Wie liberal ist … Gerald Loacker?
„Vorarlberg ist das sauberste Bundesland, weil immer alles unter den Tisch gekehrt wird.“
Wenn man Gerald Loacker mit einem Spruch zusammenfassen will, dann wäre es wohl dieser. Nicht weil er selbst Vorarlberger ist, sondern weil er Urheber dieser Aussage ist. Seit mittlerweile elf Jahren sitzt er für NEOS im Nationalrat – und mit 29. September geht die Zeit dieser knackigen Sprüche zu Ende. Zumindest derer, die von Loacker kommen.
Um seine rhetorischen Fertigkeiten wird es schade sein, aber nicht nur. Denn anders als die unzähligen türkisen Hinterbänkler, die auch bei Polit-Profis nur ein verwirrtes „Wer?“ hervorlocken, ist Gerald Loacker ein Politiker mit dem Format, das Rückblicke am Ende seiner Amtszeit rechtfertigt. Und das sage ich nicht, weil er einmal pro Jahr als „fleißigster Abgeordneter“ die Schlagzeilen kürt – das ist schon wahr. Es geht um das Image, das die SPÖ seit etwas mehr als zehn Jahren immer wieder beiläufig erwähnt, als wäre es ihr spontan eingefallen: „NEOS-Sozialsprecher. Höhö.“
Denn für viele gilt Gerald als Beispiel eines Politikers, der „asoziale“ Politik macht: der Sozialleistungen kürzen, Leute länger in die Arbeit zwingen, notwendige Arbeitsschutzbestimmungen abschaffen will. Dabei hat das wenig mit der Realität zu tun.
Im Gegenteil: Wenn man sich seine Themen und Positionen ansieht, könnte man ab und zu denken, man spreche über einen Sozialdemokraten. Etwa wenn es um seinen Kampf gegen die Zweiklassenmedizin geht, unterfüttert mit einer enormen Detailkenntnis über das österreichische Gesundheitssystem, das einen Großteil des politischen Personals im Vergleich blank aussehen lässt. Nicht unbedingt etwas, was zum Image des Höhö-Sozialsprechers passt – manche:r macht immer noch den Fehler, diesen Einsatz von Linken zu erwarten.
Aber das Image, das viele von Gerald haben, ist nicht seinem Einsatz in der Gesundheitspolitik geschuldet. Vielmehr geht es um das, was ganz klassisch Liberalen wichtig ist: den gerechten Einsatz von Steuergeld. Ein Anliegen, das unkontrovers klingt, ja. Aber das heißt nicht, dass sich alle darauf einigen können.
Der politische Partycrasher
Nehmen wir etwa Geralds Kritik am Kammerstaat. Wissen Sie, wie viel Geld die Arbeiterkammer, die Wirtschaftskammer, die Notariatskammer hat, oder wer auch immer Ihre gesetzliche Vertretung ist? Ich nehme an, Sie wissen es nicht. Ich weiß es auch nicht, es gibt keine transparente Übersicht, wo die Beiträge aus der Pflichtmitgliedschaft hingehen. Denn dass wir genau das wissen dürfen, wird vom System der Kammern enorm schwer gemacht.
Hier beginnt der Teil der Geschichte, warum viele Gerald Loacker unangenehm finden. Mit einer jährlichen Serie an parlamentarischen Anfragen bereitet er mehreren Ministerien Mühe, um genau diese Frage zu beantworten. Die Antworten veröffentlichte Gerald auf seinem Blog in einem „Kammerbuch“, die Erkenntnisse wurden Jahr für Jahr von verschiedenen Medien aufgegriffen. So wissen wir nicht nur, wie viel Geld in den Kammern allein für Personal, Rücklagen und Luxuspensionen ausgegeben wird, sondern haben auch Einblicke in ein „Worst of“ der Steuergeldverschwendung erhalten. Das ist nur Thema, weil einer den Scheinwerfer hinhält.
Klar, das ist vielen unangenehm. ÖVP und SPÖ rekrutieren sich aus den Kammern, die Arbeiter- und Wirtschaftskammer sind wichtige Personalreserven für die zwei Parteien, die immer noch Probleme damit haben, sich an die moderne Welt anzupassen. Wer da Kritik äußert, stört nur – und wird gerne zum „Feind der Arbeiterschaft“ gemacht.
Ähnlich verläuft es mit dem Thema Pensionen. Wenn im Herbst traditionell großzügige Pensionserhöhungen kommen, schmücken sich Bundesregierungen gerne mit ihren Wohltaten, dekoriert mit dem Credo „Das haben Sie sich verdient“. Da ist es nur lästig, wenn Abgeordnete wie ein Gerald Loacker nachrechnen und darauf hinweisen, dass wir uns nicht nur diese Pensionserhöhung nicht leisten können, sondern dass wir seit Jahren und Jahrzehnten Milliarden zuschießen, um die geburtenstarken Jahrgänge zu belohnen. Schließlich finden fast jeden Herbst in Österreich Wahlen statt. Und mit der größten demografischen Gruppe des Landes will man es sich nicht verscherzen.
Für Politik, die rechnen kann
Das ist auch der Grund, warum Gerald von vielen als Provokateur gesehen wird. Sie ignorieren den sachlichen Einsatz im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – und konzentrieren sich auf Bereiche, in denen seine Kritik unangenehm ist. Durch seine Kritik an der Verschwendung in den Kammern wird er da schnell einmal zum „Feind der Arbeiterschaft“; durch seinen Einsatz für ein Pensionssystem, das auch noch für die heute jungen Generationen hält, wird er zum „Pensionistenfresser“ umgedeutet. Darum ging es aber nie. Sondern um einen ehrlichen Einsatz für das, was ihm wichtig war.
Eine persönliche Episode dazu wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Als es im Referentinnenraum einmal um die Erbschaftssteuer ging, kam Gerald in den Raum. Ich erklärte gerade meine Position dazu und sagte – Hot Take, Fragezeichen? – dass ich mir eine solche Steuer grundsätzlich vorstellen kann. Wir sehen es immerhin alle als Problem, dass man sich ohne Erbe nichts mehr aufbauen kann, und wenn man das ändern will, muss man die Steuern auf Arbeit senken, und dafür braucht man eine Gegenfinanzierung.
Jetzt wusste ich schon, dass Gerald Loacker kein großer Freund dieser Idee war. Ich wusste aber auch, dass ich bei NEOS nicht immer mit allen einer Meinung sein muss. Gerald versuchte aber nicht, über grundsätzliche Wertefragen zu diskutieren, sondern fing an zu rechnen. Bei einer Erbschaftssteuer, wie die SPÖ sie vorschlage, komme viel zu wenig raus. Um das Argument zumindest theoretisch durchzuspielen, verdoppelten wir den Betrag, der nach einer Einführung herauskommen könnte. Nicht einmal in diesem Szenario landeten wir bei einer Milliarde – und damit waren wir weit weg von einem Beitrag zu einer nennenswerten Steuersenkung. Meine grundsätzliche Einstellung zum Thema hat sich nicht geändert. Aber Gerald konnte mir aus dem Stegreif vorrechnen, warum sie zumindest wenig bringen würde.
Woher das Image kommt
Vermutlich erklärt das auch, warum gerade Linke sich so auf Gerald eingeschossen haben. Er ist ein Politiker, der sich nicht scheut, auch einmal jemanden vor den Kopf zu stoßen, wenn es um die richtige Sache geht, einer mit Mut zum Streit. Im Jahr 2013, als eine liberale Partei namens „NEOS“ in den Nationalrat kam, war es für viele wahrscheinlich einfach, das mit „neoliberal“ zu übersetzen. Neoliberale, die kennt man doch aus den USA und Großbritannien! So landet man gedanklich schnell bei einem Genre, in das Gerald und der Rest seiner Partei einfach nicht passen: eine Cartoon-Bösewicht-Version eines Neoliberalen, der Steuern senken will, um Sozialleistungen zu streichen.
Dass das nie die Idee war, verstehen viele Linke bis heute nicht. Loacker ist ein klassisch Liberaler im besten Sinne. Nicht weil er regelmäßig Adam Smith oder John Stuart Mill zitiert – zumindest wäre mir das in unseren persönlichen Gesprächen noch nicht aufgefallen. Sondern weil er darauf schaut, wo der Staat seine Aufgaben erfüllt. Ob er sie gut erfüllt, ob er sie sparsam erfüllt, oder ob das alles nicht irgendwie besser ginge. Wer dahinter eine Agenda vermutet, den staatlichen Apparat aus Prinzip zurückzufahren und den armen Menschen noch weniger zu lassen, versteht nicht, worum es ihm in seiner Arbeit ging. Oder wollte es nie verstehen.
Aber für Gerald Loacker spielte das ohnehin nie eine Rolle: Er machte weiter, und auch, wenn er als Arbeiterschreck verschrien war, schaute er im nächsten Jahr wieder genau auf das Geld der Arbeiterkammer. Aus Sicht einer strategischen Kommunikation werden seine markigen Sprüche und starken Meinungen zu unpopulären Themen nicht immer ein Gewinn gewesen sein, aber auch in dieser Abteilung genießt er einen guten Ruf. Idealismus und Haltung werden in Österreich oft erst spät anerkannt. Meist erst dann, wenn es zu spät ist.
Das Erbe des Gerald Loacker
Mit September endet Geralds letzte Periode im Nationalrat. Es sei der richtige Zeitpunkt, um nicht als Sesselkleber in Pension zu gehen, sondern noch etwas Neues anzufangen, sagte er in ersten Interviews nach der Ankündigung. Und auch, dass die Politik kein interessantes Umfeld für jemanden sei, der inhaltlich arbeiten wolle. Dass man nach jahrelanger fundierter inhaltlicher Arbeit genug hat, wenn man Werner Faymann, Sebastian Kurz und Karl „Was ist eigentlich normal“ Nehammer hinter sich hat, ist verständlich – ein Verlust für die politische Kultur ist es trotzdem.
Für mich ist Gerald Loacker ein Abgeordneter, wie man ihn sich nur wünschen kann. Jemand, der mit klaren Meinungen und Versprechen einzieht und dann jahrelang dafür kämpft. Obwohl Opposition teilweise zermürbend sein kann, obwohl die anderen sich lieber mit Scheindebatten beschäftigen, und obwohl man sicher selbst oft hinterfragt, welchen Impact das hat. Der auch streitbare Positionen hat, aber sie immer wertschätzend diskutiert und begründen kann. Wenn der Median Voter gefragt wird, was er sich von der Politik wünschen würde, er wäre wohl nicht weit von Loacker entfernt.
Und zur Frage, was von ihm bleibt? Jedenfalls wesentlich mehr als markige Sprüche. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir uns schon bald kollektiv daran erinnern werden, wer in Österreich die Probleme mit dem Pensionssystem zuerst artikuliert hat. Und wenn wir uns in ferner, aber hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft fragen, warum eine Pensionsreform nicht schon viel früher gekommen ist, werden wir alte Gerald-Loacker-Reden finden. Von 2013, aus 2017, aus 2019, aus 2024 und all den Jahren dazwischen.
Lieber Gerald, danke für deinen Einsatz über so eine lange Zeit. Du wirst fehlen.