Wie liberal ist … Hogwarts Legacy?
In dieser Kolumne widmen wir uns normalerweise der Frage, was diverse Dinge und Konzepte mit der Freiheit zu tun haben. Bei Hogwarts Legacy – dem neuen PlayStation-Spiel (ich werde nicht so tun, als sei die X-Box legitim) stellt sich nicht nur die Frage, wie liberal das Spiel ist – gerade rund um die Veröffentlichung kam auch die Frage auf, ob man das Spiel überhaupt spielen dürfe. Keine besonders liberale Frage, außer man versteht „liberal“ im US-Kontext, also als links.
Für alle, die den Shitstorm nicht mitbekommen haben: Glückwunsch zur Qualität eurer Social-Media-Feeds und zu eurer offensichtlich bestehenden mentalen Gesundheit. Ihr habt alles richtig gemacht. Für alle, die wie ich zu viel Zeit im Internet verbringen und sich gerne mit mühseligen Ansichten von Links- bis Rechtsaußen beschäftigen: Wahrscheinlich haben alle schon mal gehört, dass J.K. Rowling – die Autorin der Harry-Potter-Bücher und damit die Schöpferin des gesamten Universums, in dem sich all diese Spin-offs abspielen – transphob ist. Aber warum eigentlich? Daran kann sich irgendwie keiner so recht erinnern.
Spielen? Dürfen die das?
Ursprünglich ging es mit einer Meinung los, auf die sich wahrscheinlich viele Menschen einigen könnten: dass „Menschen, die einen Uterus haben“, Frauen genannt werden können. Das Urteil der Kritiker ist klar: Die gesamte Wizarding World, in der Harry Potter und alle Spin-offs spielen, ist strikt abzulehnen. Denn wer Geld für Werke ausgebe, an denen jemand mit problematischen Meinungen verdient, begeht transphobe Gewalt. So zumindest eher radikale Ecken auf Twitter, denen wir nicht mehr Aufmerksamkeit geben müssen, als sie verdienen.
Aber wie wäre es damit: Lösen wir uns kurz von der Idee, dass man alle Werke von Menschen, die nicht zu 100 Prozent unserer Meinung entsprechen, ablehnen muss. Dann landen wir nämlich ganz schnell bei der Diskussion, ob Universitäten noch Texte von Immanuel Kant lehren sollen, weil er im 18. Jahrhundert das N-Wort verwendet hat. Und in diesem Text wollen wir immerhin über das Werk reden, nicht über die Autorin. Auch, wenn das bei Harry Potter oft wirklich schwer ist.
Dann können wir nämlich, ohne uns selbst vom Spaß auszuschließen, ganz nüchtern feststellen: Natürlich ist die Wizarding World voller Klischees. Es ist völlig egal, was man von J.K. Rowling hält: Die Kobolde, die in den Banken arbeiten, könnten direkt aus antisemitischen Karikaturen stammen, die einzigen asiatischen Charaktere in den Harry-Potter-Büchern sind Cho Chang und die Geschwister Parvati und Padma Patil. Und die Hauselfen sind im wahrsten Sinne des Wortes Sklaven, aber mit der Prämisse „Was wäre, wenn die Sklaven das wirklich genießen?“.
Mach doch, was du willst
Für alle, die sich nicht für Political Correctness, sondern auch für das Spiel interessieren, kann ich beruhigen: Hogwarts Legacy hat kaum Berührungspunkte zu realen politischen Debatten. Die Kobolde und Hauselfen wurden nicht rauszensiert und sind ein Teil des Harry-Potter-Universums, und bis auf eine einzige Transfrau als Nebencharakter findet man keine Hinweise darauf, dass sich die Hersteller von der Debatte ins eine oder andere Eck drängen ließen.
Das Spiel wurde schon lange als „Open World“ angekündigt, was heißt: Du kannst jederzeit machen, was du willst. Wer sich nicht für die Haupthandlung interessiert, kann Stunden damit totschlagen, auf dem Besen oder anderen magischen Fortbewegungsmitteln die Gegend zu erkunden. Pflanzen sammeln, um daraus Tränke zu brauen, fantastische Tierwesen retten und denen schaden, die sie jagen wollen, oder in der freien Natur die Rätsel des legendären Magiers Merlin lösen: Es gibt unzählige Side Quests, die auch ohne jeden Bezug zur Handlung Spaß machen. Ob und in welcher Reihenfolge man sie abschließt, ist einem selbst überlassen.
Wo wir übrigens beim Liberalismus wären, und bei der Feststellung, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet. Denn es gibt auch die Freiheit, sich den dunklen Künsten zu widmen – also dem, was in den Büchern und Filmen den Bösewichten vorbehalten ist. An Zaubersprüchen wie dem Schwebezauber Wingardium Leviosa kommt man nicht vorbei. Aber ob man die „verbotenen Flüche“, also den Folterfluch Crucio, den Fluch Imperio, mit dem man andere kontrollieren kann, oder den Todeszauber Avada Kedavra lernen will – das kann man frei entscheiden.
Harry Potter und der sinnlose Boykott
Mein Fazit zum Spiel also? Ich bin komplett hooked. Auch als erfahrener Gamer spiele ich es seit Wochen und entdecke noch immer neue Möglichkeiten, was man noch alles in dieser Welt entdecken kann. Und ab und zu bin ich auch einfach nur auf Stress aus, gehe in den Verbotenen Wald und probiere neue Zauberspruch-Kombinationen aus, um dem Wilderer-Clan noch schneller eins aufs Maul zu geben.
Und politisch? Auch wenn man in der Handlung nicht ganz an der einen oder anderen politischen Frage vorbeikommt – keine Sorge, hier wird nichts gespoilert: Das Politischste an Hogwarts Legacy ist immer noch die Debatte über das Spiel. Der Inhalt ist eine starke Story, kombiniert mit unglaublich vielen Möglichkeiten in alle Richtungen. Wer sich das Spiel extra nicht kauft, um J.K. Rowling zu schaden oder anderen moralische Überlegenheit zu signalisieren, tut sich keinen Gefallen.
Wer Hogwarts Legacy boykottiert, macht die Welt um kein Stück besser, bestraft sich aber selbst für die eigene politische Richtung. Natürlich hat jeder das Recht, auf Virtue Signalling zu bestehen – da bin ich liberal. Aber ich nehme für mich in Anspruch, meine Einstellung zum Thema, wie viele Geschlechter es gibt, nicht mit meiner Meinung zu kreuzen, ob ich im Verbotenen Wald Avada Kedavra üben darf. Aber ich bin auch ein Slytherin.