Wenn Volksbegehren immer wieder kommen
Es gibt in Österreich zwei Trends, die nur scheinbar im Widerspruch zueinander stehen.
Zum einen ist die Bevölkerung politikmüde. Das wurde schon vor zehn Jahren berichtet, und mittlerweile ist das Vertrauen in die Politik laut SORA auf dem niedrigsten Punkt, seit es erhoben wird.
Zum anderen liegen Volksbegehren im Trend – und damit eine Form der direkten Demokratie. Wem die Politik nicht passt, der macht sie passend, und der erste Schritt ist deshalb der Ausdruck der eigenen Meinung. Wer dafür genug Gesinnungsgeschwister findet, versucht mit Volksbegehren, diese Meinung direkt ins Parlament zu bringen.
Ja/Nein-Abstimmung als politische Beteiligung
Besonders beliebt sind sogenannte „Abstimmungsvolksbegehren“. Oft entsteht sogar der Eindruck, dass manche diese als Hobby betreiben. Der Gedanke: Wenn eine Frage besonders umstritten ist, soll durch Volksbegehren sozusagen der Volkswille gefunden werden. Für ein Rauchverbot oder dagegen? Für eine Impfpflicht oder dagegen? Für GIS-Gebühren oder dagegen?
Die Idee, die Bevölkerung mit einer Unterschrift zu einer „Stimmabgabe“ zu bringen und so einen Ausdruck des Volkswillens zu haben, an dem sich die Regierung orientieren kann, ist zwar sehr nett, allerdings in der Praxis schwierig umzusetzen. Immerhin ist ein Volksbegehren keine Wahl, Volksbefragung oder erst recht Volksabstimmung. Man muss mobilisieren, Kampagnen basteln – und dann stellt sich immer noch die Frage, welche Wirkung ein Volksbegehren hat.
Immerhin ist die einzige Konsequenz eines erfolgreichen Volksbegehrens, dass im Nationalrat darüber beraten werden muss. Beratungen im Plenum bedeuten einige Reden für die Kameras, Beratungen im Ausschuss sind noch vager definiert.
Routine ohne Konsequenzen
Als Praxis hat sich etabliert, dass über Volksbegehren Expert:innen-Hearings durchgeführt werden.
Das funktioniert folgendermaßen: Hat ein Volksbegehren genügend Stimmen, kommt es in den Nationalrat. Dort muss allerdings nicht allzu viel passieren, es muss wirklich nur darüber gesprochen werden. Einmal im Plenum, einmal im Ausschuss – wo die Initiator:innen des Volksbegehrens eingeladen werden – und danach wieder im Plenum. Mehr als diese Kenntnisnahme gibt es aber nicht.
Mehr als einmal gab es Initiator:innen, denen das zu wenig war. Sie gaben abweichende Stellungnahmen ab und meinten, die Diskussionen im Nationalrat hätten zu „unbefriedigenden Ergebnissen“ geführt, weil es keine ausreichenden Konsequenzen gebe.
Der langsame Erfolg der Volksbegehren
Das war beispielsweise beim ersten Frauenvolksbegehren 1997 so. Wenig hat sich getan – doch bei einer Analyse des Frauenvolksbegehrens 20 Jahre später hat sich gezeigt, dass viele der einzelnen Forderungen im Laufe der Zeit umgesetzt wurden.
Politik ist oft langsam, das macht Volksbegehren oft unbefriedigend. Das Volksbegehren „Don’t Smoke“ war eines der wenigen Gegenbeispiele: Allerdings basierte dieses Volksbegehren auf einem Gesetzesbeschluss aus dem Jahr 2015. 2018 wurden Unterschriften gesammelt, und mit November 2019 wurde das Rauchverbot in der Gastronomie endlich umgesetzt. Ein Erfolg – allerdings nur, wenn man ignoriert, dass die Umsetzung dieses Rauchverbots ohnehin überfällig war.
Das absurde Beispiel der Impfpflicht
Überfällig können aber auch Volksbegehren selbst werden. Immerhin müssen diese zuerst initiiert werden, danach folgt das Sammeln von Unterstützungserklärungen und erst dann der offiziellen Unterschriften. Bis dieser Prozess erledigt ist, kann die politische Situation sich schon wieder komplett geändert haben, wie das Beispiel Impfpflicht zeigt. Die potenzielle Covid-19-Impfpflicht hat infolge der Corona-Maßnahmen für enorme Aufregung gesorgt – und da Volksbegehren unterschiedliche, individuelle Initiator:innen haben und sich diese nicht immer absprechen, wiederholen sich die Volksbegehren im üblichen Schema. Eintragung, Unterschriftensammlung, Reden im Parlament, Expert:innenhearing im Ausschuss, Ende.
Allerdings gibt es dazu keinen Grund. Erstens, weil die Impfpflicht aufgehoben wurde. Und zweitens war die Impfpflicht vor ihrer Einführung so umstritten, dass im parlamentarischen Gesundheitsausschuss bereits drei Hearings zur Impfpflicht abgehalten wurden – eines davon bereits zu einem Volksbegehren gegen die Impfpflicht.
Trotzdem stehen aktuell wieder zwei Volksbegehren gegen die Impfpflicht zur Verhandlung, zwei weitere sind in der Einleitungsphase. Die einzige Konsequenz sind weitere Ausschüsse, in denen Expert:innenhearings wiederholt werden. Ein Filter, welche Volksbegehren überhaupt noch Diskussionsbedarf bieten, wäre hier extrem effizient. Besonders wenn man bedenkt, dass ein erfolgreiches Volksbegehren sogar ein Geschäftsmodell sein kann. Grundsätzlich ist natürlich nicht davon auszugehen, dass ein Volksbegehren erfolgreich gemacht wird, um damit Geld zu verdienen. Dennoch sollte politisches Engagement auf dieser Ebene keine finanzielle Komponenten haben. Immerhin sollte es ja einfach sein, als Bürger:in politisch engagiert zu sein, und nicht mit finanziellen Aufgaben und Belohnungen verbunden sein.
Wenn Ja/Nein-Fragen im Ausschuss landen
Besonders ärgerlich ist das für die Ja/Nein-Volksbegehren. Das allererste gab es 1980 über Zwentendorf, mittlerweile gibt es durch ein Initiator:innen-Team aber fast schon einen Trend zu Ja/Nein-Volksbegehren.
Doch sie stärken nicht die direkte Demokratie, sondern landen immer im jeweiligen Fachausschuss. Die Impfpflicht landete im Gesundheitsausschuss, genauso wie das Ja/Nein-Volksbegehren zum Rauchverbot 2020. Sollten die Volksbegehren zu GIS-Gebühren oder zur Neutralitätsfrage ausreichend Stimmen bekommen, werden sie ebenfalls in den jeweiligen Fachausschüssen landen.
Aber: Dort kann das eine Volksbegehren, das auf genügend Unterschriften kommt, diskutiert werden. Bekommen beide Volksbegehren mehr als 100.000 Unterschriften, würden die Debatten wohl besonders spannend werden. Genau dieses potenzielle Ergebnis beweist aber, dass Volksbegehren sich nicht wirklich als Zeichen der direkten Demokratie eignen.
Dennoch wird genau das versucht. Da das Volksbegehren zur Impfpflicht nach Maßgabe der Initiator:innen nicht zufriedenstellend behandelt wurde – bei der Ausschussdebatte war die Impfpflicht zumindest schon ausgesetzt –, gab es ein Folgevolksbegehren, das nunmehr die Rolle von Volksbegehren behandeln soll – allerdings aufgrund des Bezugs zur Impfplicht erneut im Gesundheitsausschuss gelandet ist.
Zu erwarten ist damit absolut nichts. Auch bei anderen Volksbegehren stellt sich immer wieder die Frage, inwiefern Ergebnisse zu erwarten sind. Denn die Fakten haben sich nicht geändert, die Covid-19-Impfungen wirken nach wie vor, und die Expert:innenhearings würden zu keinen anderen Ergebnissen kommen.
Viele Forderungen sind nicht neu, sondern ein Volksbegehren wird oft erst richtig erfolgreich, wenn Themen schon stark diskutiert werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es bereits Anträge zu den meisten dieser Themen in den diversen Ausschüssen.
Es braucht sinnvolle Formen der politischen Beteiligung
Politische Beteiligung ist gut und wichtig, das soll damit nicht in Abrede gestellt werden. Was es aber auch braucht, sind nicht nur einzelne Kampagnen, sondern das langfristige Engagement der Bevölkerung. In Vereinen, in Bürgerbewegungen, im Ehrenamt oder direkt in Parteien.
Vielleicht noch besser: am Stammtisch, um den politischen Diskurs voranzutreiben. Einen Diskurs aber, der auch gehört werden kann, sich auf die Wahlbeteiligung auswirkt und aufzeigt, was es wirklich braucht. Ein Expert:innenhearing im Parlament kann dafür nett sein, aber bei Themen, die bereits mit der gleichen Faktenlage behandelt wurden, bringt es nichts.
Stattdessen braucht es die Organisation von Beteiligten und eine Stärkung von Berufsverbänden, die wirklich auf Mitglieder zählen können und innerhalb derer diskutiert wird. Eltern, die von Schulen bestimmte Dinge wie Nachmittagsbetreuung einfordern und nicht Elternvertreter:innen, die das hauptsächlich werden, weil sonst niemand aufzeigt.
Direkte Demokratie wird nicht durch Volksbegehren erreicht. Direkte Demokratie kann durch mehr demokratische Beteiligung erfolgen, durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft, durch höhere Wahlbeteiligungen. Wenn sich aber niemand für Politik interessiert und viele Menschen sich auf diversen Social-Media-Kanäle in Parallelblasen zurückziehen, braucht es niemanden wundern, dass politische Meinungen nicht gehört werden.
Abseits der Corona-Demonstrationen (die wohl ein eigenes Kapitel wären), hat sich aber wenig getan. Stattdessen hört man aus vielen überlasteten Bereichen, wie schwer es ist, die Bevölkerung zu erreichen. Volksbegehren machen das vielleicht kurzfristig mit Kampagnen, als Vehikel sind sie aber sehr schwerfällig, wie z.B. auch das Frauenvolksbegehren gezeigt hat.
Wer schnellere Handlungen haben will, muss also mehr tun, als eine Unterschrift zu leisten. Denn nur durch direkte Beteiligung wird eine Demokratie lebendig.