„Niemals nachgeben!“: Was der US-EU-Handelsdeal im Klartext bedeutet
US-Präsident Donald Trump sorgte mit seinen „Liberation Day“-Zöllen im April dieses Jahres für reichlich Verwerfungen auf den Weltmärkten. (Und auch in meinem Aktiendepot. Vielen Dank für nichts! Dass ein 20 Prozent Stop-Loss beim S&P jemals auslöst, kann man ja nicht ahnen. Zum Glück gibt es auch noch europäische Rüstungsaktien.) Umso chaotischer wurde alles, nachdem er zuerst Zölle für Waren aus der EU ankündigte, sie dann erhöhte und danach aussetzte. Die Frist für eine Einigung war zunächst auf 9. Juli gesetzt worden und wurde dann auf 1. August verlängert.
Es geschah genau das, was wir mittlerweile immer von Donald Trumps Regierung erwarten müssen: das Unerwartete. Die Delegationen der USA und der EU konnten sich tatsächlich auf einen „Deal“ einigen. Der ist freilich derzeit nur eine politische Erklärung und kein gültiger völkerrechtlicher Vertrag. Aber seien wir ehrlich: Wer die USA unter Trump für einen verlässlichen Vertragspartner hält, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Man nimmt also, was man kriegen kann.
Was die EU in diesem Deal bekommt, ist aber herzlich wenig. Seit 21. August liegt die gemeinsame Erklärung auf dem Tisch. Und die liest sich wie eine Wunschliste aus dem Weißen Haus: Die EU soll fossile und nukleare Energieprodukte im Wert von 750 Milliarden Euro aus den USA abnehmen, dazu Halbleiter für KI-Anwendungen um 40 Milliarden. Außerdem: 600 Milliarden Euro Investitionen in US-Sektoren bis 2028. Ein gigantisches Paket, das aber so vage formuliert ist, dass schon heute klar ist: Vieles davon wird nie Realität. Wahrscheinlicher ist, dass die Kommission das Spiel auf mehreren Ebenen spielt und sich später auf Rat, Parlament oder Mitgliedstaaten ausreden wird.
Große Zugeständnisse
Zudem torpediert das Abkommen EU-Vorhaben im Hinblick auf Konsumenten-, Klima- und Umweltschutz; verschleiert hinter schöner Diplomatensprache. Wenn die USA und die EU „zusammenarbeiten“ sollen, um „nichttarifäre Handelshemmnisse“ im Hinblick auf Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte näher zu betrachten, heißt das im Klartext: Die EU muss ihre zu Recht strengen Standards für Lebensmittel dem Handel mit den USA opfern. Wenn „unverhältnismäßige Auswirkungen“ der EU- Entwaldungsverordnung auf den Handel mit den Vereinigten Staaten vermieden werden sollen, heißt das, US-Unternehmen sollen roden können, was das Zeug hält. „Zusätzliche Flexibilität“ in der Anwendung des CO2-Ausgleichzolls (CBAM) bedeutet, dass es Ausnahmen für (stark emittierende) US-Unternehmen geben soll. Auch sollen Klima-Verpflichtungen aus dem EU-Lieferkettengesetz für US-Unternehmen nur bedingt anwendbar sein. Wenn davon die Rede ist, „ungerechtfertigte digitale Handelshemmnisse“ abzubauen, dann ist damit gemeint, dass die EU die großen US-Tech-Konzerne gefälligst in Ruhe zu lassen hat.
Besonders kritisch ist, dass die EU sich dazu verpflichtet, noch mehr US-Rüstungsgüter zu kaufen. Dabei ist es doch höchst an der Zeit, dass die EU endlich lernt, verteidigungspolitisch auf eigenen Beinen zu stehen. Zudem ist die Rüstungsindustrie ein wichtiger Hebel, um Europas Wettbewerbsfähigkeit und den Industriestandort insgesamt zu stärken.
Viele offene Fragen
Positiv im Hinblick auf den Handel mit digitalen Gütern und Dienstleistungen ist aber, dass beide Parteien sich dazu verpflichten, keine Zölle auf sie zu erheben, und im Rahmen der WTO auf ein multilaterales Abkommen in diesem Bereich hinzuarbeiten. Ironisch genug, wo die USA selbst den WTO-Streitschlichtungsmechanismus zerstört haben und Trump kaum als Freund multilateraler Institutionen gilt.
Bleibt die Frage: Hat sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen also vom Alpha-Männchen Trump über den Tisch ziehen lassen? Keineswegs. Stattdessen gewinnen alle etwas, aber nicht das, was sie erwartet haben.
Da hat das Ergebnis der Verhandlungen übrigens viel gemeinsam mit dem Verhandlungsort, dem in Schottland gelegenen Golfresort Trump Turnberry. Was viele nicht wissen: Donald Trump hat ein Wappen. Zumindest dachte er das. Und er verwendete es auch mit großem Eifer. So ziert „sein“ Wappen alle Trump-Golf-Resorts. Alle? Nein! Denn während man in den USA heraldisch tun und lassen kann, was man will, gibt es in Schottland mit dem Court of the Lord Lyon King of Arms eine staatliche Behörde, die die Verwendung von Wappen kontrolliert. Als Trump in Aberdeen einen Golfplatz eröffnete, und dort fröhlich drauflos blasonierte, wurde das Heroldsamt aktiv und stellte fest: Das Wappen, das Trump verwendete, war gar nicht seines, sondern das von Joseph Edward Davies, einem amerikanischen Diplomaten und dem Vorbesitzer des berühmt-berüchtigten Mar-a-Lago-Resorts, wo Trump bekanntlich streng geheime Staatsdokumente in einem Schuppen lagerte. Trump änderte nur ein Detail. Statt „Integritas“ (also Integrität, Redlichkeit oder Unbescholtenheit) steht unter „seinem“ Wappen „Trump“. Ob er sich der Ironie bewusst war?
So oder so: In Schottland durfte Trump sein gestohlenes Wappen nicht verwenden. Stattdessen musste er ein neues Wappen anmelden. Nun führt er einen Doppeladler im Schilde. (Das hat er übrigens mit Wladimir Putin gemeinsam.) Und das Motto über dem echten Trump-Wappen? Das lautet „numquam concedere“, also „Niemals nachgeben!“. Während Trump wohl meint, dass dieser Wahlspruch für ihn perfekt passt, könnte auch das schottische Heroldsamt sich diesen Spruch aufs Banner schreiben. Wer hat jetzt also gewonnen? Alle. Und damit kommen wir wieder zum Handelsdeal: Trump kann sich damit rühmen, in keinem Punkt nachgegeben zu haben, und kann sich als Dealmaker darstellen.
Die EU bekommt ein Handelsabkommen, in dessen Rahmen Dinge versprochen werden, die es nie geben wird, und kann das Bild eines geeinten Westens zeichnen. Doch eigentlich geht es bei allem um ein Land, dessen Vertreter gar nicht am Tisch saßen: Die EU und die USA sind sich nämlich einig, dass sie dabei zusammenarbeiten wollen, ihre Märkte gegen „Überkapazitäten“ abzuschotten und gegen marktverzerrende Maßnahmen von „Drittstaaten“ vorzugehen. Das ist wieder Diplomatensprache. Gemeint ist natürlich der „Handelsbösewicht“ China.