Wie liberal ist … Ken?
Eigentlich hätte das hier ein anderer Text werden sollen. „Wie liberal ist der Barbie-Film“ hätte er geheißen, und der Titel hätte wesentlich mehr Klicks versprochen. Denn „Barbie“ wird gerade zum Kultfilm: Die Leute ziehen sich pink an oder, wie in meinem Fall, schwarz und pink im Partner-Look für das „Barbenheimer“ Double Feature.
Aber in diesem Text geht es nicht um Barbie. Weil ich ein Mann bin – und wir werden in diesem Text viel mit Klischees spielen –, rede ich über den Charakter, von dem der Barbie-Film für mich am meisten lebt: Ken.
First things first: Wer den Barbie-Film noch sehen will, ohne gespoilert zu werden, ist hiermit gewarnt. Außerdem scheint es mir wichtig vorauszuschicken, dass mir die Ironie an diesem Artikel bewusst ist: Ein Mann sieht einen feministischen Film mit weiblicher Hauptrolle, der das Patriarchat thematisiert, und schreibt dann einen Text über den dummen Nebencharakter. Wir werden dazu kommen, warum ich das für den richtigen Ansatz halte.
Kens Rolle im Barbie-Film
Ich muss Ken nicht extra vorstellen: Er lebt in „Barbieland“, einer Art Ideenwelt für die Puppen, mit denen in der echten Welt gespielt wird. Und er ist der perfekte, dümmliche, charakterlose männliche Nebendarsteller von Barbie. Während die Barbies immer einen perfekten Tag haben, hat Ken nur dann einen guten Tag, wenn Barbie ihn bemerkt – sie zu beeindrucken, zu bespaßen, ihr zu gefallen ist sein gesamter Wesenskern. Als Barbie also beschließt, (aus Gründen, die in diesem Artikel nicht genannt werden müssen) in die echte Welt zu reisen, schleicht sich Ken in ihr Auto, um sie zu begleiten. Er kann einfach nicht ohne sie.
Angekommen in der echten Welt merkt Ken schnell, dass diese Welt, anders als seine, den Männern gehört. Er sieht sie in allen Positionen der Macht und fragt herum, warum das so ist. Die Antwort lautet: „Das Patriarchat“. Ken gefällt diese Idee! Und er beschließt, sie zu exportieren – aus Barbieland wird Kenland, aus Barbies Dreamhouse das Mojo Dojo Casa House und aus der perfekten Welt der Frauen eine perfekte Welt der Männer. Und hier geht der interessante, der politische Teil los: Denn obwohl Ken das Patriarchat einführt, ist er nicht der Böse.
Eine Krise der Männlichkeit
Ken ist eine Analogie für ungefähr jeden jungen Mann, der den Barbie-Film schaut. Oder ihn auch nicht schaut: Am Tag vor dem Film fragte ein Freund in einem Gruppenchat, ob der Film nicht „feministische Propaganda“ sei. Denn sich nicht mit Feminismus zu beschäftigen, ihm feindlich gegenüberzustehen oder an Geschlechter-Themen überhaupt nicht anstreifen zu wollen, das ist unter Männern, auch unter jungen, extrem gesellschaftstauglich.
Ich kann mir emotional gut herleiten, woran das liegt: Vor nicht allzu langer Zeit war Mann zu sein genug, um sich seines Platzes in der Welt bewusst zu sein. Männer sind stark und bringen das Geld nach Hause, Frauen dagegen sind schwach und bleiben bei den Kindern. Männer sind technisch begabt und interessieren sich für Autos, Frauen wiederum sind kreativ und interessieren sich für Kleidung. Und, ganz wichtig: Männer zeigen keine Gefühle, weil das ein Zeichen von Schwäche ist.
Und diese Welt, dieses Modell von Männlichkeit, ändert sich. Es fällt weg. Wenn Frauen in klassische Männerdomänen dringen und jetzt auch technisch begabt, intelligent und Hauptverdienerinnen sein dürfen – wo bleibt dann der Mann, der keine andere Idee hatte als diese? Und wenn eine Frau jetzt, Vorbild Barbie, wirklich alles sein kann: Wo bleibe dann ich als junger Mann?
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Ken ist jeder junge Mann
Hier kommt Ken ins Spiel – denn der erlebt die Geschichte genau andersrum. Er kennt keine andere Welt als die, in der die Frauen regieren und die Männer ohne sie kein Selbstwertgefühl haben. Ken lebt quasi im Matriarchat und ist von der Handlung her ungefähr so interessant wie die Prinzessinnen in früheren Disney-Filmen: reines Objekt der Begierde, keine eigene Meinung und etwas, was man retten muss. Mit dem kleinen Unterschied, dass Ken über seine Situation Bescheid weiß. Er leidet darunter.
Und dann sieht er, dass es anders geht. Dass es eine Welt gibt, in der es reicht, ein Mann zu sein, um als etwas Besseres zu zählen. Dass man alle Chancen im Leben hat, auch völlig unabhängig von der Frau. Dass das die umgekehrte Geschichte dessen ist, was Frauen wirklich erkämpfen mussten, wird bei vielen nicht zünden – Männer teilen diese Erfahrung nicht und wollen nicht belehrt werden. Sie brauchen einen eigenen Protagonisten, an dem sie sich orientieren können.
In dem, wie Ken die Welt sehen will, schwingt mit, worauf zigtausende Fans von Influencern wie Andrew Tate aufspringen: den Status quo zu erhalten, das gute alte Patriarchat, das uns Männern historisch gut gedient hat – das ist die einzige Zukunft für Männer wie uns. „Wenn ich nur den Status, das Geld und die Macht an mich reiße, dann bin ich endlich nicht mehr abhängig von Barbie. Erst dann bin ich wirklich glücklich.“
Ken und das versehentliche Patriarchat
Und wenn man diesen politischen Kontext aufnimmt, wird er erst richtig spannend. Denn das Interessante ist: Ken will dieses Patriarchat gar nicht! Als die Barbies sich (wieder: aus Gründen der Handlung, die dieser Text nicht braucht) zurück an die Macht putschen, indem sie diverse Schwächen der Kens ausnutzen, gibt er preis, dass ihn das Patriarchat schnell nicht mehr interessiert hat. Ihm hätten doch einfach nur die Pferde gefallen.
Aber was Ken eigentlich stört, ist: Auch in seiner neuen Welt, in der alles den Regeln der Kens folgt, war „seine“ Barbie nicht bei ihm. Denn anders als in früheren Darstellungen ist unsere Margot-Robbie-Barbie nicht in Ken verliebt. Natürlich ist sie das nicht! Sie ist die Hauptrolle in ihrem feministischen Film! Sie hat eine eigene Handlung mit eigenen Motiven, und der ganze Film dreht sich nur nebensächlich um Ken, um eben zu betonen, dass auch Männer Probleme haben, die durch den Feminismus angesprochen werden.
Glücklich wird Ken erst, als er merkt, dass er seine eigene Persönlichkeit hat – ganz unabhängig von Barbie. Es ist die Geschichte, die man jedem ungeliebten 15-Jährigen zeigen sollte, der sich im Internet radikalisiert, obwohl er doch eigentlich nur attraktiv werden will. Dem Andrew Tates dieser Welt sagen, dass er dafür ein Macho-Arschloch sein muss, das keine Gefühle haben darf. Dabei ist das Problem gar nicht der eigene Charakter. Sondern die Tendenz von Männern, den gesamten Selbstwert schon sehr früh daran festzumachen, wie viele Mädels man kriegt.
Ken, die feministische Erzählung
Wie liberal ist also Ken? Kommt drauf an. Meinen wir Ken, den Charakter oder Ken als Erzählung im Teil des Barbie-Films?
Ken als Charakter ist natürlich weit weg von liberal. Er mag Pferde und führt das Patriarchat wieder ein – man könnte meinen, er tritt bei der nächsten Nationalratswahl an. Aber eigentlich ist er nur ein unpolitischer, naiver Mensch auf der Suche nach seinem Glück. Obwohl er in Barbieland die Verfassung auf Basis des Geschlechts ändert – a government of the Kens, by the Kens and for the Kens – bleibt er im Film nicht als der Böse zurück. Sondern als ein verwirrter Mann, der seinen Platz in der Welt sucht.
Ken als Erzählung dafür ist wiederum sehr liberal. Denn die Geschichte des Ken ist eine über Chancengleichheit, die dringend erzählt gehört. Viele Männer glauben, Feminismus sei nichts für sie, weil unter diesem Namen viele Ideen kursieren, die für sie gefühlt am Status der Männer in der Welt nagen. Dass Ken seinen Selbstwert eben nicht darin findet, das Patriarchat zu errichten und dann alle Mädels zu kriegen, sondern zu sehen, dass diese Bewahrung alter Hierarchien keine Lösung bietet – das ist die richtige Antwort, die viele brauchen.
Und deshalb geht es in diesem Text eben auch um Ken. Weil man als Mann nur schwer und selten nachvollziehen kann, wie es ist, eine Frau zu sein, und weil man gefühlt in ein Minenfeld tritt, wenn man sich als männlicher Kommentator an weibliche Themen herantastet. Der Monolog darüber, wie unmöglich es eigentlich ist, eine Frau zu sein, weil Frauen es immer falsch machen und an der Gleichzeitigkeit der gesellschaftlichen Ansprüche nur scheitern können, hat mich auch berührt – aber ich fühle ihn nicht, weil es mir nicht so geht. Gefühlt habe ich dafür das Lied „I’m just Ken“. Ich bin halt auch ein privilegierter Ken mit eigenen, aber eben ganz anderen Problemen. Und das ist auch völlig okay so.
So pathetisch das vielleicht klingen mag: Ich fände es gut, wenn mehr junge Männer den Barbie-Film sehen würden. Denn die Botschaft des ganzen Films ist eine grundsätzlich progressive und erinnert Frauen wie Männer daran, warum es Feminismus noch braucht. Und viele Burschen täten gut daran, ein Vorbild in Ken zu suchen und nicht den falschen Versuchungen einer Welt von gestern zu verfallen – sondern sich ihre eigene, neue Antwort auf die Krise der Männlichkeit zu suchen. Für Ken ist das ein cheesy Pullover mit der Aufschrift: I AM KENOUGH.