auch Unsinn, wenn Andreas Babler behauptet, die Frage nach der Finanzierung von Reformen gehöre „zurückgewiesen“. Denn wenn die SPÖ keine Antwort darauf hat, liefert sie trotzdem eine: Es zahlen die nächsten Generationen.
Wer an einem effizienten, schlanken, aber auch an einem nur minimal verantwortungsvollen Staat interessiert ist, kommt in Österreich nicht um die Idee einer Schuldenbremse herum. Denn das andere Szenario, das dafür nötig wäre, ist ein struktureller Wandel in fast allen politischen Parteien. Und da ist eine parlamentarische Mehrheit für die Bremse doch deutlich realistischer.