Wie liberal ist … Medienpolitik?
In politischen Debatten wird oft zu Recht gefordert, die Politik solle keinen Einfluss auf Medien nehmen. Aber ist nicht jede Medienpolitik ein Eingriff in den Markt? Und wenn ja: Ist das gerechtfertigt?
Österreich wurde lange Zeit als „Medien-Albanien“ bezeichnet. Bis das Radio-Monopol des ORF aufgebrochen wurde – 1998, also erst relativ spät –, wurde mit diesem Ausdruck kommuniziert, dass die österreichische Medienlandschaft rückständig war. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk dominierte hier lange das öffentliche Geschehen. Für viele Jüngere ist das ferne Geschichte, heute kaum mehr vorstellbar.
So ist es mit vielen Themen, die unseren Medienkonsum und dadurch einen Großteil unseres Alltags prägen. Aber warum muss der Staat da eigentlich mitreden? Kann das nicht einfach „passieren“, ohne dass man sich einmischt?
Kleiner Markt, große Aufgabe
Um die Politik zu verstehen, brauchen wir Zugang zu möglichst guten Informationen. „Gut“ kann dabei vieles bedeuten – zuerst einmal, dass die Fakten stimmen, aber gerade in ideologisch beladenen oder polarisierenden Themen kann es auch „gut“ sein, mehrere Perspektiven kennenzulernen. Objektivität, oder zumindest die Annäherung daran, Neutralität in der Berichterstattung oder die transparente Nennung der Quellen sind alles Vorteile, die wir wohl mitmeinen, wenn wir von „gutem“ Journalismus sprechen.
Aber diese Information ist nicht garantiert. Eine Zeitung, die gut recherchiert ist und Inhalte ansprechend aufbereitet, kommt nicht in der freien Natur vor, ausgewogene Fernsehberichte sind kein Menschenrecht, und Medien, die sich an die Nutzungsgewohnheiten jüngerer Menschen anpassen, muss man nicht nur in Österreich mit der Lupe suchen. Dafür braucht es erstens gute Journalist:innen. Und zweitens die richtigen Rahmenbedingungen.
Welche Medien in einem Staat erfolgreich sind und welche nicht, das könnte Sache des freien Marktes sein, und zu einem großen Teil ist es das auch. Wer schlechten Journalismus macht – oder im Jahr 2023 noch darauf besteht, eine Zeitung genauso zu machen, wie man sie auch schon in den 80ern gemacht hätte –, wird sich eher früher als später nicht mehr finanzieren können, wer guten Journalismus macht, wird belohnt. Das ist zumindest die Faustregel, die man in einem ausreichend großen Markt aufstellen könnte.
Aber Österreich ist eben ein kleiner Markt. Bei knapp unter 9 Millionen Einwohner:innen, die Informationen konsumieren – Säuglinge usw. ausgenommen – ist die Summe, die sich der Medienmarkt aufteilen muss, knapp begrenzt. Im Vergleich zu Deutschland oder noch größeren Medienmärkten gibt es relativ wenige wirklich große Konzerne, sie haben viel kleinere Marktbudgets und wollen mit Werbegeldern eine kleinere Zielgruppe in weniger Bundesländern erreichen. Und auch der Publikumsmarkt ist begrenzter: weniger Einwohner:innen, weniger Medienkonsument:innen, noch weniger davon zahlungsbereit.
Na und, könnte man jetzt sagen. Was ist, wenn es in einem kleinen Land einfach nur ein Medium gibt? Von mir aus einige, aber dann gibt es eben nicht so viel Journalismus wie anderswo, geht ja nichts verloren! Aber wer in Medienvielfalt, einer großen Auswahl an Blattlinien, Perspektiven und Formaten einen Wert sieht, wird das anders sehen. Und kommt dabei schnell zum Schluss, dass es so etwas wie Medienpolitik braucht.
Medienpolitik und Demokratie
Denn von „guten“ Informationen von „guten“ Medien profitieren wir alle. Man mag argumentieren, dass man finanziell besser dastünde, wenn man das eine Medien-Abo kündigt und das andere durch die Abschaffung der ORF-Finanzierung durch Beiträge einspart. (Oder „Zwangsgebühren“, wenn man das kritischer sieht.) Aber wenn man das zu Ende denkt – was wäre denn, wenn man ganz ohne Medienförderung und jedwede Form des Politischen einen Medienmarkt arbeiten lässt –, kommen viele, wenn auch nicht alle zum Schluss: Wahrscheinlich lohnt es sich, da ein Auge drauf zu haben.
Man könnte sich also zwischen zwei überzeichneten Varianten entscheiden: Nur noch private Verleger:innen, die auf Gewinn und Clickbait aus sind, aber trotzdem mit der Politik verhabert bleiben. Oder eben ein staatliches Monopol, das Qualität sichern kann. Beides ist nicht nur theoretisch, sondern auch politisch unwahrscheinlich – aber im Vergleich der Worst-Case-Szenarien entscheiden wir uns für unseren aktuellen Mix aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk und einem privaten Medienmarkt, der ab und an gefördert wird.
Und nein, das heißt jetzt natürlich nicht, dass dann alle, die die „richtigen“ Medien mit den „richtigen“ Informationen lesen, plötzlich „richtig“ wählen. Es gibt zwar so etwas wie evidenzbasierte Politik, aber sie ist zu ganz großem Teil immer noch Meinungssache. Wähler:innen aller Parteien treffen ihre Entscheidung am Wahltag nach den Informationen, die sie haben – und abseits von Hörensagen und persönlicher Erfahrung kommen diese hauptsächlich von Medien.
Deswegen ist übrigens auch die Medienvielfalt so wichtig: Damit es kein „Einheitsmedium“ gibt, das eine „Einheitsmeinung“ vertritt – ein Vorwurf, der gerne von rechts kommt, wenn über „die Medien“ als erfundene Einheit schwadroniert wird. In Österreich haben wir mehrere Boulevard-Blätter, linke und rechte Medien und solche, die sich nicht einordnen wollen. In der einen Blattlinie steht „bürgerlich-liberal“, in der anderen steht „die Meinung der Redakteurinnen und Redakteure“. Es gab bereits Kampagnen von Medien, die das Land verändert haben, und es gibt auf allen Seiten des politischen Spektrums kritische Stimmen. Was dafür sorgt, dass am Ende jedem irgendwo auf die Finger geschaut wird – so funktioniert Kontrolle, sogar in einem kleinen Markt.
Einfache Mission, komplexe Ausführung
Die Medienpolitik beschäftigt sich damit, wie der Medienmarkt funktioniert. Es geht darum, den Weg für möglichst viel Journalismus in möglichst hoher Qualität freizumachen, der möglichst viele Menschen erreichen soll. Nicht nur, weil an Medien Arbeitsplätze hängen, sondern vor allem, weil die Informationen, die durch sie transportiert werden, in einer Demokratie eben unglaublich wichtig sind.
Warum das so schwierig ist? Weil man schnell vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Nehmen wir die Frage ORF: Gibt es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Wenn ja, welche Aufgaben soll er erfüllen? Wie viel Geld braucht er, um diese zu erfüllen, und über welche Finanzierungsform bekommt er es? Müssen wir regelmäßig überprüfen, ob wir ihn noch brauchen und ob Private diese Aufgaben nicht besser könnten? Und wie stellen wir sicher, dass sich auch diese Privaten nicht nur dem Gewinn, sondern auch der Qualität widmen?
Und während wir uns diesen Fragen widmen, müssen wir aufpassen, dass der ORF die Medienvielfalt nicht zu sehr durch seine Dominanz einschränkt, wollen ihn aber auch nicht durch Lobbying-Erfolge privater Medienunternehmen zu klein halten. Es ist ein permanenter Spagat.
Warum Medienpolitik so wichtig ist
All diese Fragen sind nicht nur kompliziert, sondern haben auch wechselseitig miteinander zu tun. Keine ORF-Reform ohne Auswirkungen auf die Printzeitungen, keine neue Medienförderung ohne Gewinner und Verlierer. Vieles davon interessiert keine Mehrheit der Menschen – die meisten werden sich nur fragen, warum den ganzen Vormittag Malcolm Mittendrin läuft und nicht, wer im Stiftungsrat des öffentlich-rechtlichen sitzt. Aber all das ist entscheidend, um sicherzustellen, dass es insgesamt genügend gute Information im Umlauf gibt.
Eben darum ist Medienpolitik nicht nur eine Sache der Wirtschaft. Weil auch die Politik Interesse daran hat, die Rahmenbedingungen für einen qualitätsvollen Diskurs zu sichern. Denn ohne Medienpolitik könnte man sich zwar bequem zurücklegen und so tun, als wäre alles so, wie es sein soll – aber in einem Medienmarkt mit falschen Anreizen leidet am Ende die Demokratie an sich.