Viktor Orbán kann kein Vorbild für Österreich sein
Nicht nur im politischen Diskurs zu Migrationsthemen berufen sich FPÖ und ÖVP gerne auf Viktor Orbán. Das ist aber keine gute Nachricht – denn ein Staat, der sich mehr und mehr von der Demokratie entfernt, sollte kein Vorbild für Österreich sein.
Zwei Stunden und 36 Minuten braucht man von Wien nach Budapest – und obwohl der „Eiserne Vorhang“ schon lange gefallen ist, gibt es viele Unterschiede zwischen Österreich und Ungarn. Unterschiede, die hierzulande viele beseitigen wollen. Denn wo Österreichs Konservative nach einem Thema suchen, ist Ungarns Regierungschef nicht weit: Viktor Orbán.
So ließ sich Bundeskanzler Karl Nehammer letztes Jahr mit Orbán und dem autoritären serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić ablichten, um von „Asyltourismus“ zu sprechen, davor hatte er den ungarischen Ministerpräsidenten schon nach Wien eingeladen. Polit-Größen der Volkspartei betonen immer wieder die „gute Zusammenarbeit“ mit dem Nachbarland, und auch FPÖ-Chef Herbert Kickl sagt in Reden immer wieder: „Machen wir es wie der Orbán“.
Dabei genießt dieser Orbán international kein gutes Bild. Im Gegenteil: Der „Orbánismus“ wurde zum Synonym für den Umbau einer Demokratie in ein autoritäres Regime. Es wäre also wichtig zu wissen, mit wem ÖVP und FPÖ da kokettieren. Fünf Gründe, warum das Modell Orbán kein Vorbild für Österreich sein kann.
1. Kontrolle der Medien
Wie eine Medienpolitik unter Orbán-Fans aussehen würde, zeigt ein Blick auf die Medienvielfalt in Ungarn. Mit einem 2010 erlassenen Gesetz, das „ausgewogene“ Berichterstattung vorschrieb, wurden hohe Strafen gegen Journalist:innen möglich, wenn sie kritisch über die Regierung berichteten, ausländische Medienunternehmen wurden durch höhere Steuern bestraft, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verloren in der Regierungszeit Orbán mehr als tausend Journalist:innen ihren Job.
Aber auch um die private Medienvielfalt in Ungarn steht es schlecht: Zeitungen werden geschlossen oder an Freunde der Orbán-Partei Fidesz verkauft. Der Österreicher Heinrich Pecina etwa ermöglichte 2016 den Verkauf von 13 Regionalmedien an einen Schulfreund von Viktor Orbán, ein Jahr später kaufte er die Regionalzeitungen Hajdu-Bihari Naplo und Eszak-Magyarorszag von der österreichischen Mediengruppe Russmedia. Ein anderer Orbán-Freund namens Andy Vajna kaufte private Medien, nachdem er eine staatliche Lizenz für den Betrieb eines Online-Casinos erhalten hatte. Schon davor gehörten ihm der Radiosender Radio 1 und der Fernsehsender TV2.
Schätzungen zufolge werden mittlerweile etwa 90 Prozent der ungarischen Medien von Viktor Orbán und seinen Freunden kontrolliert. Im Ranking des Media Pluralism Monitors, der vom unabhängigen Zentrum für Medienvielfalt und Medienfreiheit veröffentlicht wird, ist Ungarn auf dem viertschlechtesten Platz in Europa, was Medienvielfalt angeht – höher ist das Risiko für die Medienlandschaft nur in Polen, Albanien und der Türkei. Nicht umsonst sprach Reporter ohne Grenzen schon 2018 vom „Ende der Medienvielfalt in Ungarn“.
2. Angriff auf die Justiz
Und nicht nur bei Medien schätzt Orbán keine Kritik, auch der Justiz ging es schon früh an den Kragen. So kann der Verfassungsgerichtshof keine Gesetze mehr aus inhaltlichen Gründen beanstanden, und welches Gericht welchen Fall bekommt, wird von einer Behörde bestimmt, deren Leitung vom Ministerpräsidenten besetzt wird. Der Generalstaatsanwalt? Ein Orbán-Freund und Parteimitglied der Fidesz. Die Opposition kritisiert, dass Ermittlungen gegen Freunde und Familie Orbáns gar nicht mehr gestartet werden – die Staatsanwaltschaft konzentriere sich längst darauf, seinen politischen Gegnern zu schaden.
Anlass gäbe es aber eigentlich genug, denn Freunderlwirtschaft passiert in Ungarn mittlerweile recht offen. Zum Beispiel, wenn der Auftrag zur Modernisierung der ungarischen Straßenbeleuchtungen an einen Orbán-Freund aus Schulzeiten geht. Lőrinc Mészáros soll seit 2010 sieben Milliarden Euro an öffentlichen Geldern bekommen haben. Er baute auch ein Stadion in Felcsút, dem Heimatdorf des ungarischen Ministerpräsidenten – mit 4.000 Plätzen in einer Gemeinde mit 1.800 Einwohner:innen.
Ein Hebel gegen diese Korruption wäre das Einfrieren von EU-Zahlungen an Ungarn. Und die braucht Orbán normalerweise dringend – denn durch seine Wirtschaftspolitik ist Ungarn auf jede Hilfe angewiesen. Preisdeckel, wie sie auch in Österreich gefordert wurden, führten vorhersehbar zu Mangelwirtschaft. Viele der Maßnahmen, die von der Europäischen Union verlangt werden, um das zu verhindern, werden aber nur halbherzig umgesetzt: Eine neu geschaffene Meldestelle für Korruption etwa wurde zwar geschaffen, nahm aber keine Anrufe entgegen.
3. Der Verhinderer in Europa
„Da ist zum Beispiel der neueste Vorschlag der EU-Kommission, der besagt, dass jeder seinen Gasverbrauch verpflichtend um 15 Prozent senken soll. Ich sehe nicht, wie das erzwungen werden soll, obwohl es dafür deutsches Know-how gibt. Von früher, meine ich.“
Viktor Orbán in einer Rede in Rumänien, 2022
Obwohl auch Ungarn von Zahlungen der EU profitiert, legt sich der ungarische Regierungschef immer wieder mit der Union und ihren Mitgliedern an. Teils rhetorisch, wie mit diesem Zitat, das auf die Gaskammern im Zweiten Weltkrieg anspielt. Teils aber auch mit Blockadepolitik, die mehr Zusammenarbeit auf EU-Ebene verhindert: Pläne, Asylwerber:innen vor der EU-Außengrenze in Europa aufzuteilen – das wäre eine der „gemeinsamen Lösungen“, die auf EU-Ebene oft gefordert werden –, scheiterten z.B. an seinem Veto. Überhaupt will Orbán keine Flüchtlinge aufnehmen, und wenn, dann sollten sie nicht mehr Platz haben als „Häftlinge im Gefängnis“.
Und auch im Ukraine-Krieg schert Ungarns Regierungschef aus. Während die EU-Kommission, die regelmäßig ambitionierte Pläne zum Klimaschutz vorlegt, noch über einen Ausstieg aus russischem Gas sprach, suchte Orbán schon bilaterale Gespräche über Gaslieferungen mit Putin. Auch das Erdöl-Embargo – eine der ersten, aber auch weniger schmerzhaften Sanktionen gegen Russland –, wurde vor allem durch ihn verzögert. Das mag an der Nähe zu Russland liegen, aber auch sonst verzögert Orbán beim Klimaschutz und sprach sich lange gegen verbindliche EU-Ziele zur Klimaneutralität aus.
Vor allem in der Parteifamilie der Europäischen Volksparteien wird immer wieder betont, dass Orbán sich schlussendlich meist an den EU-Kurs halte, dass man Rhetorik und Außenpolitik trennen müsse. Trotzdem schießt sich Ungarn mit seiner ständigen Blockadehaltung ins Aus, verzögert, schwächt ab – und droht Putins nützlicher Vasall in Europa zu werden.
4. Kulturkampf gegen queere Personen
Trotzdem passt Konflikt mit Europa in Orbáns Strategie: Er inszeniert sich als Bewahrer der „christlichen Werte“, die durch die EU angeblich unter Druck geraten würden. Wenn seine Pläne also auf EU-Ebene verurteilt werden, sieht er das als Auszeichnung – und zieht daraus innenpolitischen Nutzen bei konservativen und rechten Wähler:innen.
2021 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz, das offiziell dem Kampf gegen Kindesmissbrauch gewidmet war – darunter fallen z.B. härtere Strafen gegen Pädophile. Andere Regelungen, die zu internationalen Protesten führten, betreffen aber die queere Community, also alle, die sich nicht als heterosexuelle Männer oder Frauen definieren. So darf im Rahmen der Sexualkunde in Schulen nicht mehr über LGBTIQ-Personen gesprochen werden, und auch TV-Inhalte, die „LGBTIQ-Identitäten populär machen“ würden, sind nur noch zwischen 22 und 5 Uhr im Fernsehen erlaubt – eine Zensurmaßnahme.
5. Offener Autoritarismus
„Nicht jede Demokratie ist liberal.“
Viktor Orbán in einem Gespräch mit Angela Merkel, 2015
All die bisher genannten Punkte zeigen vor allem eines: Viktor Orbán ist nicht nur autoritär – er versucht auch gar nicht, das zu verschleiern.
Das zeigt sich auch in seinen Aussagen. Der ungarische Ministerpräsident spricht von der „magyarischen Rasse“, die in Gefahr sei, und erinnert damit an die nationalistische Rhetorik des 20. Jahrhunderts. Ungarn müsse sich für ihn an Gesellschaften orientieren, die „nicht westlich, nicht liberal und keine liberalen Demokratien, vielleicht nicht einmal Demokratien sind“, sagt Orbán und nennt diese Einstellung einen „eigenen, nationalen Denkansatz“. Eine schöne Umschreibung für autoritäres Gedankengut.
Es ist also keine Überraschung, dass Ungarn sich auf EU-Ebene weitgehend isoliert, dass es Minderheiten diskriminiert und die freie Medienlandschaft unter Kontrolle gebracht hat. Das ist kein Kollateralschaden eines Ministerpräsidenten, der es doch eigentlich gut meint – sondern Teil des Konzepts. Genau dieses Modell verfolgen auch jene, die fordern, es „wie der Orbán“ zu machen. Denn das alles sind keine neuen Infos: Man kann Ungarn seit 2010 dabei zuschauen, wie es immer autoritärer wird.
Achtung vor Orbán-Freunden
Es ist also Vorsicht geboten, wenn heimische Polit-Größen sich Viktor Orbán annähern. Ja, es braucht auch zu unangenehmen Nachbarländern gute Beziehungen – aber jemandem das Wort zu reden, der das eigene Land zu einem autoritären Staat umbaut, das sollte in einer Demokratie nicht passieren. Wer Politik à la Ungarn fordert, meint Medienkontrolle, Diskriminierung und einen destruktiven, antieuropäischen Kurs. Ungarn ist vieles, aber sicher kein Modell für Österreich.