Wie liberal ist … ein Genderverbot?
Jetzt ist es also passiert. Der Krieg in der Ukraine, die dauerhaft hohen Preise, das unleistbare Wohnen – alles gelöst, denn die niederösterreichische Landesregierung kommt endlich ins Arbeiten. Und setzt die ganz großen Brocken zuerst um: das Genderverbot.
Klingt absurd, oder? Nicht nur, dass – neben Zugeständnissen für alle, die nicht an Corona glauben – so ein Punkt überhaupt in einem Regierungsprogramm steht: Die Prioritätensetzung von FPÖ und ÖVP wirft Fragen für alle auf, die sie wegen der aktuellen wirtschaftlichen Situation gewählt haben. Ist ja nicht so, als hätten wir da gerade dringende Probleme.
Das „Genderverbot“, dessen Umsetzung gestern angekündigt wurde, bezieht sich natürlich nicht darauf, selbst im Alltag zu gendern. Privatpersonen dürfen das nach wie vor so machen, wie sie wollen. Das Verbot – und damit der staatliche Zwang – bezieht sich auf niederösterreichische Behörden: Im Schriftverkehr des Landes sollen alle Varianten des Genderns verboten sein.
Die FPÖ und der „Genderwahn“
Eigentlich ist die Ironie so groß, dass man sie kaum übersehen kann: Gerade die Partei, die an jeder Ecke den „Genderwahn“ vermutet und vor der „Sprachpolizei“ warnt, ist jetzt die erste Partei, die eine solche Sprachregelung gesetzlich umsetzt. Denn auch die Vorgabe, die eigene Präferenz nicht verwenden zu dürfen, ist eine Gender-Richtlinie – und die FPÖ ist die erste Partei in Österreich, die eine solche umsetzt.
Ob die Rechten diese Art der sprachlichen Zwänge auch so verurteilen? Oder richtet sich dieses Sentiment nur gegen Andersdenkende, die wegen ihrer persönlichen Präferenz gerne gendern wollen? Niemand zwingt euch, das so zu übernehmen – aber ein gesunder, liberaler Ansatz wäre, jede Art der Sprache zu respektieren, liebe FPÖ-Wähler:innen.
Freiheit? Welche Freiheit?
Dieses Gesetz zeigt auch, wie die FPÖ das Wort Freiheit versteht: Die Freiheit, so zu leben, wie sie es wollen. Das sieht man nicht nur in dieser Causa, sondern auch in der Kinderbetreuung: Um angebliche „Wahlfreiheit“ für Mütter zu sichern – von Vätern reden wir da im FPÖ-Sprech gar nicht –, kommt mit schwarz-blauen Regierungen auch zuverlässig die Herdprämie zurück, mit der Frauen fürs Daheimbleiben bezahlt werden.
Was natürlich nicht heißt, dass Mütter nicht zu Hause bleiben dürfen. Die Frage, wie früh man Kinder in Betreuung gibt, ist eine des höchstpersönlichen Lebensentwurfs. Wer möglichst lange daheim bleiben will, soll das tun, und wer möglichst früh wieder arbeiten will, macht eben das. Dafür braucht es aber ein entsprechendes Angebot an Kinderbetreuung. Und genau das wird laut Vorstellung der FPÖ nicht ausgebaut. Auch hier geht es ihr um die „Freiheit“: So zu leben, wie sie es für richtig hält.
Früher war mehr Freiheit
Man kann vom Gendern halten, was man will. Nur: Die „Sprachpolizei“, von der Rechte gerne schwadronieren, existiert außerhalb von Niederösterreich ausschließlich in Form von Menschen, die ihre persönliche Entscheidung treffen. Für den Rest hat die schwarz-blaue Regierung jetzt Ersatz geschaffen.
Die individuelle Freiheit in der Sprache mag bei vielen Freiheitlichen nicht positiv ankommen. Aber der Status quo vor dem Verbot – man darf gendern, wenn man möchte – war definitiv mehr „Freiheit“. Für eine Partei, die dieses Wort absurderweise immer noch im Namen trägt, sollte das eigentlich eine Blamage sein. Für die FPÖ war es ein ganz normaler Dienstag.