Wie liberal ist … die Bundeshymne?
Die Zeile „Heimat bist du großer Söhne“ ist in dem Text, den Paula von Preradović als Bundeshymne eingereicht hat, gar nicht vorhanden. „Respekt vor dem Originaltext“ zieht also nicht als Ausrede, die großen Töchter nicht zu besingen.
Vorweg: Die Bundeshymne ist nicht liberal, jedenfalls nicht liberaler als andere Gesetze in diesem Land, und das ist gut so. An Gesetze hat man sich zu halten, auch wenn man Schlagersänger oder Bundespräsidentschaftskandidat ist. Und auch ein Bundeskanzler von der Verbotspartei FPÖ könnte den Text nicht im Alleingang ändern. Vor jeder Wahl artikulieren Kandidaten (gendern nicht notwendig; und wann hat es in Österreich überhaupt zum letzten Mal Kandidatinnen für wichtige politische Ämter gegeben?) ihren Protest gegen den Verlust männlicher Privilegien, indem sie verlautbaren, sich nicht an geltende Gesetze halten zu wollen und die Bundeshymne in einer seit über zehn Jahren nicht mehr gültigen Form, also ohne Töchter, zu singen.
Von der Lächerlichkeit dieser Tatsache und der gleichzeitig verheerenden Wirkung für alle Gleichberechtigungsbemühungen abgesehen, ist es doch interessant, dass die interviewenden Journalist:innen selten auf diesen klaren Gesetzesverstoß hinweisen, sondern sich meist mit dem Hinweis auf den vermeintlichen „Respekt vor Paula von Preradovićs Originaltext“ zufriedengeben.
Denn: In Paula von Preradovićs Originaltext kommt die Zeile „Heimat bist du großer Söhne“ nicht vor. (Das Folgende verlangt übrigens keine große Recherche, es genügt, den Wikipedia-Artikel zur österreichischen Bundeshymne zu lesen.)
Originaltext ohne Heimat
Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äcker, Hämmer, Dome,
Arbeitsam und liederreich.
Großer Väter freie Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
Vielgerühmtes Österreich.
So lautete die erste Strophe des Texts, den Paula von Preradović 1946 für das Preisausschreiben des Unterrichtsministeriums „zur Schaffung einer neuen österreichischen Volkshymne“ einreichte.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Warum der Text geändert wurde? Keine Ahnung. Man kann vermuten, dass irgendeinem der Herren in der Kommission aufgefallen ist, dass das Wort „Heimat“ kein einziges Mal vorkam. Besonders gelungen ist die Änderung übrigens nicht, in der neuen Fassung wechselt das Subjekt unvermittelt von Heimat zu Volk, und auch wenn man die Anapher als Stilmittel anerkennt, ist fünfmal „Land der“ vielleicht ein bisschen viel.
Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
Vielgerühmtes Österreich,
Vielgerühmtes Österreich.
Wie auch immer, der Text wurde jedenfalls geändert. „Respekt vor dem Original“ war also schon 1947 kein Argument; warum auch, schließlich ist der Text kein heiliges literarisches Kunstwerk, sondern wurde spezifisch als Bundeshymne geschrieben. Dem Wikipedia-Artikel zufolge hatte die Autorin nicht einmal besondere Lust dazu und sagte nur auf „nachdrückliches Bitten“ des Unterrichtsministers zu. Sämtliche Urheberrechte trat sie – gegen ein Preisgeld von 5.000 Schilling (andere Quellen sprechen von 10.000) – an den „österreichischen Bundesstaat“ ab.
Anscheinend gibt es nichts Wichtigeres, als Frauen zu verhindern
Generationen von Frauenpolitikerinnen versuchten erfolglos, die großen Töchter in die Bundeshymne zu bringen. Johanna Dohnal scheiterte an ihrer eigenen Partei – das Argument: „Gibt es nichts Wichtigeres?“ ist bis heute beliebt. Auch Maria Rauch-Kallat wurde von ihrer eigenen Partei sehr aktiv daran gehindert, einen entsprechenden Antrag im Parlament einzubringen. Offenbar gab es Wichtigeres als Frauen in der Bundeshymne: Ihre Klubkollegen verbrauchten mit Endlosreden über Themen wie neue Süßstoffe, Schweinemast und die Qualität des österreichischen Weins jede Sekunde Redezeit, sodass Rauch-Kallat nicht mehr zu Wort kam. Da sie danach aus dem Nationalrat ausschied, wurde ihr damit auch ihre Abschiedsrede verwehrt.
Nach dem Plenum wurde der Antrag dennoch schriftlich eingebracht und ein halbes Jahr später, am 7. Dezember 2011, mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen gegen den Widerstand von FPÖ und BZÖ beschlossen. In der vorangegangenen Debatte hatte sich eine FPÖ-Abgeordnete mit dem Argument „eine Hymne soll für das gesamte Volk da sein“ dagegen ausgesprochen, ebenjenes gesamte Volk in ebenjener Hymne zu repräsentieren. Die großen Töchter werden dennoch seither in der Bundeshymne besungen, und diese sprachliche Absichtserklärung von Gleichberechtigung haben einige Politiker bis heute nicht verwunden.
Kulturkampf um die Bundeshymne
Mehr als zehn Jahre sind inzwischen vergangen. Viele Jahrgänge von Schulkindern haben nie eine andere als die gültige Fassung der Bundeshymne kennengelernt und würden sich über eine solche ohne Töchter wohl sehr wundern. Dennoch beschäftigt das Thema jene Politiker, die damals ganz viele andere Sorgen hatten als die Bundeshymne, so sehr, dass sie jetzt viel Energie darauf verwenden, ihre Absicht kundzutun, deren Text zurückzuändern.
Wir schreiben das Jahr 2023. Jene Partei, die vor zwölf Jahren vorgab, Symbolpolitik abzulehnen und sich um die wahren Probleme der Frauen kümmern zu wollen, war inzwischen in der Regierung und hätte viele Chancen dazu gehabt. Deren Obmann, der bei jeder Gelegenheit betont, Frauenrechte vor Einflüssen aus dem Islam und vor Transpersonen zu schützen zu wollen, gibt das Wahlversprechen ab, die großen Töchter aus der Bundeshymne zu entfernen.