Wie liberal ist … Klimaschutz?
Klimaschutz wird mit zwei Dingen assoziiert: mit den Grünen und mit Verboten. Es gibt aber auch eine liberale Begründung für ambitionierten Klimaschutz – denn sowohl ideengeschichtlich als auch polit-pragmatisch ist es im Sinne der Freiheit geboten, unsere Lebensgrundlagen zu schützen.
Klimaschutz, das ist in der öffentlichen Debatte etwas, was nach Bevormundung klingt. Nach Verboten. Verordneter Heizungstausch in Deutschland, höhere CO2-Steuern in Österreich, strengere Nachhaltigkeitsstandards in ganz Europa – das klingt erstmal nicht nach liberaler Kernpolitik. Liberale, das sind die, die weniger Staat wollen, und da kann der Klima-Debatte ja nur mit Skepsis begegnet werden.
Diese Vorstellung ist aber überholt. Denn wie es mit dem Weltklima weitergeht, das geht uns alle etwas an. Gerade Liberale sollten an vorderster Front der Parteien stehen, die für die Freiheiten der Zukunft kämpfen. Darum geht es nämlich eigentlich beim Klimaschutz, fernab aller Verbotsfantasien und Lifestyle-Diskussionen. Und die Debatte dazu im liberalen Spektrum ist im vollen Gange.
Liberale Grundsatzdebatten
Wie schwierig das Thema Klimaschutz für liberale Parteien sein kann, zeigt sich schön an der Debatte über das Verbrenner-Verbot auf EU-Ebene. Den PKW-Verkehr zu ökologisieren, das stand immerhin lange Zeit auf oberster Liste der Prioritäten für die europäische Fraktion im EU-Parlament, Renew Europe.
Und ihr Plan ging ursprünglich auch auf: Ein liberaler Abgeordneter aus den Niederlanden wurde zum Berichterstatter auserkoren, das Gesetz wurde ohne große Schwierigkeiten verhandelt. Durch ein Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 sollte es maßgeblich dazu beitragen, die Reduktion der Emissionen im Autoverkehr zu reduzieren. Ein großer Sieg für den Klimaschutz – und für viele Liberale.
Aber dann kam das unerwartete Ausscheren aus den eigenen Reihen: Die deutsche FDP stellte sich nach Abschluss der Verhandlungen plötzlich quer und forderte Ausnahmeregelungen für Verbrennungsmotoren, die mit E-Fuels betrieben werden können. Durch ihre Regierungsverantwortung in Deutschland ist die Verhandlungsmacht der Freien Demokraten groß, und so gelang es ihr schließlich, ihre Ausnahme durchzusetzen – zum Ärger manch anderer liberalen Partei.
Was ist Freiheit?
Das schizophrene Verhalten der liberalen Parteien in Europa beruht auf unterschiedlichen Auslegungen des Freiheitsbegriffs. Und damit auf eine Debatte, die so alt ist wie der Begriff Freiheit selbst.
Der liberale Philosoph Isaiah Berlin spricht etwa von positiver und negativer Freiheit. Die „Freiheit von“ etwas – also von Zwang aller Art – ist die negative Seite, auf die sich auch die FDP beruft. Mit 130 oder mehr über die Autobahn brettern, einen Industriestandort mit hunderten neuen Arbeitsplätzen auf die grüne Wiese bauen, sich privat für Plastikbesteck, Benzinauto und Einfamilienhaus im Speckgürtel zu entscheiden: Für die FDP ist das Freiheit. Und das Aus für fossile Brennstoffe, Grenzen für die Bodenversiegelung, Regeln für Plastik, Mobilität und Wohnbau – das alles bedeutet eine Einschränkung dieser Freiheit.
Aber es gibt auch die „Freiheit zu“ etwas, die positive Freiheit. Dieser Begriff ist auch unter Liberalen nicht unumstritten, gerade unter eher Libertären wird vor allem die Ablehnung jedweden Zwangs zur einzigen Maxime. Aber wenn man dem Begriff folgt, kann Politik auch die „Freiheit zu“ etwas herstellen: die Freiheit etwa, gute Bildung zu genießen, egal aus welcher Familie man kommt. Wesentliche liberale Errungenschaften fallen in diese Kategorie: Wir haben die Freiheit, jederzeit unseren Arbeitsplatz zu wechseln, wegzuziehen oder uns selbständig zu machen. Die positive Freiheit bedeutet genau wie die negative: die Freiheit, das eigene Leben zu gestalten, wie man möchte.
Die Freiheit und der Klimaschutz
Und was hat das jetzt mit dem Klimaschutz zu tun? Die FDP wehrt sich im Sinne der „negativen Freiheit“ gegen den Zwang. Eigentlich ein ehrenhaftes Anliegen, und vor allem eines, das in keiner liberalen Demokratie zu kurz kommen darf. Aber Freiheit steht nicht als absoluter Wert im luftleeren Raum, sie ist keine Flagge, die man für immer einpflanzen kann, auf dass nichts auf sie Einfluss nehmen kann. Sie steht immer auch im Wechselspiel mit anderen Faktoren wie Sicherheit oder – auch über diesen Begriff kann man streiten – Gerechtigkeit.
Was die FDP also bei ihrer Haltung zum Verbrenner übersieht: die Freiheit, heute schlechte Entscheidungen zu treffen, kann unsere Freiheit in der Zukunft einschränken. Und wie man auch immer aus einer persönlichen Sicht zum eigenen Verbrenner stehen mag, aus wissenschaftlicher Sicht ist er eben das: eine schlechte Entscheidung. Dank Jahrzehnten an Forschung wissen wir, was auf dem Spiel steht: unser Lebensstil, unsere Gesundheit, unsere Errungenschaften der letzten Jahrhunderte. Unsere Zukunft. Und auch die Freiheit, die wir später noch genießen können.
Denn wer denkt, wir könnten heute wie morgen alle Freiheiten behalten, hat die Klimakrise nicht verstanden. Naturgewalten lassen nicht mit sich verhandeln. Entweder wir geben heute unsere Abhängigkeit von fossilen Energien auf, oder wir verspielen für morgen unsere Freiheit, ganztägig Trinkwasser aus der Leitung ziehen zu können, Nahrungssicherheit zu genießen und im Sommer in der Stadt hinausgehen zu können. Bereits jetzt sind wir in einer Situation, in der wir uns diese Probleme nicht aussuchen können – wir können nur noch entscheiden, wie schlimm es wird. Wie viele Freiheiten wir einbüßen werden.
Kurzfristiger Liberalismus
Ein Liberalismus, der Klimaschutz-Maßnahmen aufweicht, relativiert, verzögert oder verneint, ist nur ein kurzfristiger: Heute ja keine Freiheiten aufgeben, die Freiheiten von morgen sind das Problem von morgen. So eine Politik mag kurzfristig liberal wirken – langfristig ist sie das genaue Gegenteil.
Wenn wir nichts gegen die Klimakrise tun, werden wir in 20 Jahren gefragt werden, wo die Freiheit ist, die uns versprochen wurde. Warum sind die Regale im Supermarkt leer? Warum wird Wasser in immer mehr Ländern rationiert? Warum geht so ein großer Teil unseres Budgets für die Folgen der Klimakrise drauf und nicht etwa für Bildung, Gesundheit oder den Sozialstaat? Oder drastischer ausgedrückt: Warum durftet ihr in der Freiheit leben, die mir nicht mehr möglich ist?
Spielregeln für ein lebenswertes Morgen
Meine Freiheit hört da auf, wo sie die Freiheit der anderen einschränkt, eines der am öftesten zitierten liberalen Zitate. Unbegrenzte Freiheit für jeden – das wäre Anarchie, das ist das Recht des Stärkeren. Wir brauchen Spielregeln, um die Voraussetzungen für ein gutes Miteinander zu schaffen, diese Idee ist so alt wie der Liberalismus selbst. Sogar die alten Theoretiker des Gesellschaftsvertrages, von Thomas Hobbes über John Locke bis John Rawls, haben die Frage, welche Regeln die maximale Freiheit sichern, als Grundprämisse angesehen. Viele ihrer Standpunkte sind heute widerlegt, die Forderung nach Rahmenbedingungen nicht.
Und wir stehen eben in der folgenden Situation: Mit unserer Insistenz, weiterhin Treibhausgase in die Atmosphäre zu jagen, schränken wir die Freiheit der zukünftigen Generationen ein. Wir entscheiden uns für „Freiheit jetzt“ und genießen unser Leben mit Verbrennungsmotor, beeinflussen damit aber direkt das Ausmaß von Hitzewellen, Dürren, Naturkatastrophen und Migrationsströmen in der Zukunft. Das führt zu politischen Konsequenzen, die wiederum zu liberalen Grundsatzdebatten führen werden. Aber eben zu Debatten, um die sich viele von uns nicht mehr kümmern werden müssen.
Die Politik ist gewissermaßen ein Broker von Freiheiten und Sicherheiten. Sie beschneidet gewisse Freiheiten – wie zum Beispiel die Freiheit, ohne Gurt Auto zu fahren – um gewisse Sicherheiten zu gewährleisten, etwa weniger Tote durch Autounfälle. Der politische Streit im liberalen Spektrum bewegt sich im Grunde auf diesen Dimensionen: Welche Sicherheiten wollen wir, welche brauchen wir nicht? Welche Freiheiten sind wir bereit aufzugeben, und welche sind für uns nicht verhandelbar?
Alle Parteien haben Gründe, das Klima zu schützen
Denkt man den Gedanken zu Ende, sollten alle Parteien für Klimaschutz sein. Die FPÖ wird keine Freude mit der anstehenden Massenmigration haben, die SPÖ wird die von ihr so hochgehaltene soziale Gerechtigkeit in chaotischen Wetterumständen kaum erreichen können, und der ÖVP sollte mal schleunigst jemand sagen, dass die österreichische Wirtschaft von einer 2,5 °C wärmeren Welt nicht profitieren wird.
Und liberale Parteien? Für die sollte ihr Leitprinzip der Freiheit der beste Grund für Klimaschutz sein. Wer auf „Freiheit heute“ besteht und dabei den Klimaschutz blockiert – und sich damit sogar gegen die Autokonzerne stellt, die als Betroffene für das Verbrennerverbot eintreten – verspielt alle Sicherheiten, dass uns morgen noch etwas Freiheit bleiben könnte.
Liberale Parteien sollten sich also fragen: Welche Hebel schränken die Freiheit heute nicht groß ein, helfen uns aber massiv dabei, eine bessere Zukunft zu schaffen? Man denke an die Umstellung von fossil auf erneuerbar, sowohl in der Stromproduktion als auch bei Heizsystemen und in der Mobilität. Eine Verpflichtung, zukünftig (soweit möglich) nur erneuerbare Heizsysteme einbauen zu lassen? Kurzfristig einschränkend, langfristig extrem liberal. Weil Freiheit eben kein absoluter Begriff im isolierten Heute ist.
Wie viel Klimaschutz ist zu viel Klimaschutz?
Wichtig ist dann noch die Frage: Wo ziehen wir die Grenze? In liberalen Kreisen wird gerne mit ökonomischen Anreizen hantiert. Einer CO2-Steuer zum Beispiel oder Förderungen für erneuerbare Energie. Verbote und Gebote, vor allem, wenn sie nicht direkt im Zusammenhang mit einem Ende von fossilen Energien stehen – wie etwa ein Verbot von Inlandsflügen oder Tempo 100 – werden kritischer gesehen.
Die Wissenschaft hat aber auch hier eine Antwort: Nicht nur klimapolitisch, sondern auch ökonomisch ist eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius sinnvoll. Da der Trend langfristig ohnehin in Richtung des elektrifizierten Verkehrs, der alternativen Energien, der nachhaltigen Bauweise gehen wird, rentieren sich Investitionen von heute in Zukunft doppelt und dreifach. Zumutbare Einschränkungen, die klimapolitisch eine große Wirkung haben, sollten also auch von liberalen Kräften in Betracht gezogen werden.
Die Zeit der langsamen Umstellung, der Politik ohne Verzicht, wäre zu Beginn der 2000er Jahre gewesen. An diesem Zeitfenster sind wir vorbeigerauscht, ohne die Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen. Es ist also an der Zeit, auch unbequemere Entscheidungen zu treffen, um die Freiheiten von morgen zu schützen.
Ein lebenswerter Planet: Unbezahlbar
Klimapolitik ist also nicht nur grün. Sie ist liberal, sozialdemokratisch, freiheitlich, christlichsozial und ja, auch liberal. Der Erhalt unserer Lebensgrundlage sollte für jede politische Kraft ganz vorne auf der Prioritätenliste stehen, und ganz besonders für Liberale. Denn in der Welt, die uns im Fall einer ungezügelten Erwärmung droht, sind unsere Grundfreiheiten dahin – egal wie nett die Begründung dafür eigentlich gemeint war.
Wie soll die Wirtschaft funktionieren, wenn Hitze und Extremwetter zu Lieferausfällen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen führen? Wie sieht Chancengerechtigkeit in einer Welt aus, in der Millionen Menschen unbewohnbare Gebiete verlassen und sich auf die Suche nach einer neuen Heimat machen? Welches ernstzunehmende Aufstiegsversprechen können wir unserer Jugend in einer immer chaotischeren Welt geben?
Der Sommer 2023 mit globalen Hitzewellen, apokalyptischen Überschwemmungen und alarmierend schnell schwindenden Eisflächen ist ein erster Vorgeschmack auf die nächsten Jahre und die Erinnerung daran, dass wir nicht warten können. Nehmen wir Klimaschutz erst in 20 Jahren ernst, werden wir nicht nur Milliarden aufwenden müssen, um klimaneutral zu werden – sondern auch Abermilliarden in den Umgang mit den Folgen der Klimakrise stecken müssen. Wenn wir dann überhaupt noch die Möglichkeit haben, uns mit Geld eine Zukunft zu kaufen.
Der Zugang der FDP – alle Freiheiten bleiben erhalten, bis sie durch äußere Umstände eingeschränkt werden – ist liberal hochgradig fehlgeleitet. Es ist kurzfristige, kurzsichtige Politik, die uns langfristig unsere Freiheit kosten wird.
Aber hey, zumindest zwingen wir auch in Zukunft niemanden zu einer bestimmten Art des Autoantriebs. Das wäre ja auch wirklich zu einschränkend.