Von der Krippe in den Kindergarten – alte Sorgen und neue Hoffnung

Mein Sohn wird im Oktober vier. Zwei Jahre war er jetzt in der Krippe – und auch wenn ich mich erinnere, dass das anfangs alles andere als einfach war, war es doch das Beste, was wir für ihn tun konnten. Ein Glück, dass er im September noch nicht drei war, denn er hat das Extrajahr gebraucht. Die kleine Gruppe, von der ich heute weiß, wie kostbar sie war, die vertrauten Gesichter, die vielen Wiederholungen und die festen Abläufe.
In Österreich besuchen über 300.000 Kinder eine elementarpädagogische Einrichtung. Und obwohl wir Eltern wissen, wie entscheidend diese ersten Jahre sind, war der Bereich lange das vernachlässigte Fundament unseres Bildungssystems. Österreich investiert derzeit noch 2,1 Prozent des BIP in Bildung – davon fließt ein vergleichsweise kleiner Anteil in die frühkindliche Bildung.
Jetzt kommt der Wechsel in den „großen“ Kindergarten. Eine neue Gruppe, neue Kinder, eine andere Dynamik – und ein Betreuungsschlüssel, der sich fast halbiert. Ich schreibe diesen Text, weil mich dieser Wechsel nicht kaltlässt. Weil ich spüre, dass in solchen Übergängen so viel mehr steckt als eine organisatorische Umstellung.
Ich schreibe diesen Text auch, weil ich das Gefühl habe, dass es vielen Eltern ähnlich geht. Weil dieser Moment des Übergangs mehr ist als ein neuer Gruppenname auf dem Türschild. Und weil ich Hoffnung habe. Hoffnung auf das, was politisch gerade in Bewegung kommt. Und gleichzeitig Sorge, ob diese Veränderungen für mein Kind noch rechtzeitig spürbar werden.
Ein Kind, das in seiner Welt lebt
Mein Sohn kam mit eineinhalb Jahren in die Krippe. Er ist kein besonders kommunikativer Typ, also kein Kind, das begeistert von seinem Tag erzählt. Er lebt in seiner Welt, der Welt der Tiere, da hat er allerdings eine Menge zu erzählen. Und wenn man nicht mitgeht in diese Welt, dann zieht er sich zurück. Nicht trotzig, nicht verletzt, aber er genügt sich, die Tiere genügen ihm.
In der Krippe gab es Pädagoginnen und Helferinnen (gendern nicht notwendig), die das verstanden haben. Die Zeit hatten, sich einzulassen. Die wussten, dass „gut gespielt“ bei ihm bedeutet, dass er zwanzig Minuten lang zwei Plastikkühe miteinander hat sprechen lassen, immer und immer wieder dasselbe. Und genau deshalb habe ich so großen Respekt vor dem, was jetzt kommt.
Im Herbst kommt er also in eine neue Gruppe. 25 Kinder, eine Pädagogin, eine Helferin. Ich weiß, das ist normal. Ich weiß, viele Kinder schaffen diesen Übergang problemlos. Aber ich frage mich: Wird mein Kind noch so gesehen werden wie bisher? In der Krippe war das kein Problem. Da gab es genug Zeit, ihn zu beobachten. Eine Pädagogin, zwei Helferinnen – das war ein Luxus, den ich jetzt erst richtig begreife. Sie kannten seine Sprache.
Ich weiß natürlich, dass mein Kind kein Einzelbetreuungsverhältnis bekommen kann, dass auch andere Kinder Bedürfnisse haben, und dass es gut ist, wenn er lernt, sich in einer Gruppe zurechtzufinden. Und ich weiß, das wird ihm guttun. Ich weiß, er wird dank der anderen Kinder Neues entdecken und „endlich“ auch neue Gesprächsthemen nach Hause bringen.
Aber ich bin nicht naiv. Ich weiß auch: Wenn 25 Kinder betreut werden – von einer Pädagogin, unterstützt von einer Helferin – dann braucht es Glück, dass niemand untergeht. Es braucht Erfahrung, Geduld und Herz. Ich bin eine Mama, die jeden Tag in der Krippe nachfragt, wie es war. Nicht, weil ich misstrauisch bin, sondern weil mein Kind es mir nicht erzählt. Weil seine Welt nicht automatisch mit meiner verbunden ist. Und wenn ich es nicht tue – wer dann?
Die Politik hört hin – endlich
In den letzten Wochen habe ich mir das aktuelle Regierungsprogramm angesehen. Und zum ersten Mal seit Langem habe ich das Gefühl: Da tut sich etwas.
Die frühkindliche Bildung wird nicht mehr als Nebenschauplatz behandelt, sondern als zentraler Pfeiler der Bildungspolitik. Es gibt konkrete Pläne:
- Verkleinerung der Gruppen durch bundesweite Mindeststandards,
- schrittweise Verbesserung des Betreuungsschlüssels – mit dem klaren Ziel: eine Pädagog:in für jeweils sieben Kinder im Alter bis drei, und eine pro zehn Kinder im Kindergartenalter,
- ein umfassendes Konzept zur Personaloffensive: bessere Bezahlung, kostenlose Ausbildung, Rückkehrmodelle,
- der Ausbau von Natur- und Bewegungsräumen,
- oder auch die Einführung eines kostenlosen und verpflichtenden letzten Kindergartenjahrs als Bildungsvorbereitung.
Was mich beruhigt: Die Richtung stimmt. Was mich unruhig macht: Es wird nicht von heute auf morgen gehen. Der Plan ist auf Jahre ausgelegt – strukturelle Änderungen, mehr Fachpersonal, bauliche Investitionen: Das alles braucht Zeit. Zeit, die mein Kind schon mitten im System verbringt.
Wie es jetzt ist – und was ich mir wünsche
Ich weiß, dass mein Sohn im Herbst nicht in eine Idealgruppe kommt. Dass sich die Struktur noch nicht geändert hat. Dass die geplanten Verbesserungen in den kommenden Jahren Stück für Stück greifen sollen. Und trotzdem: Ich bin dankbar, dass sie überhaupt geplant sind.
Ich wünsche mir, dass mein Kind auch im größeren Rahmen nicht verloren geht. Ich wünsche mir, dass Pädagoginnen mehr Raum bekommen, echte Beziehungen zu gestalten – und nicht nur Abläufe zu organisieren. Ich wünsche mir Gruppen mit maximal 15 Kindern. Zwei Pädagoginnen, eine Helferin – oder auch zwei, wenn nötig.
Ich wünsche mir, dass draußen zu sein selbstverständlich ist. Dass der Kindergarten nicht nur betreut, sondern bildet, begleitet und auch stärkt. Dass das nicht vom Engagement Einzelner abhängt, sondern von struktureller Unterstützung.
Ich wünsche mir, dass das System nicht mehr auf – nennen wir sie beim Namen, weil es hauptsächlich Frauen sind – jenen Frauen ruht, die mehr geben, als sie eigentlich können. Die krank werden, weil das System nicht für sie mitdenkt, Vorsorge trifft für die Herausforderungen des Berufsalltags und sie auch hier Care-Arbeit für sich selbst leisten müssen. Es ist Zeit, sie zu entlasten – durch mehr Kolleg:innen, bessere Bedingungen und vor allem durch echte Wertschätzung.
Ich weiß, mein Sohn wird sich verändern. Sehr wahrscheinlich wird ihm die große Gruppe guttun. Vielleicht wird er oft aber auch „funktionieren“, weil er muss. Ich wünsche mir, dass dieser Kindergartenstart der Anfang von etwas Gutem ist. Für ihn – und für viele andere Kinder. Dass die Pläne aus dem Regierungsprogramm Wirklichkeit werden. Nicht nur als Schlagzeile, sondern im Alltag. Und bis dahin bleibe ich die Mama, die fragt.