Umwidmungen: Kontrolle darf keine Frage des Wohnorts sein
Kaum eine Woche vergeht ohne neuen ÖVP-Bürgermeister-Skandal. Vor allem nicht in Niederösterreich. Die jüngsten Enthüllungen über fragwürdige Grundstücksdeals und potenzielle persönliche Bereicherungen der Ortschefs zeigen nicht nur ein Politikverständnis, das es zu verurteilen gilt, sondern auch eine Pippi-Langstrumpf-Mentalität, die sich scheinbar von Kreisverkehr zu Kreisverkehr im ganzen Land ausgebreitet hat.
Von Grafenwörth und Pyhra bis Vösendorf bilden diese Skandale ein Muster, das nicht nur das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter untergräbt, sondern auch die Integrität und Glaubwürdigkeit der politischen Institutionen insgesamt infrage stellt.
Wie es zu Umwidmungs-Korruption kommen konnte
„Ich gelobe, die Bundes- und Landesverfassung und alle übrigen Gesetze der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich gewissenhaft zu beachten, meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu wahren und das Wohl der Gemeinde nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern.“
So geloben es die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Landes bei der konstituierenden Sitzung des jeweiligen Gemeinderats. Doch dürfte der Wunsch „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ oftmals stärker sein, wenn Grundstücke gekauft, umgewidmet und so teuer weiterverkauft werden können – das Ganze natürlich durch Insiderwissen. Denn Widmungen passieren leider noch immer auf Gemeindeebene.
Absolute Macht braucht auch absolute Kontrolle. Doch wie viel ist eine Kontrolle wert, wenn die eigenen Leute sie durchführen? Eine Prüfung von Grundstücksdeals durch die Gemeindeaufsicht ist unzureichend, denn die passieren lediglich oberflächlich – und klären nicht die eigentliche Frage, ob solche Immobiliengeschäfte im Einklang mit den ethischen Grundsätzen und dem Eid eines Bürgermeisters stehen. Es braucht endlich effektive Maßnahmen, um persönliche Bereicherungen durch Bürgermeisterämter zu unterbinden.
Der Landesrechnungshof muss das Recht bekommen, die Gemeinden zu überprüfen. Aktuell ist das nur bei Gemeinden mit einer Bevölkerung von über 10.000 möglich – alle anderen werden durch den sogenannten Prüfausschuss im Gemeinderat gecheckt. Dieser ist an und für sich ein Minderheitenrecht, aber in einigen Orten gibt es nur eine Partei. Und in dem Fall kontrolliert der Bürgermeister sich selbst, statt wie in anderen Bundesländern mittels unabhängigen Einschaurechts des Rechnungshofs geprüft zu werden.
Der Wertekompass braucht ein Comeback
Doch neben den rechtlichen Konsequenzen, die ein solches Verhalten mit sich bringen sollte und eigentlich muss, gibt es viel größere Eigenschaften, die viele in der Politik anscheinend schon verloren haben – den eigenen Wertekompass und die Moral. Sollten doch all diese Vorfälle gar nicht erst passiert sein. Sollte doch der erste Schritt beim Entdecken eines Fehlverhaltens das eigene Eingestehen sein. Sollte doch ein Rücktritt die Konsequenz sein.
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind das höchste Amt einer Gemeinde und sollten ein Vorbild sein. Doch ist es vorbildhaft, abzuwarten, ob Konsequenzen überhaupt notwendig sind? Die Leute zu beschimpfen, die Fehlverhalten aufzeigen? Auf die eigene Partei zu hoffen, dass sie einen da schon wieder rausholt? Sich an der Macht und dem Geld festzukrallen? Der eigene Wertekompass – ja, sowas gibt es – sagt einem innerlich, was richtig und was falsch ist. Viele kennen ihn auch als Bauchgefühl. Ein Gefühl, das gerade in Niederösterreich vielen zu fehlen scheint.
Es ist offensichtlich, dass die Skandale von Grafenwörth bis Pyhra nicht nur lokale Probleme sind, sondern ein Symptom für die Schwächen im System der lokalen Verwaltung und Politik. Eine zu große Machtkonzentration, mangelnde Transparenz und unzureichende Kontrollmechanismen schaffen ein Umfeld, in dem Fehlverhalten gedeihen kann, ja fast schon gefördert wird. Es ist daher entscheidend, dass diese Vorfälle nicht nur untersucht, sondern auch als Anstoß für grundlegende Reformen genutzt werden, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre lokalen Institutionen wiederherzustellen.
Es braucht starke Oppositionskräfte in den Gemeinden und Menschen, die aufstehen, den Finger in die Wunde legen, aber nicht den Teufel an die Wand malen. Auch wenn die Fälle sich überschlagen, soll es noch Gemeinden, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister geben, die sich an die Werte und ihr Gelöbnis halten. Auch wenn man es schon fast nicht mehr glauben kann.