Steckt Europa nicht in die Schublade
Die EU-Wahl ist geschlagen. Nach Debatten über „EU-Wahnsinn“, den Verbrennungsmotor und die Vereinigten Staaten von Europa ist klar, dass sowohl die stärkste proeuropäische als auch die stärkste antieuropäische Fraktion dazugewonnen haben. Mit ihren zusätzlichen Mandaten werden sie wohl ganz unterschiedliche Dinge umsetzen. Aber werden wir das mitbekommen?
Denn das Ende des Wahlkampfs bedeutet auch, dass jetzt der wichtigste Teil kommt: dranbleiben.
Bei der EU-Wahl wurde viel versprochen. Die ÖVP hat angekündigt, im Alleingang eine sterbende Technologie am Leben zu erhalten, gegen Markt und EU-Mehrheit. Die SPÖ wollte einen europäischen Mindestlohn und ein Verbot unbezahlter Praktika in der gesamten Union. Und NEOS will mehr Zusammenarbeit, eine stärkere, tiefer verzahnte Union, die in wichtigen Zukunftsfragen zusammenarbeitet, von Klima- über Migrations- bis Sicherheitspolitik.
All das sollte jetzt aber nicht in wenig bekannten Ausschüssen im Europäischen Parlament versinken – sondern weiter auf der politischen Agenda bleiben. Denn es war kein Wahlkampf-Schmäh: EU-Politik ist wichtig, und was in Parlament, Kommission und Rat passiert, ist zu wichtig, um ignoriert zu werden:
- Werden strategisch wichtige Industrien in Europa bleiben, weil die EU die richtigen Rahmenbedingungen setzt? Oder werden sie abwandern, weil die USA und China wettbewerbsfähiger sind?
- Erlauben wir weiterhin einzelnen Staaten, große Entscheidungen zu blockieren, oder fällt das Einstimmigkeitsprinzip, um Reformen in den wichtigsten Bereichen zu ermöglichen?
- Schafft es die Europäische Union, ihre Klimaziele zu erreichen und Klimaschutz zum Wettbewerbsvorteil zu machen? Oder wird die Anpassung an den Klimawandel teuer, weil wir zu spät unsere Wirtschaft modern machen?
- Bauen wir eine gemeinsame Verteidigung auf, um uns aus der Abhängigkeit der USA zu lösen? Oder bleibt unsere Sicherheit abhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt?
- Bleiben wir bei der Unterstützung für die Ukraine? Oder lassen wir sie fallen und etablieren ein internationales System, in dem nur das Recht des Stärkeren zählt?
All diese Bereiche werden von einer Kommission verhandelt, die auf Basis des neuen Ergebnisses und nationaler Mehrheiten besetzt wird. Gerade jetzt sollten wir genau hinschauen, wer diese Themen für uns verhandelt – denn Parteipolitik an den wichtigsten Schalthebeln Europas sollten wir genauso kritisch beobachten wie Parteipolitik in Österreich.
Im Wahlkampf haben wir oft gehört, dass die wichtigsten Zukunftsfragen in Europa verhandelt werden. Jetzt ist es Zeit, dem Taten folgen zu lassen. Für uns alle bedeutet das, genau hinzuschauen – und nicht nur dann über „Brüssel“ zu reden, wenn man in der Innenpolitik wieder nach Ausreden sucht.