Weg mit den Denkmälern?
Wien ist eine historisch bedeutsame Stadt. Ein Ort mit so viel Geschichte hat aber natürlich auch seine Schattenseiten, schließlich wurde Personen und Nationen gehuldigt, denen man im Kontext der heutigen Zeit wohl keine Denkmäler mehr errichten würde. Was aber tun mit den bestehenden Monumenten?
In unregelmäßigen Abständen wird in Österreich eine Diskussion über Denkmäler, insbesondere über jene in Wien, entfacht. Gegenstand dieser Diskussion sind zwei Umstände: erstens die Tatsache, dass Wien – gelinde gesagt – fragwürdigen Denkmälern Platz einräumt, und zweitens die Rechtslage, die unter anderem das prominente und seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine besonders kontroverse Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee am Schwarzenbergplatz betrifft. Im Staatsvertrag von Wien aus dem Jahr 1955 zur Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich heißt es in Artikel 19:
Österreich verpflichtet sich, die auf österreichischem Gebiet befindlichen Gräber von Soldaten, Kriegsgefangenen und zwangsweise nach Österreich gebrachten Staatsangehörigen der Alliierten Mächte und jener der anderen Vereinten Nationen, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden, zu achten, zu schützen und zu erhalten; desgleichen die Gedenksteine und Embleme dieser Gräber sowie Denkmäler, die dem militärischen Ruhm der Armeen gewidmet sind, die auf österreichischem Staatsgebiet gegen Hitler-Deutschland gekämpft haben.
Selbst wenn der politische und öffentliche Wille da wäre, man könnte das Denkmal also nicht einfach abreißen. Aber will man das überhaupt? Schließlich befreite die Rote Armee 1945 Wien von den Nazis – im Gedenken daran wurde das Denkmal errichtet. Grund zur Kontroverse besteht aber nicht nur durch Russlands heutige Rolle in der Welt, sondern auch, weil mit dem Denkmal nicht nur die Rote Armee, sondern auch Diktator und Oberbefehlshaber Josef Stalin verewigt wurde. Ebenjener Diktator hat in Wien übrigens eine weitere, wenn auch weniger bekannte Ehrung. An der Fassade der Pension Schönbrunn ist die einzige Gedenktafel Stalins in Westeuropa zu finden.
Kontrovers, deplatziert, im Westen einzigartig: Stalin-Gedenktafel in Schönbrunn.
Betrachtet man diese beiden Fälle, gibt es verschiedene Optionen:
1) Man entfernt beides – und löscht damit einen bedeutenden Teil der Geschichte aus Wiens Stadtbild.
2) Man lässt beide Denkmäler an Ort und Stelle. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, diese in Kontext zu setzen – so geschehen mit der Stalin-Gedenktafel, wo unter anderem geschrieben steht: „Heute soll diese Gedenktafel Mahnung und Erinnerung sein an Millionen ermordeter und leidender Menschen der Sowjetunion, aber auch an Hunderte von österreichischen Opfern des Stalinismus“. Auch am Schwarzenbergplatz wurde mit den Farben der Ukraineflagge und einem Porträt des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny ein Kontrast zum Sowjetdenkmal hergestellt.
3) Man wägt ab. Hat das Sowjetdenkmal eine Daseinsberechtigung? Unbedingt. Kann man es kritisieren und ist Kontextualisierung notwendig? Selbstverständlich. Die Stalin-Gedenktafel in Schönbrunn hingegen hat überhaupt keinen Mehrwert. Folgende Inschrift findet man unter dem Konterfei: „In diesem Haus wohnte im Jänner 1913 J.W. Stalin. Hier schrieb er das bedeutende Werk ,Marxismus und nationale Frage’“. Dass ein Diktator in Wien zu Besuch war und dort ein Buch über eine Ideologie schrieb, die Abermillionen Menschen das Leben kostete – darauf könnte man verzichten.
Sowjet-Denkmäler werden aber nicht nur in Österreich diskutiert, auch im Baltikum, in Finnland und Deutschland wird über die Handhabe debattiert – hitzig und mit ganz unterschiedlichen Vorzeichen. Deutschland teilt sich dabei mit Österreich dieselbe Verpflichtung: Die Bundesrepublik muss per Partnerschaftsvertrag, der nach der Wiedervereinigung 1990 unterzeichnet wurde, sowjetische Denkmäler erhalten und pflegen. Aber die österreichische Liste mit kontroversen Huldigungen geht weiter.
Von Richard Wagner bis Che Guevara
Die Liste an Denkmälern fragwürdiger Personen in Wien ist lang: Die Che-Guevara-Büste im Donaupark (errichtet 2008!) ist eines dieser Denkmäler, die einen sprachlos zurücklassen. Ebenfalls im Donaupark sollte übrigens ein Denkmal für den vietnamesischen kommunistischen Führer Ho Chi Minh, unter dem schätzungsweise eine Million Menschen ermordet wurden, errichtet werden. Die Pläne wurden gestoppt.
Besonders fragwürdig ist die Che-Guevara-Büste im Donaupark.
Der Begründer des austrofaschistischen Ständestaats Engelbert Dollfuß hingegen hat ein Relief in der Michaelerkirche, der bekennende Antisemit Richard Wagner eine Gedenktafel am Kärntner Ring. Und dann wäre da noch das Karl-Lueger-Denkmal in der Wiener Innenstadt, welches an den ehemaligen Bürgermeister und Antisemiten erinnert, immer wieder beschmiert wird und heftige Debatten auslöst. In all diesen Fällen gilt wieder das Mantra: Man muss den Einzelfall betrachten. Wofür sind die Personen besonders in Erinnerung geblieben? Was waren ihre Leistungen, was ihre Verfehlungen? Man sollte nicht in Schwarz und Weiß denken, darf aber auch nicht relativieren. Verbannt man pauschal alle historischen Figuren, denen man Negatives anheften kann, hätte Wien wohl überhaupt keine Denkmäler mehr, zumal ein Denkmal immer auch ein Mahnmal – wenn in Kontext gesetzt – sein kann.
Wer das Dollfuß-Relief in der Michaelerkirche angebracht hat, ist unklar.
Statt also reflexartig „Weg damit!“ zu rufen, sollte man sehr genau überlegen, was man damit bewirken will. Man wird aus der Geschichte nicht lernen können, wenn man versucht, sie aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist also ein denkbar schlechter Leitsatz. Vielmehr ist Kontextualisierung wichtig. Aber auf der anderen Seite auch die Konsequenz, sich im Einzelfall von Denkmälern zu trennen, die weder historische Relevanz noch einen besonderen Kontext zur Stadt oder der Republik haben.