Trump 2.0 oder Europas Emanzipation
Es ist so weit: Donald Trump ist nach einem schmutzigen bis blutigen Wahlkampf der 47. Präsident der USA. Der Ton nach seinem Wahlgewinn war, wie man es von Trump kennt: In gewohnter Manier polterte er bei quasi jedem außenpolitischen Thema, sei es beim Ukraine-Krieg oder zuletzt sogar in Richtung der eigenen NATO-Bündnispartner. Ton und Haltung werden also rauer, aber in Trumps zweiter Präsidentschaft liegt auch eine große Chance für die EU.
Von alten und neuen Konflikten
Ukraine – Russland
Während Joe Bidens Amtszeit hat Donald Trump vollmundig angekündigt, den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. Aus diesem (über)ambitionierten Ziel sind nun mehrere Monate geworden. Es ist nicht auszuschließen, dass die 24-Stunden-Ankündigung ein impulsiver Moment war, der im Nachhinein von Trumps Berater:innen und Expert:innen eingefangen werden musste. So oder so wäre ein Frieden in der Ukraine zweifellos eine Errungenschaft, die sich Trump ans Revers heften könnte und würde. Die Gretchenfrage liegt aber darin, wie dieser Frieden aussehen würde. Mit den derzeit eroberten Gebieten Russlands auf ukrainischem Boden würde das einen erheblichen Verlust für die Ukraine bedeuten – und gleichzeitig einen fragilen Frieden. Es wäre ein Ende des Konflikts aus einer populistischen Motivation heraus.
Die andere Variante würde wohl an Putins Unterschrift scheitern: Die Grenzen werden dort gezogen, wo sie vor Russlands Einmarsch im Februar 2022 lagen. Das wäre gleichbedeutend mit einer krachenden Niederlage für Putin. Die dritte Variante ist noch unwahrscheinlicher: Die bisher von Russland eroberten Gebiete werden zur neutralen Zone. Dass solche Pufferzonen lange funktionieren können, beweist der Fall Zypern. Dort existiert eine solche von den Vereinten Nationen administrierte Zone, die den Süden Zyperns von der Türkischen Republik Nordzypern trennt, seit 1974. Dass die UN in irgendeiner Form tätigt wird, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht umsetzbar, zumal Russland und China im UN-Sicherheitsrat sitzen und bereits eine Vetostimme solche Missionen im Keim ersticken würde.
Israel – Palästina
Die USA waren und sind ein großer Unterstützer Israels. Das werden sie vermutlich auch bleiben. Inwieweit Trump aktiv in den Konflikt Israels mit Palästina eingreifen wird – oder ihn sogar befeuert – bleibt abzuwarten. Die jüngst erzielte Waffenruhe samt Geiseldeal wird Trump in den kommenden Wochen sicher weiterhin als eigenen Erfolg verkaufen, wie er es direkt nach Verkündung des Deals bereits tat:
„This EPIC ceasefire agreement could have only happened as a result of our Historic Victory in November, as it signaled to the entire World that my Administration would seek Peace and negotiate deals to ensure the safety of all Americans, and our Allies. I am thrilled American and Israeli hostages will be returning home to be reunited with their families and loved ones.“
Ob Trump für mehr Stabilität in der gesamtem Region sorgen kann, ist allerdings mehr als fraglich. Vermutlich wird es bei vergleichbarer Selbstbeweihräucherung, wie im Fall des Geiseldeals, bleiben. Echte Stabilität wird es im Nahen Osten aber, unabhängig vom US-Präsidenten, auf Sicht nicht geben.
China
Ein offener (militärischer) Konflikt mit China ist derzeit unwahrscheinlich. Das könnte sich ändern, wenn China versuchen würde, sich Taiwan einzuverleiben. Wahrscheinlicher ist bis dahin eher ein Handelskrieg mit Peking. Trumps Ankündigung von hohen Zöllen kennt man mittlerweile, aber auch da gilt es abzuwarten, ob er wirklich ernst macht. Da Zölle den USA mehr schaden als nützen könnten, kann man realpolitisch wohl eher vom Geschäftsmann als vom polternden Populisten ausgehen. Nichtsdestotrotz wird China auch während Trumps zweiter Amtszeit sein großer Rivale bleiben. Ob der Handelskrieg sofort nach Antritt wieder aufflammen wird, hängt davon ab, auf welchen Konflikt Trump seinen Fokus zu Beginn legen will. Es wäre denkbar, dass er sich zunächst um den Ukraine-Krieg kümmert.
Die NATO, Europa und die Sache mit Grönland
Wiederholt forderte Trump – teilweise zu Recht – von seinen Bündnispartner:innen ein, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen, wenn es nach dem US-Präsidenten geht, in die Verteidigung fließen. 2 Prozent sind derzeit vereinbart, aber selbst dieser Wert wird von vielen Vertragsstaaten nicht erreicht. In dieser Hinsicht schadet eine Präsidentschaft Trumps sicher nicht, da nun jenseits des Atlantiks ein Mann sitzt, der nicht mehr für alles die Letztverantwortung tragen will. Hier liegt die große Chance der EU, der NATO und wahrscheinlich des ganzen Kontinents: Emanzipation von den USA ist das Gebot der Stunde. Wenn Trump mit Zöllen gegen die EU kokettiert und bereits öffentlichkeitswirksam in Erwägung zog, die NATO zu verlassen, dann kann das für die EU und das Verteidigungsbündnis nur eines bedeuten: Es ist höchste Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen und sich von der Abhängigkeit Washingtons zu lösen.
Dann wären da noch Trumps hanebüchene Äußerungen zu Grönland. Er hätte die Insel gerne für sich, aus Sicherheitsgründen, wie er behauptet; aber er könne nicht ausschließen, dass er bei Nichtkooperation militärisch tätig werde. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Grönland genießt zwar viel Autonomie, gehört formell aber zu Dänemark. Dänemark ist sowohl EU- als auch NATO-Staat – sogar Gründungsmitglied. In Kopenhagen und Nuuk zeigte man sich entsprechend irritiert über Trumps plumpe Äußerungen. „We do not want to be Americans. We want to be Greenlanders“, sagte Grönlands Premier Múte B. Egede. „Greenland belongs to the Greenlanders – no one else“, stimmte Dänemarks Premier Mette Frederiksen zu. Dass es zur grotesken Situation eines Bündnisfalls aufgrund eines anderen NATO-Staates kommt, kann dennoch ausgeschlossen werden, denn Artikel 5 Im Nordatlantikvertrag ist die Beistandspflicht wie folgt geregelt: Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechtes der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, […]. greift nur bei Angriff eines Nicht-NATO-Staats. Allerdings würde durch einen Angriff auf dänisches Hoheitsgebiet die Klausel Diese Klausel sieht vor, dass im Falle eines Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats die anderen Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ihm mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln […] zu helfen und ihn zu unterstützen. aus dem Vertrag von Lissabon greifen und somit die anderen EU-Staaten zum Beistand verpflichten.
Weniger Untergang, mehr Selbstvertrauen
All diese Gedankenspiele rund um Europa sind vor allem eines: fiktiv. „All bark and no bite“ dürfte auch in Trumps zweiter Amtszeit ein guter Richtwert sein. Ja, der Wind aus dem Westen wird etwas rauer, die Beziehungen zu den USA werden sicher komplizierter. Die Vergangenheit hat bereits gezeigt, dass Trumps Ankündigungen nicht so heiß gegessen werden, wie sie gekocht werden. Für Europa ist genau jetzt die beste Chance, noch enger zusammenzuwachsen, sich sicherheits- und verteidigungspolitisch besser aufzustellen und sich von den USA zu emanzipieren. Untergangsszenarien helfen da weniger als eine Portion Selbstvertrauen.