Wer sind die „echten Rechten“ im EU-Parlament?
Wie viele „rechte“ Parteien es im EU-Parlament gibt, hängt vor allem davon ab, wie man „rechts“ definiert. Nimmt man alles „links der Mitte“, könnte man Teile der liberalen Fraktion Renew Europe dazuzählen, wo sich Wirtschaftsliberale mit Grün-Liberalen bis zu rechten Ausnahmen wie den Freien Wählern in Deutschland treffen. Etwas weniger ausholen muss man, um die Europäische Volkspartei (EVP) als rechte Partei zu bezeichnen: Sie ist das Lager der historisch christlich-sozialen, konservativen und Mitte-Rechts-Parteien, dem (am rechten Rand) auch die ÖVP angehört.
Redet man über „die Rechten“ im EU-Parlament, meint man aber vor allem zwei Fraktionen: Die European Conservatives and Reformists Party, kurz ECR, und die Identity and Democracy Party, kurz I&D. Die erste davon, der vor dem Brexit die britischen Tories angehörten, hat in Österreich keinen Ableger, Letztere ist die politische Heimat der FPÖ. Und genau zwischen diesen beiden spielt sich der Streit der europäischen Rechten ab – ein Streit mit vielen Themen, Facetten und Machtspielchen.
Was die Rechten inhaltlich trennt
Für die Tatsache, dass die Rechten so gespalten sind, gibt es mehrere Erklärungen. Eine davon ist der Umgang mit Russland. Dieser wird allein aus historischen Gründen quer durch Europa sehr unterschiedlich gesehen: Länder, die in der Sowjetunion unterdrückt wurden, lehnen auch Putins Russland deutlich ab, während Staaten wie Österreich, wo die Neutralität eine historisch wichtige Rolle spielt, weniger Berührungspunkte haben. Das ist der erste trennende Punkt: Wenn Harald Vilimsky anderen Rechten der polnischen PiS-Partei erklären will, dass man die Ukraine nicht unterstützen solle, macht er sich unbeliebt.
Eine andere Frage ist der EU-Austritt. Die Alternative für Deutschland, die man in Deutschland als „in Teilen gesichert rechtsextrem“ bezeichnen darf, schreibt etwa in ihrem Programm für die EU-Wahl, dass die Europäische Union „gescheitert“ sei, 2019 spielte sie noch mit dem EU-Austritt als „letzte Option“. Ähnliche Wordings findet man auch bei der FPÖ: In jeder Europawahl seit 2009 zündelte sie mit einem Öxit, nur um nach dem ersten Backlash sofort zurückzurudern. Auch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders drohte mit dem EU-Austritt, konnte sich in seiner eigenen Regierung aber nicht durchsetzen.
Weniger klar oder klar ablehnend positionieren sich da andere Rechtsparteien. Das französische Rassemblement National etwa bemüht sich in Gestalt ihrer Spitzenkandidatin Marine Le Pen, staatstragend und moderat zu wirken. Die Töne in Richtung EU-Austritt werden also leiser – weniger europäische und transatlantische Zusammenarbeit will Le Pen dennoch. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die den Fratelli d’Italia angehört, ist wiederum überzeugte Transatlantikerin, betont die Partnerschaft ihres Landes mit der EU und den USA und steht zur Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland.
Wo liegt das rechte Machtzentrum?
Auf der einen Seite steht also die ECR mit Giorgia Meloni, auf der anderen die I&D-Fraktion mit Marine Le Pen. Beide sind rechte Aushängeschilder, die von anderen Rechtsparteien hofiert werden. Um zu beantworten, wer auf EU-Ebene „mächtiger“ ist, zählen sowohl die Anzahl der Mandate als auch die Strahlkraft der führenden Persönlichkeiten – immerhin will man auch auf nationaler Ebene beweisen, dass man regieren kann.
Vor einigen Jahren noch hätte man wohl stärkere Chancen für die I&D gesehen. Immerhin war sie bis vor kurzem auch die Heimat der AfD, einer Rechtspartei im Aufwind im bevölkerungsreichsten Land der EU. Diese hat aber vor kurzem im partei-internen Match mit Le Pen den Kürzeren gezogen: Durch die Aussage des EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah, nicht alle in der Waffen-SS wären Verbrecher gewesen, war der Imageschaden zu groß geworden. Schon zuvor waren Vorwürfe chinesischer Einflussnahme und Spionage laut geworden. Für Le Pen, die 2027 französische Präsidentin werden will, ist jedes Anstreifen an diesen Extremen ein Imageschaden.
Darum spricht jetzt vieles für die ECR, etwa Giorgia Melonis Fratelli, die laut Umfragen auch die EU-Wahl in Italien gewinnen werden. Durch ihren pro-ukrainischen Kurs gilt sie als verhältnismäßig moderat, das Problem des russischen und chinesischen Einflusses hat sie nicht. Der rechte Gegenspieler, die Lega von Matteo Salvini, den auch Harald Vilimsky immer wieder als seinen Ansprechpartner in Italien bezeichnet, gilt wie die FPÖ als Russland-treu, vor wenigen Jahren trat Salvini noch öffentlich mit Shirts mit Wladimir Putins Gesicht auf.
Wie geht es jetzt weiter?
Nach der EU-Wahl am 9. Juni werden die Karten neu gemischt – und die ECR hat vermutlich bessere. Nicht nur, da sie durch das Ergebnis in Italien wohl wachsen wird (laut Umfragen von 65 auf ca. 75 Mandate), während die I&D verliert (von 84 auf etwa 69), sondern auch, weil es programmatisch leichter wird, mit ihnen Kompromisse zu finden. Gerade in Sachen Außenpolitik ist Meloni eine deutlich ansprechendere Gesprächspartnerin als Le Pen und Vilimsky, und bei der Wahl der neuen Kommissionspräsidentin – Ursula von der Leyen positioniert sich für weitere fünf Jahre – könnten auch ihre Stimmen entscheidend werden.
Für die Rechten ist die Spaltung natürlich tragisch: Auf zwei bis drei Parteien aufgeteilt, können sie weniger Einfluss ausüben, nicht geschlossen abstimmen und dadurch weniger zum Gesetzgebungsprozess beitragen. Aber für die EU ist genau diese Spaltung wichtig: Denn wenn sich jene Kräfte, die EU-Politik am liebsten boykottieren und behindern würden, nicht abstimmen können, sinkt die Macht ihrer Sabotage. So können die proeuropäischen Kräfte mit komfortablen Mehrheiten an Kompromissen basteln, die Europa wirklich weiterbringen.