US-Midterms: Härtetest für die Zukunft der Demokratie
Wenn man die Nachrichten aus den USA liest, hat man das Gefühl, einer Weltmacht beim Fallen zuzuschauen. Eine Mischung aus Polarisierung, Radikalisierung und einem politischen System, das kaum Kompromisse zulässt, sorgt für eine unsichere Lage vor den Midterms am 8. November.
Aus dem Luxus einer liberalen Demokratie in Europa heraus ist es merkwürdig, das angeblich großartigste Land der Welt zu beobachten. Ein Zweiparteiensystem, das auf Konflikt statt auf Kompromiss und Konsens setzt, ist für mich als gelernten Österreicher schon in normalen Zeiten schwer nachvollziehbar.
Richtig absurd wird es aber erst im Wahlkampf: Da werfen sich die Kandidat:innen beider Parteien mit ihren riesigen Werbebudgets Vorwürfe um die Ohren, die in vielen europäischen Staaten nie ein Thema wären. Sollen Frauen nach einer Vergewaltigung abtreiben dürfen? Ist der Klimawandel real? Und wie schlimm wäre es eigentlich, wenn weniger Leute wählen dürfen? Es wäre unterhaltsam, wenn es nicht so wichtig wäre – denn bei den Midterms werden die Weichen für die Präsidentschaftswahl 2024 gestellt. Und wer US-Präsident ist, die Atomcodes hat und ein wesentlicher außen- und klimapolitischer Player ist, das geht uns leider auch in Österreich etwas an.
Darum wagen wir einen Check-in über die turbulente politische Situation in den USA vor den Midterms: über die polarisierte politische Kultur, den aktuellen Stand im Zweiparteienrennen und eine Aussicht auf die nächste Wahl, die alles verändern könnte. (Wer mehr darüber wissen will, was bei den Midterms gewählt wird – hier lang.)
Radikale Republicans
Da wären zum einen die Republicans, die Donald Trump noch immer als ihren Chef wahrnehmen. Sein Wahlverlust vor zwei Jahren hat nichts an der radikalen Linie der Partei geändert: Sie ist nach wie vor klar gegen Einschränkungen des Waffenrechts und hat dieses Jahr über das parteiisch besetzte Höchstgericht das Recht auf Abtreibung abgeschafft. Außerdem liebäugelt sie nach wie vor mit Verschwörungstheorien: Viele behaupten nach wie vor, dass Joe Bidens Wahlsieg nur durch Betrug zustande kam, leugnen den Klimawandel oder fantasieren von einer geheimen Elite, die hinter den Kulissen die Fäden ziehe.
Ein Trend, der sich auch in der Personalpolitik der Partei zeigt: In Arizona gibt es z.B. einen Kandidaten zum Secretary of State – das Amt, das für die Durchführung und Ratifizierung von Wahlen zuständig ist –, der beim Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 als Protestierender anwesend war. Und Tudor Dixon, die republikanische Kandidatin aus Michigan, macht sich offen darüber lustig, dass ihre Konkurrentin und Amtsinhaberin Gretchen Whitmer Ziel eines politischen Attentats war.
„Das Traurige ist, dass Gretchen dir die Hände fesselt, dir eine Waffe an den Kopf hält und dich fragt, ob du bereit bist zu reden. Für jemanden, der so besorgt darüber ist, entführt zu werden, ist Gretchen Whitmer wirklich gut darin, Unternehmen als Geiseln zu nehmen und Lösegeld zu verlangen.“
Tudor Dixon
Diese rhetorische Schärfe der Republikaner bleibt nicht ohne Folgen: Zuletzt sorgte ein versuchter Angriff auf Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, für Schlagzeilen. In ihrer Abwesenheit wurde ihr Ehemann in der gemeinsamen Wohnung angegriffen. Ein Akt politischer Gewalt, gerichtet gegen eine der höchsten Politikerinnen des Landes. (Auch darüber wurden schon Witze gemacht.)
Die Democrats schaden sich selbst
Unter diesen Bedingungen sollten die Democrats eine optimale Ausgangslage haben. Immerhin hat die Inflation in den USA wahrscheinlich schon ihren Höhepunkt erreicht, und auch der viel diskutierte Inflation Reduction Act gilt als großer Wurf: Das Gesetz sorgt unter anderem für eine neue Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen, sinkende Preise für Medikamente und einen deutlich ambitionierteren Ausbau erneuerbarer Energien. Damit wurden klassische Democrat-Wahlversprechen eingehalten.
Trotzdem kämpft die Partei, die einen blauen Esel als Logo führt, in den Umfragen ums politische Überleben. Laut der Datenjournalismus-Plattform FiveThirtyEight könnten die Republikaner beide Kammern des Parlaments übernehmen – und damit verhindern, dass Präsident Biden weitere zentrale Anliegen umsetzen kann. Das liegt für sie nicht nur inhaltlich nahe, sondern auch strategisch: Joe Biden ist nämlich mit dem Versprechen angetreten, gerade dadurch zu liefern, auch mit seinen politischen Gegnern Deals aushandeln zu können. Aber die Zusammenarbeit der beiden Parteien ist ein Relikt aus der Vergangenheit.
Die Gründe dafür sind vielfältig. So hallen vielen US-Bürger:innen noch immer die Rufe nach „defund the police“ in den Ohren – eine Forderung vieler progressiver Demokraten, der Polizei weniger Geld zur Verfügung zu stellen. In Zeiten hoher Kriminalität ist diese wenig überraschend kaum populär. Ähnlich sinnvoll sind Äußerungen aus dem Bereich „Identity Politics“: „Latinx“ als geschlechtsneutrale Formulierung für Latinos und Latinas sind z.B. als Zeichen der Inklusion gemeint, aber diese wählen eher republikanisch und geben laut Meinungsforschung an, dass Präsident Biden die „falschen Prioritäten“ verfolge.
Viele Anliegen der Democrats, die in der öffentlichen Meinung unpopulär sind, gehen hauptsächlich rhetorisch zu weit. Wo viele dafür offen wären, kritisch über Sklaverei zu sprechen, reden Aktivist:innen von „weißer Schuld“, systematischem Rassismus und davon, dass jeder eine Mitschuld trage. Ein Schema, das sich durch einige Themen zieht. Der Großteil der Menschen ist offen dafür, das eigene Land zu verbessern und auch Kritik zu üben – aber nicht, wenn die Diskussion damit anfängt, dass alles furchtbar und man selbst schuld daran sei. Der linke Flügel der Democrats wird aber von vielen genau so wahrgenommen. Ein strategisches Dilemma.
Der große Showdown kommt 2024
Dazu kommt, dass antidemokratische Bemühungen der Republikaner stärker werden. So wird ein Szenario vorbereitet, in dem die nächste Präsidentschaftswahl erfolgreich angefochten werden kann – anders als noch 2020.
Kern der Strategie: Auf lokaler Ebene sammeln die Republikaner ihre Unterstützer:innen mit Neigung zu Verschwörungstheorien und Autoritarismus und schicken sie zur Wahlbeobachtung. Ihre Aufgabe ist es, das Vertrauen in den Wahlprozess zu unterminieren. Die an der Wahlurne sieht aus wie eine illegale Migrantin? Oder jemand hat bei der Frage nach Name und Adresse nicht schnell genug geantwortet? Wahlbetrug!
Gleichzeitig machen es republikanisch regierte Bundesstaaten schwerer zu wählen. Nicht nur durch Gerrymandering – einer Praxis, mit der die Grenzen der Wahlsprengel so gezogen werden, dass in möglichst keinem eine Mehrheit gegen die Partei möglich ist, die diese Grenzen zieht. Sondern auch durch konkrete Gesetze, die Wählen schwieriger machen sollen – 51 Prozent der US-Bürger:innen sind bereits davon betroffen.
Donald Trumps Versuch, so zu tun, als hätte er die Wahlen gewonnen, scheiterte 2020 daran, dass ihm mangels Beweisen nur seine Fans glauben konnten. Jetzt wird eine Bewegung von Tausenden aufgebaut, die diese beim nächsten Mal liefern soll – auch wenn sie alle erfunden sind. Aus all diesen Einzelbeispielen, so soll man denken, werde ja wohl irgendetwas stimmen, und man könne einen potenziellen Wahlsieg des Gegners nicht anerkennen. Ein Angriff auf die Grundfesten der Demokratie, wie auch Joe Biden bemerkt hat:
„Wir sind nicht oft mit der Frage konfrontiert, ob die von uns abgegebene Stimme die Demokratie bewahren wird. Aber dieses Jahr sind wir es.“
US-Präsident Joe Biden
Eine letzte Möglichkeit für die Demokraten
Genau darum wäre es auch so wichtig, dass die Demokraten ein gutes Ergebnis einfahren und nicht beide Kammern verlieren. Sie brauchen das politische Mandat, um in Bereichen wie Waffengewalt, Klimaschutz und Infrastruktur liefern zu können – und zu demonstrieren, dass es auch ein populäres Gegenprogramm zum autoritären Kurs der Republikaner gibt. Identitätspolitik mag oft gut gemeint sein, aber vereinzelte Forderungen des linken Lagers sorgen dafür, dass viele Wähler:innen sich von den Demokraten abwenden.
Der Plan, die Demokratie der Vereinigten Staaten von unten zu zerstören, ist in vollem Gange, und die Midterm Elections sind der letzte Halt vor der Präsidentschaftswahl 2024, bei der er aufgehen soll. Die Demokraten könnten beweisen, dass man mit offener Ablehnung von Demokratie nichts gewinnen kann. Ihre strategischen Fehler lassen aber befürchten, dass das nicht passieren wird.